Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensmangel. rechtliches Gehör. Überraschungsentscheidung. Lenkung des Prozessverlaufs in eine bestimmte Richtung. Urteil ohne mündliche Verhandlung. Verneinung einer zuvor als unstreitig behandelten Tatbestandsvoraussetzung. Abwendung von einem vorherigen Hinweis des Gerichts. Pflicht zum schriftlichen Hinweis vor der abschließenden Entscheidung. Zurückverweisung
Orientierungssatz
1. Ein Gericht darf sich in seiner instanzabschließenden Entscheidung nicht ohne Weiteres über eine von ihm zuvor selbst herbeigeführte Prozesslage hinwegsetzen, wenn es den Rechtsstreit zunächst in eine bestimmte Richtung gelenkt hat (zB mit Äußerungen zur Notwendigkeit weiterer Ermittlungen vor Eintritt der Entscheidungsreife), später aber in seiner Endentscheidung an den mit der ursprünglichen Einschätzung verbundenen verfahrensrechtlichen Konsequenzen nicht mehr festhalten will (vgl BSG vom 26.3.2020 - B 3 P 14/19 B = SozR 4-1500 § 62 Nr 22).
2. Insbesondere vor einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung muss das Gericht in einem solchen Fall einen schriftlichen Hinweis erteilen (hier dazu, dass entgegen dem vorigen Hinweis des Berichterstatters und entgegen dem bisherigen Prozessverlauf der begehrte Rentenanspruch dennoch daran scheitern könnte, dass die Voraussetzung einer allein schädigungsbedingten Schwerbeschädigung iS des § 10a Abs 1 S 1 Nr 1 OEG iVm § 31 Abs 2 BVG möglicherweise doch nicht vorliegen könnte).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 5, § 62; OEG § 10 S. 5, § 10a Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2; BVG § 31 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 31.01.2019; Aktenzeichen S 5 VG 6304/15) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 03.12.2020; Aktenzeichen L 6 VG 1651/19) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 3. Dezember 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
I. Die 1974 im Beitrittsgebiet geborene und dort aufgewachsene Klägerin begehrt in der Hauptsache eine Beschädigtengrundrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) aufgrund sexuellen Missbrauchs in ihrer Kindheit durch den zweiten Stiefvater nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 50. Bei ihr ist seit Dezember 2011 ein Grad der Behinderung von 70 anerkannt. Seit November 2012 bezieht die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Ihren Versorgungsantrag vom Juni 2012 hat der Beklagte abgelehnt. Die Klägerin habe keinen Anspruch nach § 10 Satz 5 OEG (idF des Gesetzes vom 20.6.2011, BGBl I 1114) iVm § 10a OEG. Die psychischen Störungen, die auf die erlittene Schädigung zurückzuführen seien, begründeten lediglich einen GdS von 40 (Bescheid vom 17.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.12.2015).
Die Klage hat das SG ua nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und einer persönlichen Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung abgewiesen. Der geltend gemachte Anspruch bestehe nicht. Der schädigungsbedingte GdS sei nicht höher als 40. Es komme damit nicht darauf an, ob die Klägerin bedürftig sei (Urteil vom 31.1.2019).
Hiergegen hat die anwaltlich vertretene Klägerin Berufung eingelegt. Nach Eingang der Berufungsbegründung hat der Berichterstatter unter dem 12.7.2019 die Klägerin im Hinblick auf die auch zu prüfende Bedürftigkeit iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 2 OEG aufgefordert, seit Antragstellung (Juni 2012) zu ihren gesamten Einnahmen vorzutragen und Nachweise vorzulegen. Mit Schreiben vom 13.8.2019 hat der Berichterstatter den Beklagten unter Übersendung von medizinischen Befunden und Unterlagen zur Berufsbiografie der Klägerin um Prüfung gebeten, ob ggf eine besondere berufliche Betroffenheit mit einer Erhöhung des GdS um 10 angenommen und damit die Schwerbeschädigteneigenschaft iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 1 OEG bejaht werden könne. Zudem hat er ihn um Stellungnahme ersucht, ob und ggf in welchen Zeiträumen seit Antragstellung die Klägerin nach den nunmehr vorliegenden Unterlagen bedürftig iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 2 OEG sei. Mit Schriftsatz vom 13.12.2019 hat der Beklagte mitgeteilt, dass spätestens ab Gewährung der "EU-Rente" (genauer: Rente wegen voller Erwerbsminderung) eine besonderer berufliche Betroffenheit vorliege. Der GdS sei daher um 10 auf danach insgesamt 50 zu erhöhen, so dass bei der Klägerin ab November 2012 eine Schwerbeschädigung mit einem GdS von 50 iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 1 OEG iVm § 31 Abs 2 BVG "anerkannt" werde. Nach Vorlage weiterer Einkommensnachweise seitens der Klägerin hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 21.2.2020 eine (Probe-)Berechnung zur Bedürftigkeit der Klägerin vorgelegt und ausgeführt, dass sie nach den bisher eingereichten Unterlagen "derzeit einen Anspruch gemäß § 10a OEG in Höhe von 115,82 Euro" hätte.
Nach einem Berichterstatterwechsel hat der nunmehr zuständige Berichterstatter unter dem 28.2.2020 den Beteiligten mitgeteilt, es werde "davon ausgegangen", dass "zwischen den Beteiligten Einigkeit" darüber bestehe, dass ab Rentenbeginn im November 2012 die Voraussetzungen des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 1 OEG erfüllt seien und unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit ein GdS von 50 anzunehmen sei. "Zu klären" sei "daher nur noch" die Anspruchsvoraussetzung nach § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 2 OEG, mithin ob eine "Bedürftigkeit" iS dieser Bestimmung "bestanden hat bzw besteht". Dementsprechend hat er die Klägerin aufgefordert, ihre Einkommensverhältnisse "ab Rentenbeginn" vollständig darzulegen. Nach Vorlage weiterer Verdienstbescheinigungen seitens der Klägerin hat der Beklagte mit einem am 22.5.2020 beim LSG eingegangenen Schriftsatz vom 19.5.2020 (fälschlicherweise datiert auf den 31.1.2020) eine "aktualisierte Prüfung der Bedürftigkeit" sowie eine "Übersicht der sich daraus ergebenden Nachzahlung" für den Zeitraum von November 2012 bis Februar 2020 vorgelegt und ausgeführt, dass bei der Klägerin ab November 2012 "grundsätzlich eine Bedürftigkeit mit Ausnahme des Monats November 2019 gegeben" sei. Mit Schriftsatz vom 21.9.2020 hat der Beklagte die Erteilung eines "Bescheid(s) nach § 96 SGG" in Aussicht gestellt. Unter dem 6.10.2020 hat der Berichterstatter nur dem Beklagten mitgeteilt, dass im Hinblick auf den für den 29.10.2020 anberaumten Erörterungstermin eine "vorherige Bescheiderteilung (…) unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Sachstandes nicht zielführend" erscheine.
Den Erörterungstermin hat der Berichterstatter mit Verfügung vom 15.10.2020 aufgehoben, nachdem die von der Klägerin beantragte Durchführung im Rahmen einer Videokonferenz an dem vorgesehenen Terminstag nicht in Betracht kam. Die Vorsitzende des Senats hat sodann Termin zur mündlichen Verhandlung für den 3.12.2020 anberaumt. In der Terminsbestimmung hat sie bei den Beteiligten zugleich angefragt, ob in Anbetracht der aktuellen Corona-Entwicklung einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt werde. Hierzu werde dringend angeraten. Daraufhin haben beide Beteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt und die Vorsitzende den Termin aufgehoben.
Das LSG hat am 3.12.2020 ohne mündliche Verhandlung die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Dem geltend gemachten Rentenanspruch nach § 10 Satz 5 iVm § 10a Abs 1 OEG stehe bereits entgegen, dass die Klägerin nicht allein wegen der erfolgten Schädigung schwerbeschädigt iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 1 OEG iVm § 31 Abs 2 BVG sei. Der schädigungsbedingte GdS betrage bei der Klägerin lediglich 30. Eine besondere berufliche Betroffenheit liege nicht vor. Die dieser Beurteilung entgegenstehenden Auffassungen des Beklagten und der Klägerin seien unerheblich. Der Beklagte habe kein Anerkenntnis des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs auf Beschädigtenrente abgegeben. Vielmehr habe dieser lediglich seine Rechtsauffassung hinsichtlich einzelner Berechnungselemente kundgetan. Dass diese Äußerungen des Beklagten von der anwaltlich vertretenen Klägerin ebenfalls nicht im Sinne eines Anerkenntnisses verstanden worden seien, zeige sich schon darin, dass keine Annahmeerklärung erfolgt sei. Dementsprechend könne weiter dahinstehen, ob bei der Klägerin Bedürftigkeit iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 2 OEG bestanden habe (Urteil vom 3.12.2020).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil. Sie rügt ua eine Verletzung rechtlichen Gehörs. Das LSG habe eine Überraschungsentscheidung getroffen.
II. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 3.12.2020 ist wegen des formgerecht geltend gemachten und auch vorliegenden Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) erfolgreich. Der Senat macht insoweit von der Möglichkeit der Aufhebung des angegriffenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung nach § 160a Abs 5 SGG Gebrauch.
1. Die zulässige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, mit der die Klägerin die gerügte Gehörsverletzung hinreichend bezeichnet und auch dargetan hat, dass das LSG-Urteil auf diesem Verstoß beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG), ist begründet. Das LSG hat verfahrensfehlerhaft den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör durch eine Überraschungsentscheidung verletzt.
a) Die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs verbietet einem Gericht Überraschungsentscheidungen, weil damit verhindert werden soll, dass eine die Instanz abschließende Entscheidung ergeht, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sich die Beteiligten nicht oder nicht in rechtlich ausreichender Weise äußern konnten. Aus Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG folgt zwar keine allgemeine Pflicht des Gerichts, vor einer Entscheidung die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte mit den Beteiligten zu erörtern; auch ergibt sich ein entsprechender Verfahrensmangel nicht schon daraus, dass der Vorsitzende oder der Berichterstatter eines Spruchkörpers im Vorfeld der Entscheidung Äußerungen tätigt, aus denen der Prozessbevollmächtigte eines Klägers entnimmt, dass das Urteil des gesamten Spruchkörpers zugunsten seines Mandanten ausfallen werde (vgl BSG Beschluss vom 26.3.2020 - B 3 P 14/19 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 22 RdNr 6). Eine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung und zugleich ein Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens liegt allerdings dann vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bislang nicht erörterten wesentlichen Gesichtspunkt - auch tatsächlicher Art - stützt und dem Rechtsstreit dadurch eine unerwartete Wendung gibt, mit der selbst ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen musste (vgl stRspr; zB BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - juris RdNr 18; BVerfG Beschluss vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190 = juris RdNr 7; Senatsbeschluss vom 21.10.2019 - B 9 V 11/19 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 7.8.2014 - B 13 R 441/13 B - juris RdNr 12). Ein Gericht darf sich daher in seiner instanzabschließenden Entscheidung in diesem Sinne nicht ohne Weiteres über eine von ihm zuvor selbst herbeigeführte Prozesslage, auf deren fortbestehender Maßgeblichkeit die Beteiligten vertrauen durften, hinwegsetzen; das Nichtfesthaltenwollen an einer solchen Prozesslage gebietet es vielmehr, den Beteiligten zuvor schriftlich oder mündlich einen entsprechenden rechtlichen Hinweis zu geben (vgl zB BSG Beschluss vom 26.3.2020, aaO; BSG Beschluss vom 3.2.2010 - B 6 KA 45/09 B - juris RdNr 7 f). Derartiges ist etwa dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstreit zunächst in eine bestimmte Richtung gelenkt hat (zB mit Äußerungen zur Notwendigkeit weiterer Ermittlungen vor Eintritt der Entscheidungsreife), später in seiner Endentscheidung an den mit der ursprünglichen Einschätzung verbundenen verfahrensrechtlichen Konsequenzen aber nicht mehr festhalten will (vgl BSG Beschluss vom 26.3.2020, aaO mwN). Der Anspruch auf rechtliches Gehör steht nämlich in funktionalem Zusammenhang mit der Rechtsschutzgarantie und der Justizgewährungspflicht des Staates. Der Einzelne darf nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern soll vor einer Entscheidung, die seine individuellen Rechte betrifft, zu Wort kommen können, um in angemessener Weise Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 5.4.2012, aaO mwN). Die prozessordnungskonforme Gewährung des rechtlichen Gehörs setzt daher regelmäßig voraus, dass die Verfahrensbeteiligten erkennen können, auf welche Tatsachen es für die Entscheidung ankommen kann. Den Gerichten obliegt dabei die Pflicht, den Beteiligten das für das Verfahren Wesentliche zur Kenntnis zu bringen (BSG Beschluss vom 26.3.2020, aaO mwN).
b) Die Klägerin rügt danach zu Recht, dass eine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung vorliegt. Denn das Berufungsurteil wurde auf Gesichtspunkte gestützt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht zu rechnen brauchte.
Nach dem Verlauf des Rechtsstreits in der zweiten Instanz durfte ein verständiger anwaltlicher Prozessbevollmächtigter davon ausgehen, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die im Berufungsverfahren vor allem problematisierte und ganz im Vordergrund der Ermittlungen des LSG stehende Bedürftigkeit der Klägerin iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 2 OEG entscheidungserheblich ankommen würde. Denn mit Schreiben vom 28.2.2020 hatte der Berichterstatter mitgeteilt, zwischen den Beteiligten bestehe aus seiner Sicht "Einigkeit" darüber, dass ab Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung im November 2012 die Voraussetzungen des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 1 OEG erfüllt seien und unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit ein GdS von 50 anzunehmen sei. Zu klären sei "daher nur noch" die Bedürftigkeit iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 2 OEG. Diesen Hinweisen des Berichterstatters waren weder die Klägerin noch der Beklagte im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens entgegengetreten. Vielmehr hatte der Beklagte bereits zuvor mit Schriftsatz vom 13.12.2019 bei der Klägerin ab der Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung eine besondere berufliche Betroffenheit bejaht und in der Folge ab November 2012 eine Schwerbeschädigung mit einem GdS von 50 iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 1 OEG iVm § 31 Abs 2 BVG "anerkannt". Zudem hatte der Beklagte nach Durchführung weiterer Ermittlungen des LSG zu den finanziellen und persönlichen Umständen der Klägerin aufgrund eigener (und vom LSG ausdrücklich erbetener) Bedürftigkeitsprüfungen mitgeteilt, dass seit November 2012 Bedürftigkeit iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 2 OEG mit Ausnahme des Monats November 2019 gegeben sei. Darüber hinaus hatte er für den Zeitraum von November 2012 bis Februar 2020 sowohl die Anspruchshöhe als auch die Nachzahlung im Einzelnen beziffert und schließlich sogar mit Schriftsatz vom 21.9.2020 während des laufenden Berufungsverfahrens einen Bescheid in Aussicht gestellt. Hierzu kam es deshalb nicht mehr, weil der Berichterstatter dem Beklagten mit Schreiben vom 6.10.2020 mitgeteilt hatte, dass vor dem Erörterungstermin eine Bescheiderteilung "unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Sachstandes nicht zielführend" erscheine, die Klägerin von diesem Schriftwechsel aber keine Kenntnis und somit auch keine Gelegenheit zu einer Stellungnahme erhalten hatte.
Bei dieser Prozesslage war für die Klägerin und ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten nicht abzusehen, dass das LSG trotz des Hinweisschreibens des Berichterstatters vom 28.2.2020 und der zuvor und in der Folge nahezu ausschließlich und umfänglich durchgeführten Ermittlungen zu ihrer Bedürftigkeit im Urteil bereits die Anspruchsvoraussetzung der schädigungsbedingten Schwerbeschädigung iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 1 OEG iVm § 31 Abs 2 BVG verneinen könnte. Insbesondere die konkreten Äußerungen des Beklagten zum Vorliegen der Schwerbeschädigteneigenschaft bei der Klägerin iS der vorgenannten Bestimmungen und zum Bestehen einer Bedürftigkeit iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 2 OEG sowie zur konkreten Höhe des geltend gemachtem Rentenanspruchs und der Nachzahlungen musste für einen sachkundigen Beteiligten in dieser Prozesssituation die berechtigte Erwartung einer - zumindest teilweisen - zusprechenden Entscheidung des LSG erwecken. Keinesfalls hätte die Klägerin nach der bisherigen Prozessführung des LSG jedenfalls damit rechnen müssen, dass das Gericht die Ermittlungen zur Bedürftigkeit für überflüssig und die Äußerungen des Beklagten zum Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen nach § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 2 OEG für unbeachtlich halten würde.
Der Klägerin hätte zwar vom LSG angesichts des zunächst geplanten Verfahrensablaufs in einem Erörterungstermin oder in einer mündlichen Verhandlung ein verbleibendes Prozessrisiko trotz der im Berufungsverfahren nahezu ausschließlich durchgeführten Ermittlungen zur Bedürftigkeit iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 2 OEG noch deutlich gemacht werden können. Dann hätte sie noch rechtzeitig Gelegenheit gehabt, neben den Ermittlungen zur Bedürftigkeit weitere Sachaufklärung zur Frage des schädigungsbedingten GdS oder der besonderen beruflichen Betroffenheit zu bewirken, etwa durch das Stellen entsprechender Beweisanträge. Da das LSG im weiteren Verfahrensverlauf aber mit dringend angeratenem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschied, bedurfte es hier auch unter dem Blickwinkel eines fairen Verfahrens (Art 19 Abs 4 GG, Art 6 Abs 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention) besonderer Sorgfalt hinsichtlich des Umgangs mit der von ihm zuvor geschaffenen Prozesslage zum Ende des Berufungsverfahrens. Aufgrund des bisherigen Verfahrensverlaufs hätte vor der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung deshalb ein schriftlicher Hinweis erfolgen müssen, dass entgegen des "Anerkenntnisses" des Beklagten mit Schriftsatz vom 13.12.2019 und des Hinweises des Berichterstatters vom 28.2.2020 sowie der von dem Beklagten schließlich mit Schriftsatz vom 21.9.2020 in Aussicht gestellten Bescheiderteilung möglicherweise der begehrte Rentenanspruch bereits daran scheitern könnte, dass die Voraussetzung einer allein schädigungsbedingten Schwerbeschädigung iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 1 OEG iVm § 31 Abs 2 BVG doch nicht vorliegen könnte. Der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin brauchte vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht damit zu rechnen, dass das LSG den schädigungsbedingten GdS sogar noch auf 30 herabsetzen würde (anstatt ihn wie zuvor der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 7.12.2015 und ihm folgend das SG im Urteil vom 31.1.2019 mit 40 anzunehmen). Ebenso wenig musste er damit rechnen, dass das LSG die - von dem Beklagten mit Schriftsatz vom 13.12.2019 bereits zugestandene - besondere berufliche Betroffenheit verneinen sowie die bis dahin ganz im Vordergrund der Ermittlungen stehende und von dem Beklagten seit November 2012 mit Ausnahme des Monats November 2019 durchweg auch bejahte Bedürftigkeit iS des § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 2 OEG dahinstehen lassen würde.
2. Der Senat musste nicht mehr entscheiden, ob die von der Klägerin behaupteten weiteren Verfahrensmängel zutreffend bezeichnet worden sind und vorliegen.
3. Das LSG hat bei seiner auf der Grundlage von § 160a Abs 5 SGG zu treffenden neuen Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen