Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 15.12.2022; Aktenzeichen L 10 R 641/19)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 29.11.2018; Aktenzeichen S 8 R 2659/17)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Dezember 2022 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darum, ob der Kläger für seine Tätigkeit als Lehrer an Berufsschulen des Beigeladenen zu 1. von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) befreit oder zu befreien ist sowie um die Erstattung der für diese Tätigkeiten entrichteten Beiträge zur GRV.

Der Kläger ist zugelassener Rechtsanwalt und Pflichtmitglied in dem zu 2. beigeladenen Versorgungswerk. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten befreite ihn ab dem 1.6.1991 für seine zu dieser Zeit ausgeübte abhängige Beschäftigung beim Verband der M von der Versicherungspflicht (Bescheid vom 10.12.1991). Diese Beschäftigung endete zum 31.1.1992. Der Kläger war anschließend selbstständiger Rechtsanwalt und ist seit 23.9.2001 daneben - teils befristet, teils unbefristet - als angestellter Berufsschullehrer bei dem Beigeladenen zu 1. tätig. Dieser stellte die Beitragszahlungen an den Beigeladenen zu 2. ab dem 1.1.2015 ein und meldete den Kläger bei der Beklagten an, weil kein aktueller Befreiungsbescheid vorliege.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der GRV für seine Beschäftigungen als Berufsschullehrer ab, da diese Tätigkeiten weder zu einer Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer noch bei dem Beigeladenen zu 2. geführt hätten und er insoweit nicht als Rechtsanwalt tätig werde. Aktuell sei der Kläger nicht von der Rentenversicherungspflicht befreit, sodass die Erstreckung einer Befreiung nicht in Betracht komme (Bescheid vom 17.3.2015). Auch die Anträge des Klägers auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht und die Erstattung bereits entrichteter Pflichtbeiträge lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 24.4.2017). Die Widersprüche des Klägers wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 10.7.2017).

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.11.2018). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und ausgeführt, der Kläger sei für seine Lehrtätigkeit nicht durch den Bescheid vom 10.12.1991 von der Rentenversicherungspflicht befreit. Die Befreiung habe sich lediglich auf die Tätigkeit bezogen, für die sie erteilt worden sei. Mit dem Ende dieser Tätigkeit habe sich daher der Bescheid erledigt; einer Aufhebung habe es nicht bedurft. Der Befreiungsbescheid sei aus der Sicht eines verständigen Empfängers auch nicht anders zu verstehen gewesen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht für seine Lehrtätigkeit. Es handele sich dabei nicht um eine rechtsanwaltliche Tätigkeit. Eine Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung oder in einer berufsständischen Kammer sei damit nicht verbunden. Die Erstreckung einer bereits erteilten Befreiung auf die Lehrtätigkeit scheide mangels aktueller Befreiung aus. Eine solche komme auch nicht in Betracht, weil der Kläger als selbständiger Rechtsanwalt ohnehin nicht versicherungspflichtig sei und daher keiner Befreiung bedürfe. Die Vorschrift zur Erstreckung einer Befreiung könne auf den vorliegenden Tatbestand auch nicht analog angewendet werden. Der Kläger könne sich schließlich auch weder auf Vertrauensschutz noch auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen. Bezogen auf seine Lehrtätigkeit mangele es an einer Entscheidung, auf deren Bestand der Kläger vertraut haben könnte. Für falsche Auskünfte oder Beratungen seitens der Beklagten gebe es keine Anhaltspunkte und die fehlenden Befreiungsvoraussetzungen könnten durch den Herstellungsanspruch nicht fingiert werden. Eine Beitragserstattung scheide daher aus.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger wirft folgende Fragen auf:

"a) Ab welchem Zeitraum, hier 15/17 Jahren,

durch Unterlassen der Feststellung der Sozialversicherungspflicht eines hauptberuflich freiberuflich tätigen RA, der als angestellter Lehrer für das Land Baden-Württemberg nebenberuflich arbeitet,

durch die DRV

verhindern die juristischen Elemente des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches, Vertrauensgrundsatzes, Besitzstandswahrung und eines nebenher möglichen Amtshaftungs/Schadenersatzanspruches die Feststellung der Sozialversicherungspflicht mit einer damit verbundenen finanziellen Schlechterstellung der betroffenen Person betr. deren monatlichen Nettogehaltes samt weitergehender negativer Auswirkung auf die spätere Rentenhöhe, da damit das Baden-Württembergische Versorgungswerk der RAe nurmehr 3/10 der Pflichtbeiträge als monatliche Rentenzahlung gegen den Kl. festsetzt?

b) Ist eine solche Verhinderung gleichzusetzen mit der im öffentlichen Dienst nach 15 Jahren eintretenden Unkündbarkeit?

c) Ab welchem Zeitraum entfällt andernfalls für die DRV nach vorherigem Versäumnis generell die Möglichkeit der Einstufung zur Sozialversicherungspflicht?

d) Steht der Einstufung zur Versicherungspflicht des Kl. durch die DRV nach 15/17 Jahren Untätigkeit zusätzlich der Einwand der Verwirkung entgegen?

e) Kann die DRV betr. ein und derselben Person einmal dessen Lehrertätigkeit im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens die Sozialversicherungspflicht verneinen und gleichzeitig im Fall des angestellten Lehrers diese - entgegengesetzt - bejahen, obwohl sich aus der verneinenden Erklärung eine Bindungswirkung für die DRV ergibt?"

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger damit eine aus sich heraus verständliche abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung oder zum Anwendungsbereich einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) oder zu deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht (vgl BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) benannt hat. Die Bezeichnung einer bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).

Jedenfalls fehlen hinreichende Darlegungen zur Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragen. Eine Klärung zumindest einer der aufgeworfenen Fragen ist im angestrebten Revisionsverfahren nur zu erwarten, wenn ihre Beantwortung für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich ist. Zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde ist daher die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Fragen im vorliegenden Rechtsstreit schlüssig und nachvollziehbar aufzuzeigen (BSG Beschluss vom 13.6.2016 - B 13 R 87/16 B - juris RdNr 6; vgl auch BSG Beschluss vom 28.9.2016 - B 6 KA 27/16 B - juris RdNr 5).

Die unter a) aufgeführte Frage basiert offenbar auf der Ansicht, "die juristischen Elemente des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches, Vertrauensgrundsatzes, Besitzstandswahrung und eines nebenher möglichen Amtshaftungs/Schadenersatzanspruches" würden der Feststellung der Sozialversicherungspflicht entgegenstehen, wenn die DRV diese Feststellung über einen bestimmten Zeitraum ("hier 15/17 Jahre") unterlassen habe. Weshalb dieser Gesichtspunkt entscheidungserheblich sein soll, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor. Der Kläger befasst sich weder mit den Voraussetzungen noch mit möglichen Rechtsfolgen der von ihm so bezeichneten Ansprüche und Rechtsgrundsätze. Es wird auch nicht dargelegt, mit welcher rechtlichen Begründung "die juristischen Elemente" dieser Ansprüche und Grundsätze einer Feststellung der Sozialversicherungspflicht entgegenstehen könnten. Die Beschwerdebegründung befasst sich auch nicht damit, ob der Kläger selbst eine Feststellung durch einen entsprechenden Antrag hätte herbeiführen können. Schließlich legt die Beschwerdebegründung nicht dar, ob die Beklagte ohne einen solchen Antrag überhaupt die Rechtspflicht hatte, die Feststellung zu treffen oder ob sich aus einer unterbliebenen Feststellung auch ohne Rechtspflicht zum Handeln die vom Kläger begehrte Rechtsfolge ergeben kann. Dass eine Klärung der aufgeworfenen Frage im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

Soweit der Kläger ausführt, die Beklagte habe ihn bei Erlass der "Bescheide zur Einstufung des Klägers in die Rentenversicherungspflicht" von Amts wegen beraten müssen, bleibt die Beschwerdebegründung Ausführungen zur Rechtsgrundlage einer solchen Beratungspflicht sowie zur Rechtsfolge eines Beratungsmangels schuldig. Die Entscheidungserheblichkeit eines Beratungsmangels ist schon deshalb nicht dargetan.

Auch bezüglich der anderen Fragen wird deren Rechtserheblichkeit nicht hinreichend dargelegt. Allein durch den ohne rechtliche Begründung gebliebenen Hinweis auf eine "langjährig rechtswidrige Praxis der Bekl." und das Verhalten der Beklagten in einem anderen Verfahren ist nicht schlüssig und nachvollziehbar aufgezeigt, weshalb die Beantwortung einer der aufgeworfenen Fragen in einem Revisionsverfahren zu erwarten wäre. Auch mit den Ausführungen zum Lehrermangel sowie mit den Behauptungen, eine Lehrtätigkeit von Praktikern sei unerlässlich und es handele sich dabei um eine anwaltstypische Tätigkeit, wird für keine der aufgeworfenen Fragen die Entscheidungserheblichkeit hinreichend dargelegt.

Schließlich wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auch nicht dadurch hinreichend dargetan, dass eine "Auseinandersetzung mit dem Vertrauenstatbestand bzw. Herstellungsanspruch, der Besitzstandswahrung, Schadenersatzpflicht…mangels hierzu passender Urteile" nicht geführt werden könne. Fehlt es - wie hier - an hinreichenden Darlegungen zu den grundsätzlich erforderlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen der genannten Rechtsinstitute ist jedenfalls nicht hinreichend aufgezeigt, dass sich das Gericht im angestrebten Revisionsverfahren voraussichtlich überhaupt mit diesen Rechtsinstituten befassen wird.

Schließlich wird auch mit den Ausführungen zur angenommenen Fürsorgepflicht des staatlichen Arbeitgebers oder zur "Unzulässigkeit einer erheblichen Einkommensreduzierung" nicht hinreichend dargelegt, dass eine der aufgeworfenen Fragen im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sein könnte. Diesen Darlegungen kann insbesondere nicht die Erheblichkeit der Frage b) entnommen werden, da es an Darlegungen zum rechtlichen Zusammenhang zwischen einer möglichen Unkündbarkeit und dem vorliegenden Rechtsstreit mangelt.

Zu den unter c) und d) aufgeworfenen Fragen enthält die Beschwerdebegründung allein die Behauptung, der Vorgehensweise der Beklagten stehe der Einwand der Verwirkung entgegen. Es mangelt aber an rechtlichen Darlegungen, denen entnommen werden könnte, dass sich der Senat im angestrebten Revisionsverfahren voraussichtlich mit dem Einwand der Verwirkung befassen werde.

Soweit der Kläger vorträgt, "die äußeren Umstände im hiesigen Verfahren sind extrem gravierend und erlauben keine für den Kl. negative Entscheidung" und er diesbezüglich auf das Ineinandergreifen von "Versicherungspflicht ja oder nein", "Syndikusanwalt ja oder nein", "Rückforderung der Beträge" und "Klage gegen das Versorgungswerk" verweist, um die Notwendigkeit einer Grundsatzentscheidung darzulegen, ergibt sich auch daraus nicht die Entscheidungserheblichkeit einer der aufgeworfenen Fragen.

2. Mit der Behauptung, die Vorinstanzen hätten sich mit alldem nicht auseinandergesetzt, wird auch ein Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7 mwN). Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur ordnungsgemäßen Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Aus der Beschwerdebegründung geht schon nicht hervor, welche Verfahrensvorschrift das LSG verletzt haben sollte. Zur hinreichenden Bezeichnung eines Verstoßes gegen § 136 Abs 1 Nr 6, § 128 Abs 1 Satz 2 SGG wegen eines Begründungsmangels fehlt es ebenso an jeglicher Auseinandersetzung mit dem Begründungserfordernis wie es zur hinreichenden Bezeichnung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 EMRK an jeglichen Darlegungen zu den Voraussetzungen einer Gehörsverletzung mangelt.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Heinz

Beck

Waßer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16226557

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge