Leitsatz (amtlich)
Ein Land ist als Beteiligter an Rechtsstreitigkeiten der Kriegsopferversorgung keine Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne des SGG § 184 und somit in diesen Angelegenheiten im sozialgerichtlichen Verfahren nicht gebührenpflichtig.
Leitsatz (redaktionell)
Die Gebühr nach SGG § 184 ist auch dann entstanden, wenn das vom Prozeßgegner eingelegte Rechtsmittel unzulässig ist.
Normenkette
SGG § 184 Fassung: 1953-09-03
Tenor
In der Gebührensache
... gegen ...
wird die Gebührenfeststellung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Bundessozialgerichts vom 9. Januar 1956 - Kassenzeichen KSB I 25 Nr. 237 - aufgehoben.
Gründe
Durch Beschluß des 8. Senats vom 26. April 1956 ist die Revision des Karl B. gegen das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 30. September 1954 nach § 169 SGG als unzulässig verworfen worden, weil das mit der Revision angefochtene Urteil nach § 214 Abs. 5 SGG mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden ist. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Bundessozialgerichts hat von dem Land Niedersachsen aus Anlaß dieses Revisionsverfahrens am 9. Januar 1956 nach den §§ 184, 189 SGG eine Gebühr in Höhe von 60,- DM erfordert. Der Auszug aus dem Gebührenverzeichnis ist dem Landesversorgungsamt Niedersachsen als Vertreter des Landes Niedersachsen in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung am 28. Januar 1956 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 3. Februar 1956, eingegangen beim Bundessozialgericht am 11. Februar 1956, hat das Land Niedersachsen gegen die Feststellung einer Gebühr in Höhe von 60,- DM das Gericht angerufen und Aufhebung dieser Feststellung beantragt. Es vertritt die Auffassung, daß als Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne des § 184 SGG nur die Träger der Sozialversicherung und die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, dagegen nicht Gebietskörperschaften wie der Bund, die Länder und die Gemeinden anzusehen seien, da das SGG in einer Reihe von Vorschriften Länder und Behörden einerseits von den Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts anderseits unterscheide.
Die Erinnerung des Gebührenschuldners gegen die Feststellung des Urkundsbeamten ist nach § 189 Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig und rechtzeitig eingelegt. Sie ist auch begründet.
Nach § 184 Abs. 1 SGG haben die Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts für jede Streitsache, an der sie beteiligt sind, eine Gebühr zu entrichten. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob der in dem Verfahren geltend gemachte Anspruch sachlich begründet ist; entscheidend ist vielmehr allein der Umstand, daß die Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts an dem Verfahren als Klägerin, Beklagte oder Beigeladene beteiligt war (§ 69 SGG). Die Gebühr ist also auch dann entstanden, wenn die von dem Prozeßgegner eingelegte Revision nach § 169 SGG durch Beschluß als unzulässig verworfen wird (Beschlüsse des BSG vom 28.11.1955 und 20.4.1956 - SozR., SGG § 184 Da 2 und 3). Das Land Niedersachsen hat aus Anlaß des Revisionsverfahrens in der Kriegsopfersache B jedoch deswegen keine Gebühr zu entrichten, weil es nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne des § 184 SGG anzusehen ist.
Die Auslegung dieser Vorschrift ist umstritten. Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 1 zu § 184, und Hofmann-Schroeter, Sozialgerichtsgesetz, Anm. 1 zu § 184, sind der Ansicht, daß Gebietskörperschaften - der Bund, die Länder und die Gemeinden - keine Gebühr nach § 184 SGG zu entrichten hätten, da die amtliche Begründung zu § 184 nur die Träger der Sozialversicherung und die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung als gebührenpflichtig anführe und ferner nicht anzunehmen sei, daß der Gesetzgeber den Kreis der Gebührenpflichtigen gegenüber der bisherigen Regelung in den §§ 80, 1803 RVO habe ausdehnen wollen. Miesbach-Ankenbrank, Sozialgerichtsgesetz, Anm. 1 zu § 184, und Mellwitz, Sozialgerichtsgesetz, Anm. A zu § 184, vertreten die Auffassung, daß die Gemeinden und Gemeindeverbände als Körperschaften des öffentlichen Rechts nach § 184 SGG gebührenpflichtig seien, dagegen nicht ein Land in Streitigkeiten der Kriegsopferversorgung, als staatliche Ausführungsbehörde für Unfallversicherung und als Träger der Unfallfürsorge für Gefangene. Als Begründung führen sie aus, daß der Staat für die Ausübung seiner eigenen Gerichtshoheit sich selbst gegenüber nicht gebührenpflichtig werden könne, eine Gebührenpflicht aber dann bestehe, wenn ein Land bei einem Gericht eines anderen Landes und bei dem Bundessozialgericht oder der Bund bei einem Gericht eines Landes einen Rechtsstreit führe. Gölkel in seinem Aufsatz über den Kreis der Gebührenpflichtigen und Gebührenfreien im sozialgerichtlichen Verfahren (ZfS. 1956 Heft 3/4 S. 41) und Brocke in seiner Abhandlung über Probleme zum Gebührenrecht (SGB. 1955 Heft 11 S. 323) sehen den Bund und die Länder nicht als Körperschaften des öffentlichen Rechts im kostenrechtlichen Sinne an und verneinen ohne Rücksicht darauf, wem im Einzelfalle die Gerichtshoheit zusteht, die Gebührenpflicht, während sie die Gemeinden und Gemeindeverbände zur Zahlung der Gebühren heranziehen wollen. Das Landessozialgericht Celle hält dagegen in seinem Beschluß vom 8. Dezember 1955 - L 11 U 85/54 - (Beilage zum Niedersächsischen Ministerialblatt Nr. 11 vom 2. März 1956, S. 39) den Bund als Gebietskörperschaft für eine Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne des § 184 SGG und damit für gebührenpflichtig. Der Sozialminister von Niedersachsen hat in seinem Runderlaß vom 24. Februar 1956 (Niedersächsisches Ministerialblatt Nr. 12 vom 9. März 1956 S. 175) angeordnet, daß in den Fällen, in denen das Land, insbesondere in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung und als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung an Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit beteiligt ist, von der Einziehung der Gebühren nach § 184 SGG abzusehen ist. Durch Runderlaß vom 30. April 1956 hat das Sozialministerium von Rheinland-Pfalz (Bundesarbeitsblatt 1956 Nr. 13 S. 410) bestimmt, daß als Gebührenschuldner im Sinne der §§ 184, 187 SGG auch die Gebietskörperschaften, d. h. der Bund, die Länder und die Gemeinden anzusehen seien. Dabei sei es unerheblich, ob eine Gebietskörperschaft als Träger der Sozialversicherung, als Verwaltungsbehörde oder als Arbeitgeber an dem Streitverfahren beteiligt sei. Die Gebühr oder der Gebührenanteil sei jedoch nicht zu erheben, wenn das Land Rheinland-Pfalz Gebührenschuldner sei, z. B. in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung, der Landesausführungsbehörde für Unfallversicherung und in Streitigkeiten, die sich aus dem Gesetz betr. die Unfallfürsorge für Gefangene vom 30. Juni 1900 ergäben.
Einer Auseinandersetzung mit jeder einzelnen der zu § 184 Abs. 1 Satz 1 SGG vertretenen Meinungen bedarf es im vorliegenden Falle nicht, da sich aus der vergleichenden Betrachtung einer Reihe von Vorschriften des SGG ergibt, daß ein Land in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung nicht gebührenpflichtig ist. Das Gesetz hat in allen Fällen, in denen es ein Land in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung oder eine Behörde mit Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts gleichbehandelt wissen will, dies durch besondere Aufführung des Landes oder der Behörden zum Ausdruck gebracht (vgl. §§ 54 Abs. 2, 57 Abs. 1 Satz 2, 149, 166 Abs. 1, 193 Abs. 4, 200 SGG). In anderen Vorschriften, in denen das Gesetz von Versicherungsträgern spricht, ist ebenfalls der Zusatz "oder in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung ein Land" gemacht worden, sofern die Länder in diesen Angelegenheiten den Versicherungsträgern gleichgestellt werden sollten (vgl. §§ 75 Abs. 2 und 5, 154 Abs. 2, 180 Abs. 2 und 6, 182 Abs. 2 SGG). Demgegenüber werden die Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts in den §§ 54 Abs. 3, 184, 187, 189 Abs. 1 SGG allein genannt. Nach § 54 Abs. 3 SGG kann eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren. Wenn das SGG auch ein Land als Körperschaft des öffentlichen Rechts hätte aufgefaßt wissen wollen, dann könnte auch ein Land eine Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 3 erheben. Dies ist jedoch nicht möglich, da ein Land keine Aufsichtsbehörde hat und auch eine unterstellte Behörde nicht nach dieser Vorschrift gegen eine Anordnung der vorgesetzten Behörde Klage erheben kann. Aus der Fassung der vorstehend aufgeführten Vorschriften des SGG ist hiernach zu folgern, daß der Gesetzgeber in den §§ 184, 187, 189 Abs. 1 SGG als Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts jedenfalls nicht die Länder in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung angesehen hat. Sie wären sonst ebenso wie in den genannten anderen Vorschriften des SGG ausdrücklich neben den Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts aufgeführt worden. Auch nach der Begründung zu § 131 (jetzt § 184 SGG) des Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit - SGO - (Bundestagsdrucksache Nr. 4357 S. 32) gehören die Länder nicht zum Kreise der Gebührenpflichtigen. Die Begründung zu § 131 SGO steht allerdings in einem gewissen Widerspruch zu der Begründung zu § 133 SGO (jetzt § 186 SGG), da dort ausgeführt wird, daß die Kostenermäßigung die Versicherungsträger und Versorgungsbehörden veranlassen solle, eine aussichtslose Rechtsverfolgung aufzugeben. Da aus den Vorschriften des Gesetzes selbst - wie oben dargelegt - zu folgern ist, daß ein Land in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung nicht gebührenpflichtig nach § 184 SGG ist, erübrigt sich jedoch eine weitere Erörterung dieser Unklarheit in der Begründung zu den §§ 131 und 133 SGO. Die oben erwähnten Erlasse der Sozialministerien von Niedersachsen und Rheinland-Pfalz sind hier für die Frage der Gebührenpflicht oder -freiheit ohne rechtliche Bedeutung, da die Feststellung einer Gebühr nach § 189 Abs. 2 Satz 1 SGG durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erfolgen hat und nach Satz 2 der gleichen Vorschrift auf Anrufung das Gericht endgültig entscheidet.
Die Feststellung, daß ein Land in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung nicht gebührenpflichtig ist, ergibt sich nicht allein aus dem Vergleich der oben angeführten Vorschriften des Gesetzes, sondern ist auch aus anderen Erwägungen begründet. Nach der Verwaltungsrechtslehre gliedern sich die juristischen Personen des öffentlichen Rechts in den Staat selbst, die Körperschaften des öffentlichen Rechts, die Anstalten des öffentlichen Rechts und die Stiftungen des öffentlichen Rechts. Der Staat ist der Träger der unmittelbaren Staatsverwaltung, er übt seine hoheitliche Gewalt aus eigenem Recht aus. Die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts leiten dagegen ihre hoheitliche Gewalt vom Staat ab (mittelbare Staatsverwaltung) und stehen immer unter staatlicher Aufsicht, die allerdings einen verschiedenen Umfang haben kann. Die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts entsteht also nur durch staatlichen Hoheitsakt (vgl. hierzu Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 6. Aufl., I. Band, § 24 Nr. 2 S. 404 ff; Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., § 8 III Anm. 3 und 4). Es ist im vorliegenden Falle nicht erforderlich, die oft schwierig zu beurteilende Rechtsnatur der einzelnen juristischen Personen des öffentlichen Rechts weiter zu erörtern; denn es genügt für die Beurteilung der hier zur Entscheidung stehenden Frage, daß der Staat in der Verwaltungsrechtslehre nicht zu den Körperschaften des öffentlichen Rechts zählt, sondern mit jenen zusammen nur unter den Oberbegriff der juristischen Personen des öffentlichen Rechts fällt. Die für den Staat oft gebrauchte Bezeichnung als Gebietskörperschaft hat also nicht etwa seine Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts zur Folge. Hiernach wird die schon aus dem Gesetz selbst gewonnene Überzeugung des Senats, daß ein Land in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung nicht zu den Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne des § 184 SGG gehört, durch die Verwaltungsrechtslehre bestätigt.
Die Gebührenfreiheit der Länder in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung entspricht auch einer Reihe von Vorschriften auf anderen Rechtsgebieten. So sind der Bund und die Länder vor den ordentlichen Gerichten von der Gebührenzahlung befreit (§ 90 GKG), desgleichen in der Arbeitsgerichtsbarkeit (§ 12 Abs. 5 ArbGG in Verbindung mit § 90 GKG). Nach § 73 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht vom 23. September 1952 (BGBl. I S. 625) ist § 90 GKG ebenfalls entsprechend anzuwenden. Die Gebührenfreiheit eines Landes in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung bedeutet also anderen Rechtsgebieten gegenüber keine Ausnahmeregelung, die schon aus diesem Grunde angezweifelt werden könnte; vielmehr wird gerade durch diese Regelung dem allgemeinen Gesichtspunkt Rechnung getragen, daß der Träger der Gerichtshoheit, der für die Gerichte finanziell aufkommen muß, nicht in seine eigene Kasse Gebühren zu zahlen hat.
Die dem Lande Niedersachsen in einer Versorgungsstreitsache zugegangene Gebührenfeststellung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Bundessozialgerichts war daher aufzuheben.
Fundstellen