Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensmangel. rechtliches Gehör. Obliegenheit der Gehörsverschaffung. Widersprechen einer Entscheidung im Beschlusswege nach § 153 Abs 4 SGG. Aufklärungspflicht. Übergehen eines Beweisantrags. Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 SGG. anwaltlich vertretener Beteiligter. erforderliche Aufrechterhaltung des Beweisantrags. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Wird eine Verletzung des Anspruchs eines Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör geltend gemacht, muss dargelegt werden, dass der Beteiligte seinerseits alles getan hat, um sich selbst rechtliches Gehör zu verschaffen. Hierzu kann es gehören, im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung im Beschlusswege nach § 153 Abs 4 SGG dieser Entscheidungsform zu widersprechen und eine mündliche Verhandlung zu beantragen.
2. Ein rechtskundig vertretener Beteiligter muss einer Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 SGG auch entnehmen, dass das Berufungsgericht keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und dass es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht.
Normenkette
SGG § § 62, 103, 153 Abs. 4 Sätze 1-2, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. August 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit hat das LSG mit Beschluss vom 11.8.2022 einen Anspruch des Klägers auf die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 anstelle eines GdB von 70 verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt und mit Verfahrensmängeln begründet.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Der Kläger hat den von ihm geltend gemachten Zulassungsgrund nicht in der danach vorgeschriebenen Weise bezeichnet.
1. Der Kläger macht ausschließlich geltend, die angegriffene Entscheidung des LSG beruhe auf einem Verfahrensmangel (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), weil das LSG durch sein Vorgehen die ihm obliegende Amtsermittlungspflicht verletzt und ihm nicht die Möglichkeit eröffnet habe, ihn anzuhören.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 10.6.2021 - B 9 V 56/20 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16, jeweils mwN). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
a) Hinsichtlich der Rüge einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) wird in der Beschwerde - anders als erforderlich - kein Beweisantrag bezeichnet, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem kann ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; zB BSG Beschluss vom 30.8.2022 - B 9 SB 17/22 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie hier - das LSG von der ihm durch § 153 Abs 4 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der in einem solchen Fall den Beteiligten zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 SGG muss jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter auch entnehmen, dass das Berufungsgericht keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und dass es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung muss daher der Beteiligte, der schriftsätzlich bereits gestellte Beweisanträge aufrechterhalten will, dem LSG ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder aber neue förmliche Beweisanträge stellen (vgl BSG Beschluss vom 30.8.2022 - B 9 SB 17/22 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 16.7.2019 - B 13 R 150/19 B - juris RdNr 14). Dass dies der Fall gewesen wäre, hat der Kläger in der Beschwerdebegründung ebenso wenig dargetan wie eine Erwähnung von Beweisanträgen durch das LSG in der angefochtenen Entscheidung.
b) Die vom Kläger darüber hinaus gerügte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) wird ebenfalls nicht formgerecht dargetan. Gründe dafür, weshalb das LSG nicht von der ihm durch § 153 Abs 4 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch hätte machen dürfen, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, hat der Kläger nicht benannt. Er trägt nicht einmal vor, im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung im Beschlusswege dieser Entscheidungsform widersprochen und eine mündliche Verhandlung beantragt zu haben. Wird jedoch - wie hier - eine Verletzung des Anspruchs eines Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör geltend gemacht, so muss auch dargetan werden, dass der Beteiligte seinerseits alles getan hat, um sich selbst rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 30.8.2022 - B 9 SB 17/22 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 15.8.2018 - B 13 R 387/16 B - juris RdNr 12).
c) Dass der Kläger die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 6.7.2022 - B 10 EG 2/22 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. |
Kaltenstein |
Othmer |
Ch. Mecke |
Fundstellen
Dokument-Index HI15718926 |