Verfahrensgang
SG Rostock (Entscheidung vom 17.04.2013; Aktenzeichen S 15 KR 230/08) |
LSG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 15.03.2018; Aktenzeichen L 6 KR 41/13) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 15. März 2018 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1169,56 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Bei der Klägerin, Trägerin eines für die Behandlung Versicherter zugelassenen Krankenhauses, stellte sich der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherten R. (im Folgenden: Versicherter) am 25. und am 29.12.2006 in der Ambulanz wegen Zahnschmerzen vor und erhielt einen Operationstermin für den 8.1.2007. Die Klägerin behandelte ihn wegen anhaltender Schmerzen stationär vom 2. bis 3.1.2007 und berechnete hierfür die Fallpauschale (Diagnosis Related Group 2007 ≪DRG≫) D40Z (Zahnextraktion und -wiederherstellung; einschließlich Zu- und Abschläge 1169,56 Euro; 17.1.2007). Die Beklagte beglich die Rechnung, beauftragte aber den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung, ob vollstationäre Behandlung erforderlich war. Der MDK kam zu der Auffassung, die unkomplizierte Extraktion eines Zahnes in Lokalanästhesie hätte ambulant durchgeführt werden können. Die Beklagte rechnete daraufhin in Höhe des Rechnungsbetrages gegen andere Forderungen der Klägerin auf. Das SG hat ein Sachverständigengutachten eingeholt und die Beklagte zur Zahlung von 1169,56 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen: Die vollstationäre Behandlung sei nicht erforderlich gewesen. Die Extraktion eines Zahnes könne gemäß dem nach § 115b Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V vereinbarten Katalog grundsätzlich ambulant durchgeführt werden. Ein Ausnahmefall nach Maßgabe der Anlage 2 zum Vertrag nach § 115b Abs 1 SGB V - klinikrelevante Begleiterkrankungen, besondere postoperative Risiken, eine schwere Erkrankung oder ein erhöhter Behandlungsbedarf - läge nicht vor (Urteil vom 15.3.2018).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer dagegen eingelegten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Daran fehlt es.
a) Die Klägerin rügt, das LSG habe den Sachverhalt medizinisch weiter aufklären und den erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen vernehmen, insbesondere mit den Ausführungen des MDK vom 24.2.2014 konfrontieren müssen. Stattdessen sei das LSG ohne eigene Sachkunde und ohne hinreichende Begründung den Feststellungen und der Beurteilung des erstinstanzlich erstellten Sachverständigen-Gutachtens nicht gefolgt. Dieses Vorbringen genügt nicht den dargestellten gesetzlichen Voraussetzungen. Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss insbesondere einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - Juris RdNr 3 mwN; BSG Beschluss vom 14.10.2016 - B 1 KR 59/16 B - Juris RdNr 5). Hierzu gehört die Darlegung, dass ein anwaltlich oder - wie hier - sonst rechtskundig vertretener Beteiligter im Verfahren formelle Beweisanträge gestellt hat, die er vor der abschließenden Entscheidung des LSG bei den Schlussanträgen zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl zB BSG Beschluss vom 14.6.2005 - B 1 KR 38/04 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 25.10.2017 - B 1 KR 18/17 B - Juris RdNr 7). Ist ein Prozessbeteiligter rechtskundig vertreten, gilt sein schriftsätzlich während des Verfahrens gestellter Beweisantrag nur dann als bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten, wenn er als solcher zur Niederschrift der mündlichen Verhandlung wiederholt oder im Urteil des LSG erwähnt wird (stRspr; vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Der Tatsacheninstanz soll dadurch nämlich vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 67; BSG Beschluss vom 10.4.2006 - B 1 KR 47/05 B - Juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 10.7.2019 - B 1 KR 52/18 B - Juris RdNr 8). Daran fehlt es. Die Klägerin benennt bereits keinen Beweisantrag, den sie bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt oder aufrechterhalten hätte. Sie verweist nur auf die Amtsermittlungspflicht. Sie greift letztlich in rechtlich unbeachtlicher Weise (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nur die Beweiswürdigung des LSG an, indem sie ausführt, das LSG habe den Vortrag des MDK als wahr unterstellt, trotz der sehr wahrscheinlichen Möglichkeit, dass dieser für seine Beurteilung nicht alle Unterlagen herangezogen habe.
b) Soweit die Klägerin mit ihrem Vortrag, dass LSG sei "ohne eigene Sachkunde und ohne hinreichende Begründung den Feststellungen und der Beurteilung des erstinstanzlich erstellten Sachverständigengutachtens (…) nicht gefolgt", einen Gehörsverstoß in Gestalt einer Überraschungsentscheidung rügen will, legt sie diesen nicht hinreichend dar.
Nach § 128 Abs 2 SGG darf ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten haben äußern können. Die Regelung erfasst einen Teilbereich des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention ≪EMRK≫; vgl BSGE 117, 192 = SozR 4-1500 § 163 Nr 7, RdNr 23; BSGE 125, 91 = SozR 4-1500 § 120 Nr 3, RdNr 11 f mwN; Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand März 2019, § 128 Anm 10a). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten. Ein Urteil darf nicht auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden, die bisher nicht erörtert worden sind, wenn dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt (vgl BVerfG ≪Kammer≫ NJW 2003, 2524; BSG Beschluss vom 3.2.2010 - B 6 KA 45/09 B - Juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 7.2.2013 - B 1 KR 68/12 B - Juris RdNr 8). Das Gericht muss die Beteiligten über die für seine Entscheidung maßgebenden Tatsachen und Beweisergebnisse vorher unterrichten, ihnen insbesondere auch Gelegenheit geben, sich zu äußern (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Wer die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß § 128 Abs 2 SGG rügt, muss hierzu ausführen, zu welchen vom Gericht zugrunde gelegten Tatsachen und Beweisergebnissen sich der Rechtsuchende nicht hat äußern können, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruht (vgl allgemein zu den Anforderungen an die Darlegung eines Gehörsverstoßes zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 3.11.2014 - B 12 KR 48/14 B - Juris RdNr 13).
Die Klägerin genügt diesen Anforderungen nicht. Die Beschwerdebegründung versäumt es darzulegen, welche (fach)medizinischen Kenntnisse sich das Berufungsgericht angemaßt habe und inwiefern die angefochtene Entscheidung auf der fehlenden medizinischen Erkenntnis- und Beurteilungskompetenz der Berufungsrichter beruhen kann. Vielmehr trägt die Klägerin selbst vor, das LSG sei den Ausführungen des MDK in seinen sozialmedizinischen Stellungnahmen gefolgt. Dass ihr diese medizinischen Unterlagen nicht bekannt gewesen seien oder sie sich nicht rechtzeitig dazu hätte äußern können, behauptet sie nicht. Welche Schlussfolgerungen das Gericht daraus ziehen wird, muss es vorab nicht mitteilen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 3; BSG Beschluss vom 1.2.2017 - B 1 KR 90/16 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 7.8.2018 - B 1 KR 15/18 B - Juris RdNr 11; Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand März 2019, § 105 Anm 9a mwN). Soweit die Klägerin rügt, das LSG habe "in seiner Urteilsbegründung eigene Ausführungen und eine Bewertung des medizinischen Sachverhalts vorgenommen" und meint, insoweit sei dem LSG die entsprechende Sachkunde abzusprechen, rügt sie auch damit sinngemäß lediglich die Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung. Sie beachtet nicht, dass ein Verfahrensmangel nach der dargelegten ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung grundsätzlich nicht auf eine Verletzung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung gestützt werden kann. Dies gilt selbst dann, wenn offensichtliche Widersprüche zwischen der Folgerung des Gerichts und der Aussage des Sachverständigen vorliegen (vgl BSG Beschluss vom 25.10.2017 - B 1 KR 18/17 B - Juris RdNr 5). Es gehört hingegen zu den Kernaufgaben der richterlichen Beweiswürdigung, medizinische Unterlagen im Hinblick darauf zu prüfen, ob diese wegen Widersprüchen, logischer Brüche, nicht fundierter Aussagen oder ähnlicher Mängel nicht zu überzeugen vermögen (vgl BSG Beschluss vom 29.5.2015 - B 13 R 129/15 B - Juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 11.7.2018 - B 1 KR 94/17 B - Juris RdNr 8).
Die Klägerin legt auch mit ihrem Vortrag, das LSG habe bei seiner Entscheidung nicht die vorgelegten Ambulanz-Unterlagen und damit nicht die gesamte Krankenhausakte berücksichtigt, einen Gehörsverstoß nicht hinreichend dar. Sie trägt schon nicht vor, welche konkreten Befunde und Aussagen aus den Ambulanz-Unterlagen das LSG vermeintlich nicht zur Kenntnis genommen hat.
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13477437 |