Verfahrensgang
SG Hamburg (Entscheidung vom 16.09.2016; Aktenzeichen S 29 AS 1540/13) |
LSG Hamburg (Beschluss vom 05.01.2021; Aktenzeichen L 4 AS 44/20 WA) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Hamburg vom 5. Januar 2021 - L 4 AS 44/20 WA - wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG ist unzulässig (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG).
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist nicht zulässig. Keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe hat die Klägerin in der Begründung der Beschwerde schlüssig dargelegt oder bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Die Klägerin macht mit ihrer Beschwerde in erster Linie Verfahrensfehler geltend (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), indem sie Besetzungsrügen erhebt. Die die vermeintlichen Verfahrensfehler begründenden Tatsachen werden in der Beschwerdebegründung allerdings nicht ausreichend konkret bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Die Klägerin rügt im Hinblick auf den Senat des LSG, der die angegriffene Entscheidung erlassen hat, zunächst eine "Ketten-Abordnung" von Erprobungsrichtern "seit mindestens ununterbrochenen 40 Monaten". Damit hat sie einen absoluten Revisionsgrund in der Gestalt der Verletzung der Vorschriften über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO) nicht schlüssig bezeichnet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG sehen Art 92, 97 GG zur Sicherung der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter vor, dass die Gerichte, soweit Berufsrichter beschäftigt werden, grundsätzlich mit hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richtern besetzt sind; die Zahl der persönlich nicht unabhängigen "Hilfsrichter" ist so klein wie möglich zu halten und nur aus zwingenden Gründen zulässig (BVerfG vom 3.7.1962 - 2 BvR 628/60 ua - BVerfGE 14, 156 - juris RdNr 12 ff; BVerfG vom 22.6.2006 - 2 BvR 957/05 - juris RdNr 7; zuletzt BSG vom 12.12.2019 - B 14 AS 33/18 B - RdNr 6 mwN).
Der Vortrag der Klägerin kann einen Verfahrensfehler aber schon deshalb nicht schlüssig begründen, weil ein zwingender Grund für die Beschäftigung solcher "Hilfsrichter" insbesondere dann gegeben ist, wenn planmäßige Richter unterer Gerichte an obere Gerichte abgeordnet werden, um ihre Eignung zu erproben (vgl nur BVerfG vom 3.7.1962 - 2 BvR 628/60 ua - BVerfGE 14, 156 - juris RdNr 17; BVerfG vom 22.6.2006 - 2 BvR 957/05 - juris RdNr 7; BSG vom 12.12.2019 - B 14 AS 33/18 B - RdNr 6 mwN). Dies kann - je nach Größe und Zuschnitt des Obergerichts - dazu führen, dass mehrere planmäßige Richter hintereinander in einem Senat erprobt werden (hier für jeweils neun Monate), um grundsätzlich allen erprobungswilligen Richterinnen und Richtern eine solche Gelegenheit im Hinblick auf zukünftige Beförderungsverfahren und hiermit zusammenhängende Auswahlentscheidungen zu ermöglichen. Entgegen der Ansicht der Klägerin war das LSG nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen gehalten, Erprobungsstellen zu streichen und die Bewerberinnen und Bewerber auf die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg oder an die Landessozialgerichte anderer norddeutscher Bundesländer zu verweisen, auch wenn eine Erprobung dort beförderungsrechtlich zulässig wäre. Zuletzt fehlen im Vortrag der Klägerin einschließlich des von ihr in Bezug genommenen umfangreichen Schriftverkehrs Anhaltspunkte dafür, dass die laufenden Abordnungen eine unzureichende Ausstattung mit Planstellen ausgleichen. Der vorliegende Fall ist damit schon nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht vergleichbar mit den vom BSG getroffenen Entscheidungen, in denen die Länge oder die mehrmalige Verlängerung von Erprobungsabordnungen auf einer unzureichenden Ausstattung des LSG mit Planstellen beruhte, die Abordnung ihre sachliche Rechtfertigung also gerade nicht mehr in der Erprobung fand (vgl hierzu BSG vom 25.4.2018 - B 14 AS 157/17 B; BSG vom 25.4.2018 - B 14 AS 255/17 B; BSG vom 25.5.2018 - B 13 R 217/17 B; BSG vom 30.7.2019 - B 1 KR 92/18 B; BSG vom 12.12.2019 - B 14 AS 33/18 B).
2. Soweit die Klägerin als weiteren Besetzungsmangel die Verwerfung der Wiederaufnahmeklagen als unzulässig durch das LSG in entsprechender Anwendung von § 158 Satz 1 und 2 SGG durch Beschluss ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter rügt, ist ein Verfahrensmangel ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Dass das LSG über eine unzulässige Wiederaufnahmeklage wie über eine unzulässige Berufung durch Beschluss gemäß § 158 Satz 1 und 2 SGG entscheiden kann, entspricht der Rechtsprechung des BSG (vgl nur BSG vom 10.7.2012 - B 13 R 53/12 B - SozR 4-1500 § 158 Nr 6). Der Beschwerdebegründung lässt sich zudem nicht entnehmen, dass die Entscheidung durch Beschluss in entsprechender Anwendung von § 158 Satz 2 SGG deswegen zu Unrecht erfolgte, weil die Wiederaufnahmeklagen entgegen der Ansicht des LSG zulässig waren. Soweit die Klägerin vorträgt, die mit Nichtigkeitsklagen angegriffenen Entscheidungen des LSG seien "sachfremd" und "unvertretbar", begründet dies von vornherein keinen Wiederaufnahmegrund iS von § 179 SGG iVm §§ 579, 580 ZPO. Soweit sie behauptet, das LSG habe im Jahr 2017 einen "unzulässigen Richteraustausch" vorgenommen, weil eine ursprünglich ihre Verfahren bearbeitende Erprobungsrichterin von einem anderen Erprobungsrichter abgelöst worden sei, hat sie eine vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts nicht dargelegt. Der Vortrag enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass der dargelegte Wechsel in der Senatsbesetzung willkürlich oder aufgrund sachfremder Gesichtspunkte erfolgte. Aus zeitlichen Überschneidungen der Abordnungen folgt dies nicht. Im Übrigen trägt die Klägerin selbst vor, dass die Abordnung der ursprünglichen Berichterstatterin am 31.12.2017 endete. Die mit den Wiederaufnahmeklagen angegriffenen Entscheidungen des LSG sind ausweislich der Beschwerdebegründung aber erst im Jahr 2018 ergangen. Auf die Frage, ob der Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage zudem § 179 Abs 1 SGG iVm § 579 Abs 2 ZPO entgegensteht, wonach die Besetzungsrüge vorrangig mittels eines Rechtsmittels geltend zu machen war, kommt es nicht mehr an (vgl zu dem mit der vorliegenden Wiederaufnahmeklage L 4 AS 44/20 WA angegriffenen Urteil des LSG Hamburg vom 22.2.2018 - L 4 AS 401/16 - den die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin als unzulässig verwerfenden Beschluss des Senats vom 10.12.2018 - B 14 AS 85/18 B). Dies gilt auch für die Frage nach der Einhaltung der Monatsfrist (§ 179 Abs 1 SGG iVm § 586 ZPO).
3. Darüber hinaus hat die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11), wobei aufzuzeigen ist, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr 16 S 27). Hieran fehlt es. Die Klägerin legt nicht dar, dass die von ihr (sinngemäß) gestellte Frage, ob "überlange Ketten-Abordnungen mit wechselnden Erprobungsrichtern" vergleichbar seien mit "übermäßigen Verlängerungen eines Erprobungsrichters", in einem Revisionsverfahren klärungsfähig und klärungsbedürftig wäre.
Andere Zulassungsgründe hat die Klägerin nicht dargelegt. Soweit sie meint, die angegriffene Entscheidung leide an so gravierenden Fehlern, dass ihre Aufhebung geboten sei, ist dieser Vortrag unerheblich. Allein auf eine (vermeintlich) fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts durch das LSG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig gestützt werden. Zuletzt kommt es im vorliegenden Verfahren auf das Urteil des BSG vom 30.6.2021 (B 4 AS 70/20 R - vorgesehen für BSGE und SozR) nicht an, weshalb der von der Klägerin insoweit mit Schriftsatz vom 30.7.2021 vorsorglich gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keiner Entscheidung bedarf.
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14934825 |