Orientierungssatz
Ein Verfahrensfehler kann in einer unterlassenen Aussetzung der Verhandlung, die den Sinn hat, anderweitige Ermittlungen abzuwarten, um sie selbst verwerten zu können, allenfalls dann vorliegen, wenn - wie bei der Unterlassung eigener Ermittlungen des Gerichts - das Gericht sich zu dieser Aussetzung hätte gedrängt fühlen müssen.
Normenkette
SGG § 114 Abs 3
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 12.07.1989; Aktenzeichen L 2 J 543/89) |
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 12. Juli 1989 ist unzulässig, weil die Klägerin ihre Beschwerde nicht substantiiert begründet hat.
Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Divergenz oder Verfahrensfehler - zugelassen werden. Die Klägerin hat sich auf Verfahrensfehler berufen. In der Beschwerdebegründung muß jedoch der Verfahrensmangel "bezeichnet" werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Daran fehlt es in der Beschwerdebegründung der Klägerin.
Die Klägerin sieht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin, daß das LSG seine Entscheidung erlassen hat, ohne das Gutachten eines Dr. S zu berücksichtigen, das sich nach ihrer Meinung einmal bei den Akten der Beklagten befunden hat und während des gesamten gerichtlichen Verfahrens nicht mehr bei den Akten war. Die Beklagte erklärt, daß ihr dieses Gutachten weder bekannt ist noch von ihr je in Auftrag gegeben worden ist. Wird die Verletzung des rechtlichen Gehörs und damit ein Verstoß gegen die §§ 62, 128 Abs 2 SGG gerügt, so muß in der Beschwerdebegründung angegeben werden, welches Vorbringen verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 62 Nr 10; SozR 1500 § 160a Nr 36). Daß das Urteil des LSG auf Tatsachen beruht, zu denen sich die Klägerin nicht hat äußern können, ist von ihr selbst somit nicht behauptet.
Darin, daß das LSG das genannte Gutachten nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat, sieht die Klägerin einen Verfahrensmangel. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann ein Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ist dies vom Beschwerdeführer darzulegen. Von der Klägerin ist indessen weder vorgetragen worden, daß sie einen Antrag auf Beiziehung des Gutachtens des Dr. S gestellt hat noch, daß das LSG in der Lage gewesen wäre, ein Gutachten zu verwerten, von dem die Klägerin selbst behauptet, es sei verschwunden.
Einen Verfahrensmangel erblickt die Klägerin weiter darin, daß das LSG nicht den Abschluß staatsanwaltlicher Ermittlungen abgewartet hat, die voraussichtlich erbringen würden, daß von Ärzten Urkunden gefälscht seien. Die gefälschten Urkunden ergäben im Original, daß die Klägerin schon 1984 erwerbs-oder berufsunfähig gewesen sei. Nach § 114 Abs 3 SGG kann das Gericht, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluß ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen. § 114 Abs 3 SGG setzt neben dem Verdacht einer Straftat voraus, daß die Ermittlungen Einfluß auf die Entscheidung haben. Um das zu beurteilen, muß bekannt sein, was ermittelt werden soll. Das vermutliche oder mögliche Ergebnis muß in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Hinblick auf seine Auswirkungen im anhängigen Verfahren gewürdigt werden. Soweit eine tatsächliche Würdigung des möglichen Ermittlungsergebnisses notwendig ist, kann dies vom Revisionsgericht nur in beschränktem Umfang geleistet werden (Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 2. Aufl, § 114 RdNr 4). Auf eine fehlerhafte Beweiswürdigung des LSG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Abgesehen davon, daß die Aussetzung im Ermessen des Gerichtes liegt, ist es auch nicht Sinn der Vorschrift, immer dann eine Aussetzung anzuordnen, wenn ein Strafverfahren läuft, das etwas Erhebliches erbringen könnte. Ein Verfahrensfehler könnte in der unterlassenen Aussetzung, die den Sinn hat, anderweitige Ermittlungen abzuwarten, um sie selbst verwerten zu können, allenfalls dann vorliegen, wenn - wie bei der Unterlassung eigener Ermittlungen des Gerichts - das Gericht sich zu dieser Aussetzung hätte gedrängt fühlen müssen. Das anzunehmen reicht der Vortrag der Klägerin nicht aus. Die Behauptung, eine Operation sei - wie noch zu beweisen - anders als bisher im Rechtsstreit angenommen verlaufen, was wiederum Auswirkungen auf die Beurteilung der Berufsunfähigkeit der Klägerin habe, ist zu unbestimmt.
Die Beschwerde der Klägerin ist damit unzulässig und durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 202 SGG iVm § 574 der Zivilprozeßordnung und § 169 SGG analog; vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1, 5; BVerfG aaO Nr 30).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen