Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Begründung. Verfahrensmangel. Aufklärungspflicht. Hinweispflicht. Rechtliches Gehör. Rügerecht. Verlust
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit der Rüge „gänzlich fehlerhafter Beweiswürdigung” (§ 128 SGG) und der Verletzung des § 109 Abs. 1 SGG kann der Kläger schon deshalb nicht gehört werden, weil § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG ausdrücklich klarstellt, dass eine Verletzung dieser Vorschriften nicht geeignet ist, die Nichtzulassungsbeschwerde zu begründen; diese Grenzen des Zugangs zum Revisionsrechtszug können auch nicht mit der Rüge umgangen werden, das Landessozialgericht habe auf die Möglichkeit, einen Antrag nach § 109 SGG zu stellen, nach § 106 SGG hinweisen müssen.
2. Ein Gericht muss nicht auf die Stellung von Beweisanträgen hinwirken oder vorab Hinweise auf eine mögliche Beweiswürdigung zum Nachteil eines Verfahrensbeteiligten geben.
3. Im sozialgerichtlichen Verfahren kann ein Verlust des Rügerechts auch im Falle der Verletzung des rechtlichen Gehörs eintreten.
Normenkette
SGG §§ 62, 106, 109, 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, § 202; ZPO § 295 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. September 2001 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Rechtsstreit betrifft einen Anspruch auf Leistungen zur beruflichen Rehabilitation.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die ablehnende Entscheidung der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) bestätigt, weil es sich auch auf Grund eines Gutachtens des medizinischen Sachverständigen Dr. M … vom 6. Februar 2001 und einer ergänzenden Stellungnahme vom 28. Juni 2001 nicht die Überzeugung hat bilden können, der Kläger gehöre zum Kreis der Behinderten iS des § 56 Arbeitsförderungsgesetz.
Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision. Er rügt die Verletzung der Amtsermittlungspflicht sowie eine „gänzlich fehlerhafte Beweiswürdigung”. Dazu führt er aus, Dr. M … sei zu dem eindeutigen Ergebnis gekommen, dass er bei weiterer Beschäftigung als CAD-Zeichner verstärkt unter depressiven Symptomen gelitten hätte, sodass die Aufgabe dieses Berufs und eine Umschulung zum Kfz-Mechaniker geboten gewesen sei. Auf dieses „neutrale Gutachten” habe sich der Kläger verlassen dürfen. Das LSG hätte vor Erlass seines Urteils den Kläger darauf hinweisen müssen, dass es dem Gutachten nicht zu folgen beabsichtige, und damit die Möglichkeit eröffnen müssen, einen Hinweis nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu stellen. Da das LSG einen derartigen Hinweis unterlassen habe, habe es eine überraschende Entscheidung getroffen, gegen die sich der Kläger nicht habe verteidigen können. Das Verfahren des LSG enthalte auch einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Eine weitere Verletzung des rechtlichen Gehörs liege darin, dass das LSG den Kläger nicht selbst angehört habe, obwohl sich aus Gutachten unterschiedliche Stellungnahmen zum Hauptmotiv des Klägers für häufige Arbeitsplatzwechsel ergeben hätten. Das LSG habe sich für die dem Kläger ungünstige Variante entschieden, ohne ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Die Beschwerde ist nicht zulässig, denn die geltend gemachten Verfahrensmängel sind nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet. Der Beschwerdebegründung ist schlüssiges Vorbringen für einen den Revisionsrechtszug eröffnenden Verfahrensmangel nicht zu entnehmen.
Mit der Rüge „gänzlich fehlerhafter Beweiswürdigung” (§ 128 SGG) und der Verletzung des § 109 Abs 1 SGG kann der Kläger schon deshalb nicht gehört werden, weil § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausdrücklich klarstellt, dass eine Verletzung dieser Vorschriften nicht geeignet ist, die Nichtzulassungsbeschwerde zu begründen. Diese Grenzen des Zugangs zum Revisionsrechtszug können auch nicht mit der Rüge umgangen werden, das LSG habe auf die Möglichkeit, einen Antrag nach § 109 SGG zu stellen, nach § 106 SGG hinweisen müssen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 34 und 70; BSG Beschluss vom 18. November 1998 – B 12 RA 6/98 B –). Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Kläger nach dem bisherigen Verfahrensgang Anlass zu der Annahme gehabt hätte, das LSG werde bei der Entscheidung von der Behinderteneigenschaft des Klägers ausgehen. Ein solcher Anlass bestand schon deshalb nicht, weil die BA dem Gutachten von Dr. M … mit einer Stellungnahme ihrer beratenden Ärzte entgegengetreten war. Dieses Vorbringen war dem Kläger bzw seinen Prozessbevollmächtigten bekannt, sodass sie Anlass hatten, dem Risiko einer für den Kläger ungünstigen Würdigung des Beweisergebnisses vorsorglich mit Beweisanträgen entgegenzutreten.
Die Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG ist nicht hinreichend bezeichnet, weil sie nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG einen Zulassungsgrund nur enthält, wenn die Beschwerdebegründung ausführt, das LSG habe sich über einen Beweisantrag ohne hinreichenden Grund hinweggesetzt. Solches Vorbringen ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen; der Kläger kann solches auch nicht vortragen, weil er ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 25. September 2001 einen Beweisantrag nicht gestellt hat.
Das Vorbringen, das LSG hätte zur Wahrung des rechtlichen Gehörs einen Hinweis auf das Ergebnis der Beweiswürdigung und/oder die Möglichkeit eines Beweisantrags geben müssen, enthält nicht die schlüssige Bezeichnung eines Verfahrensmangels. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass ein Gericht nicht auf die Stellung von Beweisanträgen hinwirken (BSG SozR 1500 § 160 Nr 13; BSG NZS 1997, 592) oder vorab Hinweise auf eine mögliche Beweiswürdigung zum Nachteil eines Verfahrensbeteiligten geben muss. Nach dem erörterten Streitstand reicht das Beschwerdevorbringen auch nicht aus, um eine Überraschungsentscheidung des LSG zu bezeichnen. Es weist nicht auf Äußerungen oder Verfahrensweisen des Gerichts hin, die den Kläger hätten davon abhalten können, auf weitere Ermittlungen zu drängen und Beweisanträge zu stellen.
Auch das Vorbringen, das LSG hätte den Kläger zu dem Hauptmotiv seiner häufigen Arbeitsplatzwechsel hören müssen, enthält nicht die schlüssige Bezeichnung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Zwar hat das LSG das mit der Ladung angeordnete persönliche Erscheinen des Klägers in der mündlichen Verhandlung aufgehoben. Der im Termin anwaltlich vertretene Kläger hat dieses Vorgehen ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 25. September 2001 jedoch nicht gerügt und auch keinen Beweisantrag gestellt. Selbst wenn in dem Verfahren des LSG eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen sollte, wäre nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 202 SGG entsprechend heranzuziehenden § 295 Abs 1 Zivilprozessordnung ein Verlust des Rügerechts eingetreten, weil der Prozessbevollmächtigte dem Vorgehen des LSG nicht entgegengetreten ist. Es entspricht gesicherter Rechtsansicht, dass im sozialgerichtlichen Verfahren ein Verlust des Rügerechts auch im Falle der Verletzung des rechtlichen Gehörs eintreten kann (BSG Beschluss vom 31. Januar 2000 – B 11 AL 271/99 B –). Dem Beschwerdevorbringen ist jedenfalls nichts zu entnehmen, wonach der Kläger gehindert gewesen sei, im Termin am 25. September 2001 auf eine Anhörung hinzuwirken.
Da ihre Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt, ist die Beschwerde entsprechend § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen