Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge der unterlassenen Beiladung
Orientierungssatz
Rügt eine Prozeßpartei im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde die unterlassene notwendige Beiladung eines Versicherungsträgers gemäß § 75 Abs 2 Alt 2 SGG als Verfahrensfehler, so muß sie, um ihrer Darlegungspflicht gemäß §§ 160 Abs 2 Nr 3, § 160a Abs 2 S 3 SGG zu genügen, dartun, daß sie bereits in der letzten Tatsacheninstanz auf die unterlassene Beiladung hingewiesen habe.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 3, § 160a Abs 2 S 3, § 75 Abs 2 Alt 2
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 20.11.1989; Aktenzeichen L 11 J 487/89) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit.
Der 1940 geborene Kläger ist gelernter Kraftfahrzeugschlosser. Nach seiner Flucht aus der DDR Anfang 1960 arbeitete er in Österreich und im Bundesgebiet als Kraftfahrzeugschlosser und als Kraftfahrzeugmechaniker. Seit 1980 arbeitet er nicht mehr. Er betrachtet sich als arbeitsunfähig.
Im August 1987 stellte er einen Rentenantrag. Die Beklagte wurde für den in Baden-Württemberg wohnenden Kläger zuständig aufgrund der österreichischen Zeiten, die beim Kläger zu berücksichtigen sind (Art 42 Abs 3 und 4 des deutsch-österreichischen Abkommens über soziale Sicherheit). Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers ab (Bescheid vom 5. Februar 1988). Sie stützte sich auf die Gutachten des Nervenarztes H. -J. K. vom 2. November 1987 und des Internisten Dr. Kaiser vom 22. Dezember 1987. Der Nervenarzt war zu dem Ergebnis gekommen, der Kläger sei psychisch krank und bedürfe der Psychotherapie. Einer Behandlung stehe er (wegen Krankheitsgewinns) jedoch ablehnend gegenüber. Solange er von seiner jetzigen (behinderten) Frau versorgt werde oder sonstige Bezüge habe, sei eine Motivation zur Therapie mit der damit verbundenen unangenehmen Konfrontation mit seiner Problematik von ihm nicht zu erwarten. Aus diesem Grund sei auch eine Berentung kontraindiziert. Der Facharzt für innere Krankheiten Dr. K. hatte ausgeführt, die aus internistischer Sicht bestehenden Leiden schränkten das Leistungsvermögen des Klägers nicht ein. Der Kläger könne mittelschwere Arbeiten vollschichtig in gewisser Regelmäßigkeit ohne Einschränkungen verrichten.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Januar 1989) und ist dabei von den Ergebnissen der Gutachten Kraft und Dr. K. ausgegangen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 20. November 1989). Der Kläger habe sich geweigert, die ihn untersuchenden Ärzte von ihrer Schweigepflicht zu entbinden. Ob der Kläger noch berufstätig sein könne, sei daher nicht zu klären. Den Kläger treffe die Beweislast, und er müsse den Nachteil der Beweislosigkeit tragen.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, das Urteil des LSG beruhe auf einem Verfahrensmangel. Die LVA Baden-Württemberg habe notwendig beigeladen werden müssen. Denn es sei in Frage gekommen, daß sie verpflichtet sei, dem Kläger statt der begehrten Rente ein Heilverfahren zu gewähren (§ 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Außerdem sei das LSG dem Antrag, ein Gutachten darüber einzuholen, ob der Kläger berufs- oder erwerbsunfähig sei, ohne Begründung nicht gefolgt. Für die Einholung eines Gutachtens sei es nicht notwendig gewesen, daß der Kläger die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden habe. Von grundsätzlicher Bedeutung sei auch die Rechtsfrage, ob dem Kläger die Beweislast habe auferlegt werden dürfen, obwohl die Weigerung, Ärzte von ihrer Schweigepflicht zu entbinden, auf einer seelischen Erkrankung beruhe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig, weil der Kläger die Beschwerde nicht substantiiert begründet hat.
Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 SGG genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Divergenz oder Verfahrensfehler - zugelassen werden. Der Kläger hat sich auf Verfahrensmängel und auf grundsätzliche Bedeutung berufen. In der Beschwerdebegründung müssen jedoch der Verfahrensmangel "bezeichnet" und die grundsätzliche Bedeutung der Sache "dargelegt" werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Daran fehlt es in der Beschwerdebegründung des Klägers.
Nach § 75 Abs 2, 2. Alternative SGG ist "ein anderer Versicherungsträger" beizuladen, wenn er als leistungspflichtig in Betracht kommt. Es handelt sich bei der 2. Alternative des § 75 Abs 2 SGG um die sog. "unechte notwendige Beiladung". Bei ihr ist der Verfahrensmangel der unterlassenen notwendigen Beiladung nicht von Amts wegen, sondern nur auf Rüge hin zu beachten (Urteil des Senats vom 5. Dezember 1989 - 5/4a RJ 67/87 - SozR 1500 § 75 Nr 81). Mit der Nichtzulassungsbeschwerde hat der Kläger zwar diesen Mangel gerügt. Er hat jedoch nicht dargelegt, daß er bereits in der letzten Tatsacheninstanz auf die unterlassene Beiladung hingewiesen habe. Dieser Vortrag wäre in der Beschwerdeinstanz indessen notwendig gewesen, um den Verfahrensmangel zu substantiieren. Die "unechte notwendige Beiladung" verfolgt das Ziel, rechtzeitig eine umfassende Klärung herbeizuführen (Meyer-Ladewig, Komm zum SGG 4. Aufl. § 75 RdNr 12). Hier wäre an Stelle einer Rentenzahlung der Beklagten die Gewährung einer Rehabilitations-Maßnahme (Reha) durch die LVA Baden-Württemberg als Beigeladene in Frage gekommen. Von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, war indes auch Sache des Klägers. Nur wenn er an Stelle des Rentenbegehrens, und sei es hilfsweise, auch die Gewährung einer Reha-Maßnahme durch einen noch beizuladenden Rentenversicherungsträger begehrte, konnte das Unterlassen der Beiladung zu der Vereitelung des Zweckes führen, der mit § 75 Abs 2, 2. Alternative SGG verfolgt wird.
Mit dem Hinweis darauf, daß das LSG kein weiteres Gutachten eingeholt hat, hat der Kläger ebenfalls keinen Verfahrensmangel substantiiert dargetan. Zur ausreichenden Bezeichnung des Verfahrensmangels, der darin erblickt wird, daß das LSG einem Beweisantrag unter Verletzung seiner Sachaufklärungspflicht nicht gefolgt sei, muß im Einzelnen dargelegt werden, inwiefern sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den von ihm übergangenen Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34). Das LSG hat jedoch ausgeführt, auch in Anbetracht der bereits früher erstatteten Gutachten ließen sich Ermittlungen über den von damals bis heute bestehenden Gesundheitszustand nur dann mit Aussicht auf Erfolg anstellen, wenn die Hausärztin befragt und wenn zwischenzeitlich erstellte Expertisen beigezogen werden könnten. Weil der Kläger die Ärzte nicht von der Schweigepflicht entbunden hat, sei dies nicht möglich gewesen. Das ist nicht zu beanstanden.
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gehört es, daß der Beschwerdeführer die Rechtsfrage, um die es nach seiner Auffassung geht, selbst formuliert und den nach seiner Meinung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darstellt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160 Nr 31). Daran fehlt es. Der Kläger meint, das LSG habe ihm die Beweislast auferlegt, weil er "eine Schweigepflichtsentbindung nicht unterzeichnet" habe. Ob das zulässig sei, hält er für eine grundsätzliche Frage. Es ist indessen allgemein anerkannt, daß jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (BSGE 19, 52; 41, 300; SozR Nr 57 zu § 103). Nicht aufgrund seines Verhaltens, sondern aufgrund des Umstandes, daß für ihn günstige Tatsachen ungeklärt geblieben sind, ist zu Ungunsten des Klägers nach der Beweislast entschieden worden. So hat das LSG auch sein Urteil begründet. Aufgrund des Verhaltens des Klägers sind lediglich weitere Beweise verhindert worden, die möglicherweise eine Entscheidung nach der Beweislage und nicht nach der Beweislast erlaubt hätten. Welche Rechtsfrage zu klären ist, ergibt sich damit aus dem Vorbringen des Klägers nicht.
Die Beschwerde des Klägers ist daher unzulässig und durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§§ 202 SGG iVm 574 Zivilprozeßordnung -ZPO- und § 169 SGG analog; vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1, 5; BVerfG aaO Nr 30).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen