Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmung des örtlich zuständigen SG

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen für die Bestimmung eines "Gerichtsstandes der Streitgenossenschaft" gemäß SGG § 58 Abs 1 Nr 5.

 

Normenkette

SGG § 58 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1953-09-03, § 74 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 59

 

Tenor

Der Antrag der Klägerinnen auf Bestimmung des örtlich zuständigen Sozialgerichts wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Mit Bescheid vom 23. Dezember 1977 genehmigte der Beklagte der R. Handelsgesellschaft I. oHG in R. v.d.Höhe zum 1. Januar 1978 die Errichtung einer Betriebskrankenkasse für ihre Betriebsstätten und verschiedene angeschlossene Vertriebszweige. Der ua den Klägerinnen zugestellte Genehmigungsbescheid enthielt die Rechtsmittelbelehrung, es sei die Klage bei dem Sozialgericht (SG) Darmstadt zulässig.

Gegen den Genehmigungsbescheid erhoben zunächst im Januar 1978 die Klägerinnen zu 1), 3), 5), 7), 11, 12), 15), 19) und 22) jeweils gesondert, am 2. Februar 1978 die Klägerinnen zu 2), 4), 6), 8) bis 10), 13), 14) 16) bis 18) und 20) gemeinsam und ebenfalls am 2. Februar 1978 die Klägerin zu 21) wiederum gesondert Klage zum SG Darmstadt. Dieses regte bei den Klägerinnen zu 5), 7), 11), 12), 15), 19), 21) und 22) die Stellung eines Antrages auf Verweisung des Rechtsstreits an das örtlich zuständige SG gemäß § 98 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an.

Die Klägerinnen haben beim Bundessozialgericht (BSG) beantragt, für ihre Klagen das örtlich zuständige SG zu bestimmen.

Der Antrag ist teils wegen Fehlens der sachlichen Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts, teils mangels einer Zuständigkeit des BSG für eine solche Bestimmung abzulehnen.

Nach § 58 Abs 1 SGG wird unter bestimmten, vom Gesetz erschöpfend aufgezählten Fällen (vgl BSGE 2, 63, 64) das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsam nächsthöhere Gericht bestimmt. Das ist ua dann der Fall, wenn eine örtliche Zuständigkeit nach § 57 SGG nicht gegeben ist (§ 58 Abs 1 Nr 5 SGG). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das angerufene Gericht weder selbst nach § 57 SGG örtlich zuständig ist noch das nach dieser Vorschrift zuständige SG von sich aus ermitteln und den Rechtsstreit an dieses nach § 98 SGG verweisen kann (BSG SozR SGG § 58 Nr 3).

Für die gesondert erhobenen Klagen der Klägerinnen zu 1), 3), 5), 7), 11), 12), 15), 19), 21) und 22) trifft dies nicht zu. Zwar ist hierfür entgegen der insoweit unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung des Genehmigungsbescheides vom 23. Dezember 1977 nach § 57 Abs 1 SGG nicht das SG Darmstadt örtlich zuständig. Dieses kann jedoch die Sozialgerichte, in deren Bezirken die vorgenannten Klägerinnen ihren Sitz haben (§ 57 Abs 1 Satz 1 SGG), ermitteln und auf einen entsprechenden Antrag den jeweiligen Rechtsstreit gemäß § 98 Abs 1 SGG an das dafür zuständige SG verweisen.

Für die Klagen der vorgenannten Klägerinnen fehlt eine örtliche Zuständigkeit nicht etwa deshalb, weil es für sie als Streitgenossen mit dem Sitz in den Bezirken verschiedener Sozialgerichte einen gemeinsamen Gerichtsstand nicht gibt. Zwar ermöglicht § 58 Abs 1 Nr 5 SGG ua die Schaffung eines einheitlichen Gerichtsstandes der Streitgenossenschaft, wenn für Einzelklagen der Streitgenossen verschiedene Sozialgerichte örtlich zuständig wären (vgl BSG SozR SGG § 58 Nrn 3 und 4; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, § 58, Anm 2e; Rohwer/Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, § 58, Randnote 11). Die Klägerinnen zu 1), 3), 5), 7), 11), 12), 15), 19), 21) und 22) sind jedoch weder untereinander noch zusammen mit den übrigen Klägerinnen Streitgenossen. Dabei kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für die Begründung einer "zufällig notwendigen" Streitgenossenschaft im Sinne der ersten Alternative oder einer "eigentlich notwendigen" Streitgenossenschaft im Sinne der zweiten Alternative des über § 74 SGG anwendbaren § 62 der Zivilprozeßordnung (ZPO) (zum Begriff vgl BSGE 16, 240, 242; 33, 99, 100; Stein/Jonas/Leipold, Kommentar zur Zivilprozeßordnung; 20. Aufl, § 62, Randnote 14) erfüllt oder jedenfalls diejenigen der §§ 59 und 60 ZPO für die Erhebung einer gemeinschaftlichen Klage ("einfache" oder "freiwillige" Streitgenossenschaft) gegeben sind. Denn allein damit ist die Streitgenossenschaft noch nicht entstanden. Die Entstehung einer aktiven (= aus mehreren Klägern bestehenden) Streitgenossenschaft setzt vielmehr voraus, daß entweder eine gemeinschaftliche Klage erhoben worden ist oder aber - von weiteren hier nicht in Betracht kommenden Fällen abgesehen - mehrere zunächst gesondert erhobene Klagen im Verlaufe des Verfahrens zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden (vgl Stein/Jonas/Leipold, aaO, Vorbem. vor § 59, Anm 1 und 5; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl, § 59, Anm A I a 1). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Klägerinnen zu 1), 3), 5), 7), 11), 12), 15), 19), 21) und 22) haben nicht gemeinschaftlich miteinander oder zusammen mit den anderen Klägerinnen, sondern jeweils gesondert Klage erhoben. Daran ändert nichts, daß sie sich hinsichtlich der Begründung ihrer Klagen dem Vorbringen der übrigen Klägerinnen angeschlossen und deren Prozeßbevollmächtigte auch mit ihrer Vertretung beauftragt haben. Ebensowenig hat das SG bisher - ungeachtet dessen, ob dies im Hinblick auf die unterschiedlichen Gerichtsstände für die einzelnen Klagen überhaupt zulässig wäre - die Verfahren gemäß § 113 Abs 1 SGG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Damit sind die Voraussetzungen des § 58 Abs 1 Nr 5 SGG für die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts nicht gegeben, weil für die einzelnen Klagen eine Zuständigkeit vorhanden, eine Streitgenossenschaft nicht entstanden und demgemäß die Bestimmung eines Gerichtsstandes der Streitgenossenschaft nicht veranlaßt ist.

Für die Klägerinnen zu 2), 4), 6), 8) bis 10), 13), 14), 16 bis 18) und 20) gelten diese Erwägungen nicht. Sie haben gemeinschaftlich Klage erhoben und sind damit jedenfalls einfache Streitgenossen geworden (§ 74 SGG in Verbindung mit § 60 ZPO). Für diese gemeinschaftliche Klage ist eine örtliche Zuständigkeit nach § 57 SGG nicht gegeben und dementsprechend gemäß § 58 Abs 1 Nr 5 SGG das örtlich zuständige SG zu bestimmen. Hierfür ist jedoch das BSG nicht zuständig. Es ist nicht das gemeinsam nächsthöhere Gericht im Sinne des § 58 Abs 1 SGG. Die an der gemeinschaftlichen Klage beteiligten Klägerinnen haben ihren Sitz ausnahmslos in Bezirken von Sozialgerichten des Landes Hessen. Damit ist - seine Anrufung vorausgesetzt (§ 58 Abs 2 SGG) - das Hessische Landessozialgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen SG berufen.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662464

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