Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarztrecht. Vertragliche Vereinbarung. Gesamtvertrag. Schiedsamtsfähigkeit. Nachwirkungsanordnung
Orientierungssatz
Für die Annahme, jede vertragliche Vereinbarung zwischen den Institutionen, die (auch) die Gesamtverträge über die vertragsärztliche Vergütung abzuschließen haben, sei schiedsamtsfähig und deshalb Gegenstand der Nachwirkungsanordnung nach § 89 Abs 1 S 4 SGB 5, bietet das Gesetz keinen Anhaltspunkt.
Normenkette
SGB 5 § 89 Abs. 1 S. 4, Abs. 1a S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die als Augenärzte zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Kläger beanspruchen für das Quartal I/1988 die Erstattung der Kosten für Intraokularlinsen und Verbrauchsmaterialien bei Katarakt-Operationen auf der Grundlage eines Vertrages "zur Abgabe von Verbrauchsmaterialien bei der ambulanten Katarakt-Operation" zwischen den Krankenkassen bzw Krankenkassenverbänden und der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) vom 13. November 1996 bzw 17. März 1997. Diesen Vertrag hatten die Krankenkassen bzw Kassenverbände fristgerecht zum 31. Dezember 1997 gekündigt und mit der Beklagten am 23. Juni 1998 bzw 28. Juli 1998 rückwirkend zum 1. Januar 1998 einen neuen Vertrag geschlossen. Dieser neue Vertrag sieht niedrigere Erstattungsbeträge als der bis zum Ende 1997 geltende Vertrag vor.
Mit ihrer Klage haben die Kläger die Zahlung der nach dem Vertrag von 1997 maßgeblichen Erstattungsbeträge verlangt. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes stattgegeben, weil die Kläger von der Kündigung des Vertrages durch die Krankenkassenverbände keine Kenntnis gehabt hätten. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Für einen Anspruch der Kläger auf Erstattung ihrer Sachkosten in der bis zum 31. Dezember 1997 vertraglich vereinbarten Höhe auch im Quartal I/1998 bestehe keine rechtliche Grundlage (Urteil vom 25. Juni 2003).
Mit ihrer Beschwerde machen die Kläger geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Kläger halten für grundsätzlich bedeutsam, ob § 89 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) auf einen zwischen einer KÄV und den für ihren Bezirk zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen geschlossenen Vertrag anwendbar ist, der die Abgabe und Abrechnung von Verbrauchsmaterial und Intraokularlinsen bei ambulanten Katarakt-Operationen durch ambulant operierende Augenärzte regelt. Wenn zu Gunsten der Kläger unterstellt wird, die Beschwerdebegründung entspreche den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen, ist die Beschwerde jedenfalls unbegründet. In der expliziten Formulierung seitens der Kläger ist die Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig, weil nicht erkennbar ist, dass ihr über den entschiedenen Einzelfall hinsichtlich der Erstattung für Verbrauchsmaterialien bei Katarakt-Operationen im inzwischen sechs Jahre zurückliegenden Quartal I/1998 hinaus Bedeutung zukommt.
In der von den Klägern formulierten Rechtsfrage kann jedoch die allgemeinere Frage enthalten sein, ob auf Verträge über die vertragsärztliche Versorgung, die die Vertragspartner nicht in Ausführung einer gesetzlichen Verpflichtung schließen, § 89 Abs 1 SGB V mit der Folge anzuwenden ist, dass insbesondere die Weitergeltungsanordnung des § 89 Abs 1 Satz 4 SGB V zum Tragen kommt. Diese Vorschrift bestimmt, dass dann, wenn bis zum Ablauf eines Vertrages ein neuer Vertrag nicht zustande kommt, sondern vom Schiedsamt festgesetzt werden muss, die Bestimmungen des bisherigen Vertrages bis zur Entscheidung des Schiedsamtes vorläufig weiter gelten. Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich unmittelbar und wird von den Klägern auch nicht in Frage gestellt, dass sich die Weitergeltungsanordnung des § 89 Abs 1 Satz 4 SGB V nur auf einen "Vertrag über die vertragsärztliche Versorgung" iS des § 89 Abs 1 SGB V bezieht. Das Schiedsamt kann lediglich den Inhalt der in § 89 Abs 1 Satz 1 SGB V angesprochenen Verträge festsetzen. Nur wenn ein Vertrag in diesem Sinne schiedsamtsfähig ist, kann es zur Vermeidung eines vertragslosen Zustandes zur vorläufigen Weitergeltung des bisher geltenden Vertrages kommen.
Die weitergehende Frage, ob nur gesetzlich vorgeschriebene Verträge iS des § 89 Abs 1a Satz 1 SGB V im dargestellten Sinne schiedsfähig sind, oder auch freiwillige Verträge zwischen den Gesamtvertragspartnern Gegenstand eines Schiedsverfahrens und damit - was hier allein von Bedeutung ist - der Weitergeltungsanordnung nach § 89 Abs 1 Satz 4 SGB V sein können, ist nicht klärungsbedürftig. Obwohl eine explizite Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) zu dieser Frage nicht vorliegt, ergibt sich die Antwort ohne weiteres aus dem Gesetz und der zu Teilaspekten vorliegenden Rechtsprechung sowie der insoweit ganz einhelligen Rechtsauffassung im wissenschaftlichem Schrifttum (vgl zum Wegfall der Klärungsbedürftigkeit unter dieser Voraussetzung beispielhaft BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Rechtsprechung des BSG bestehen nicht (vgl BVerfG ÄKammerÜ, Beschluss vom 29. Mai 2001 - 1 BvR 791/01 -, und früher schon BVerfG ÄKammerÜ, SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 ff, Nr 7 S 14).
Das LSG hat seine Entscheidung darauf gestützt, schiedsfähig nach § 89 Abs 1 Satz 1 SGB V seien lediglich solche Verträge über die vertragsärztliche Versorgung, deren Abschluss gesetzlich vorgeschrieben ist. Diese Rechtsauffassung wird im wissenschaftlichen Schrifttum allgemein geteilt (Düring, Das Schiedswesen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1992, S 133; Schmiedl, Das Recht des vertrags(zahn)ärztlichen Schiedswesens, 2002, S 153; Hess in Kasseler Komm, Stand Mai 2003, § 89 SGB V, RdNr 9; Vahldieck in Hauck/Haines, SGB V, KV § 89 RdNr 9; Hencke in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V, § 89 RdNr 3; Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, RdNr C 89-6 mit einer ausdrücklichen Unterscheidung zwischen gesetzlich vorgeschrieben sowie freiwilligen und deshalb nicht schiedsamtsfähigen Vereinbarungen). Abweichende Stimmen zu dieser Rechtsfrage im Schrifttum sind nicht ersichtlich und von den Klägern auch nicht benannt worden. Im Sinne dieser Rechtsauffassung hat sich auch der Senat in seinem Urteil vom 5. Februar 2003 - B 6 KA 6/02 R - (BSG SozR 4-2500 § 83 Nr 1 RdNr 21) geäußert. Im Rahmen der Prüfung, ob das im Verfahren B 6 KA 6/02 R beklagte Landesschiedsamt hat tätig werden dürfen, stellt der Senat dar, dass der umstrittene "Rahmengesamtvertrag" für die vertragsärztliche Versorgung in den neuen Bundesländern (RGV) ein von § 89 Abs 1 SGB V erfasster Gesamtvertrag sei. Es handele sich bei diesem Vertrag nicht nur um eine untergeordnete oder "freiwillige" gesamtvertragliche Teilregelung, sondern um einen echten Gesamtvertrag. Darunter seien alle Verträge zu verstehen, die im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung die von den Krankenkassen für die gesamte vertragsärztliche Versorgung an die KÄV mit befreiender Wirkung zu leistende Gesamtvergütung verbindlich regeln. Diese Passage des Senatsurteils vom 5. Februar 2003 (SozR aaO) lässt erkennen, dass unter dem Gesichtspunkt der Schiedsamtsfähigkeit auch das BSG von der Differenzierung zwischen lediglich "freiwilligen" Vereinbarungen der Gesamtvertragspartner und echten Gesamtverträgen iS der § 83 Satz 1 und § 85 Absätze 1 und 2 SGB V ausgeht. Auch das Senatsurteil vom 27. Januar 1987, in dem die Schiedsamtsfähigkeit einer Vereinbarung über die Kosten der Wirtschaftlichkeitsprüfung bejaht worden ist (BSGE 61, 146, 147, 149 = SozR 2200 § 368h Nr 4 S 9), weist in diese Richtung. Andernfalls hätte es des Hinweises des Senats auf die spezielle Ermächtigung des § 368n Abs 5 Satz 3 RVO nicht bedurft, gesamtvertraglich das Verfahren zur Überwachung und Prüfung der Wirtschaftlichkeit zu regeln. Weil es sich bei den auf dieser Grundlage (heute § 106 Abs 3 SGB V) vereinbarten Prüfvereinbarungen um gesetzlich vorgeschriebene Verträge handelt und in diesen Prüfvereinbarungen auch die durch die Wirtschaftlichkeitsprüfung entstehenden Kosten zu regeln sind, sind nach der Entscheidung des Senats auch die Kostenregelungen schiedsamtsfähig.
Für die Annahme, jede vertragliche Vereinbarung zwischen den Institutionen, die (auch) die Gesamtverträge über die vertragsärztliche Vergütung abzuschließen haben, sei schiedsamtsfähig und deshalb Gegenstand der Nachwirkungsanordnung nach § 89 Abs 1 Satz 4 SGB V, bietet das Gesetz keinen Anhaltspunkt. Die durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266) in das Gesetz eingefügte Regelung des § 89 Abs 1a Satz 1 SGB V über das Recht der Aufsichtsbehörden, bei Nichteinigung der Vertragspartner hinsichtlich eines "gesetzlich vorgeschriebenen Vertrages über die vertragsärztliche Versorgung" das Schiedsamt anzurufen, hat keinen anderen Inhalt als die Grundregel des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB V selbst. Etwas Gegenteiliges kann nicht aus dem Umstand geschlossen werden, dass die Worte "gesetzlich vorgeschrieben" nur in § 89 Abs 1a Satz 1 SGB V und nicht in § 89 Abs 1 Satz 1 SGB V enthalten sind. Die Zwangsschlichtung, das Antragsrecht der Aufsichtsbehörde gegenüber dem Schiedsamt und die Nachwirkungsanordnung nach § 89 Abs 1 Satz 4 SGB V zur Vermeidung eines vertragslosen Zustands sind Instrumente, die erkennen lassen, dass hinsichtlich der Materien, die das Gesetz ausdrücklich den Vertragspartnern der vertragsärztlichen Versorgung zur näheren Regelung überantwortet hat, Regelungen getroffen werden müssen. Hinweise darauf, dass denjenigen Institutionen auf Bundes- und Landesebene, die gesetzlich vorgeschriebene Verträge über die vertragsärztliche Versorgung vereinbaren müssen, die Möglichkeit genommen werden soll, andere Verträge freiwillig und ohne die Möglichkeit einer Zwangsschlichtung durch das Bundes- bzw Landesschiedsamt zu vereinbaren und entsprechend auch wieder zu kündigen, lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen.
Der hier streitbefangene Vertrag zur Abgabe von Verbrauchsmaterialien bei der ambulanten Katarakt-Operation ist mit dem vom LSG festgestellten Inhalt kein gesetzlich vorgeschriebener Vertrag über die vertragsärztliche Versorgung. Deshalb findet die Weitergeltungsregelung des § 89 Abs 1 Satz 4 SGB V auf ihn keine Anwendung. Die im Übrigen für die Entscheidung des Rechtsstreits relevanten Fragen betreffen die dem LSG vorbehaltene (vgl § 162 SGG) Auslegung und Anwendung dieses nicht über den Bezirk der beklagten KÄV hinaus geltenden Vertrages sowie allgemeine Vertrauensschutzaspekte und sind von den Klägern nicht zum Gegenstand einer Rechtsfrage gemacht worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absätze 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung.
Fundstellen