Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Revisionsgrund. Klärungsbedürftige Rechtsfrage. Klärungsfähigkeit. Revisibles Landesrecht
Leitsatz (redaktionell)
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde mit dem Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung begründet und insoweit die Auslegung einer landesrechtlichen Vorschrift begehrt, so ist die Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage nur dann gegeben und die Beschwerde nur dann zulässig, wenn vorgetragen wird, dass inhaltlich gleiche Vorschriften in Bezirken verschiedener LSG gelten und dass diese Übereinstimmung bewusst und gewollt zum Zweck der Rechtsvereinheitlichung von den Landesgesetzgebern herbeigeführt worden ist. Hierzu bedarf es ggf. einer Auseinandersetzung mit den jeweiligen Gesetzesmotiven der einzelnen Landesgesetzgeber.
Normenkette
SGG §§ 162, 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. Januar 2003 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Blindengeldes nach dem Thüringer Blindengeldgesetz (ThürBliGG). Der Kläger wendet sich gegen die pauschale Anrechnung des Pflegegeldes nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) auf das Blindengeld, die in § 4 ThürBliGG geregelt ist.
Der im Jahre 1997 geborene Kläger ist mehrfach körperlich und geistig behindert. Er erhält von dem Beklagten Blindengeld und von der Pflegekasse Pflegegeld nach dem SGB XI. Der Beklagte reduzierte mit Wirkung zum 1. Oktober 1998 das Blindengeld um einen Anrechnungsbetrag von 150 DM auf Grund der Leistungen nach dem SGB XI. Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 16. Januar 2002; Urteil des Thüringer Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 30. Januar 2003). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dass mit der Bewilligung von Pflegegeld eine wesentliche Änderung hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Zahlung von Blindengeld eingetreten sei, weil der Kläger Einkommen erzielt habe, das auf den Anspruch auf Blindengeld anzurechnen sei. Dies folge aus § 4 Abse1 und 2 ThürBliGG. Hiernach würden Leistungen, die Blinde zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen nach anderen Rechtsvorschriften erhielten, auch soweit es sich um Sachleistungen handele, auf das Blindengeld angerechnet. Der Wortlaut des ThürBliGG eröffne nicht die Möglichkeit, jeweils im Einzelnen festzustellen, aus welchem Grund Pflegegeld nach dem SGB XI gezahlt werde, was ggf zu einem Absehen von der Anrechnung hätte führen können. Dies widerspreche dem Vereinfachungs- und Pauschalierungszweck der Norm. Eine konkrete Prüfung, welchen Anteil die jeweilige Behinderung ausmache, würde dem Sinn und Zweck dieser Vereinfachung in § 4 ThürBliGG zuwiderlaufen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Er weist darauf hin, dass das LSG bei ordnungsgemäßer Gesetzesauslegung hätte erkennen müssen, dass § 4 Abs 1 ThürBliGG die Tatbestandsvoraussetzungen normiere und § 4 Abs 2 ThürBliGG zur Verwaltungsvereinfachung eine konkrete Ausgestaltung regele. Demnach finde § 4 Abs 2 ThürBliGG, nach dem Leistungen nach dem SGB XI auf das Blindengeld angerechnet würden, nur Anwendung, wenn die Voraussetzungen des § 4 Abs 1 ThürBliGG vorlägen. Hierfür sei jedoch Voraussetzung, dass die Leistungen, die angerechnet würden, für den Blinden gerade zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen gewährt würden. Eine Anrechnung von Pflegeleistungen nach dem SGB XI komme nur dann in Betracht, wenn diese Pflegeleistungen gerade wegen der Blindheit oder zumindest überwiegend wegen der Blindheit gewährt würden. Eine Anrechnung hätte hier mithin nicht erfolgen dürfen, weil keine Zweckidentität von Blindengeld und Pflegegeld nach dem SGB XI bestehe. Der sachgerechten Beantwortung der Rechtsfrage komme grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie über den hier vorliegenden Einzelfall hinaus die Interessen der Allgemeinheit berühre. Die Mehrheit der Bundesländer hätten in ihren Landesblindengeldgesetzen eine inhaltsgleiche Regelung getroffen, sodass eine Entscheidung der Rechtsfrage im Revisionsverfahren erwartet werden könne. Insoweit könne auf Art 4 Abs 3 Bayerisches Blindengeldgesetz, § 5 Abs 1 Sächsisches Landesblindengeldgesetz, § 4 Abs 1 Hessisches Landesblindengeldgesetz, § 3 Abs 2 Landesblindengeldgesetz Mecklenburg-Vorpommern und § 4 Abs 1 Landesblindengeldgesetz Schleswig-Holstein verwiesen werden. Die Rechtsfrage sei auch noch nicht höchstrichterlich entschieden, denn nach Auswertung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liege zu dem hier vorliegenden Fragenbereich noch keine Entscheidung vor.
Der Beklagte weist darauf hin, dass es sich hier ausschließlich um die Auslegung von nicht revisiblem Recht, nämlich Thüringer Landesrecht, handele. Ein Revisionsverfahren sei daher gemäß § 162 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unzulässig.
Entscheidungsgründe
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist nicht in der gebotenen Weise dargelegt worden. Die Beschwerde war daher ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160a Abs 4 Satz 2 2. Halbsatz SGG).
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Beschwerdeführer müssen daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ggf sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger hat zwar hier eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung formuliert. Es fehlt aber an ausreichenden Darlegungen zur Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage. Nach § 162 SGG kann eine Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt. Die Beschwerde trägt zwar vor, dass in mehreren Landesblindengeldgesetzen von einzelnen Bundesländern inhaltsgleiche Regelungen getroffen worden seien, wie sie § 4 ThürBliGG enthält. Ob dies der Fall ist, kann der Senat auf Grund der Beschwerdebegründung aber schon allein deshalb nicht entscheiden, weil lediglich auf einzelne Paragraphen in Landesblindengeldgesetzen einzelner Bundesländer hingewiesen wird, ohne dass der Inhalt der Regelungen konkret wiedergegeben wird. Es kann jedoch dahinstehen, ob eine konkrete Umschreibung der Norminhalte in den jeweiligen Landesblindengeldgesetzen ausgereicht hätte, denn die Beschwerde hätte zugleich weiterhin vortragen müssen, dass die – lediglich behauptete – Übereinstimmung der Regelungen in den einzelnen Landesgesetzen nicht nur zufällig ist, sondern dass diese bewusst und gewollt zum Zwecke der Rechtsvereinheitlichung von den jeweiligen Landesgesetzgebern herbeigeführt wurde (vgl hierzu nur Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl, § 162 RdNr 5a mwN; zur entsprechenden Rechtslage bei Tarifverträgen stRspr des Senats: vgl nur BSG SozR 4100 § 117 Nr 14 sowie Urteile vom 25. Juli 1985 – 7 RAr 108/83 –, AuB 1986, 23, und Urteil vom 28. Juli 1987 – 7 RAr 3/86 –, NZA 1988, 111; speziell zur Revisibilität der Normen aus den jeweiligen Landesblindengeldgesetzen Zeihe, SGb 2003, S 139). Die Beschwerde hätte daher vortragen müssen, dass inhaltlich gleiche Vorschriften in Bezirken verschiedener LSG gelten und dass diese Übereinstimmung bewusst und gewollt zum Zwecke der Rechtsvereinheitlichung von den Landesgesetzgebern herbeigeführt worden ist. Hierzu hätte es ggf sogar einer Auseinandersetzung mit den jeweiligen Gesetzesmotiven der einzelnen Landesgesetzgeber bedurft.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen