Leitsatz (amtlich)
Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nicht formgerecht bezeichnet, wenn trotz naheliegender rechtlicher Gestaltung die schlüssige Darlegung fehlt, daß die Entscheidung des LSG nicht mit einer anderen als der vom LSG angeführten rechtlichen Begründung bestätigt werden kann, die Divergenzfrage mithin auch für das BSG entscheidungserheblich ist. Entsprechendes gilt für die Behauptung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG (Fortführung von BSG 19.1.1981 7 BAr 69/80 = SozR 1500 § 160a Nr 39).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1974-07-30, Nr. 2 Fassung: 1974-07-30, § 160a Abs. 2 S. 3 Fassung: 1974-07-30
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 23.05.1980; Aktenzeichen S 16 Ar 83/79) |
Hessisches LSG (Entscheidung vom 17.09.1984; Aktenzeichen L 10 Ar 938/80) |
Gründe
Die Beschwerde ist nicht zulässig.
Die Beklagte macht zur Begründung der Beschwerde geltend, das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) weiche von der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. Mai 1980 - 7 RAr 31/79 - ab (§ 160 Abs 2 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-); außerdem habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Das Vorbringen der Beklagten hierzu zeigt die behaupteten Zulassungsgründe nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise auf. Insofern fehlt es an der für beide Zulassungsgründe notwendigen schlüssigen Darlegung ihrer Entscheidungserheblichkeit, dh hinsichtlich der Abweichung, daß das Urteil des LSG hierauf beruht, hinsichtlich der grundsätzlichen Bedeutung, daß die bezeichnete Rechtsfrage klärungsfähig ist (vgl dazu Hennig/Danckwerts/König, SGG, § 160a Erl 7.8.5 und 7.7.2, § 160 Erl 7.3., jeweils mwN).
Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger am 4. Juli 1978 im Arbeitsamt vorgesprochen und sich dort arbeitslos gemeldet hat. Die Beklagte greift diese Feststellung nicht an. Sie erachtet diese Arbeitslosmeldung lediglich als ungeeignet für die Bestimmung der Rahmenfrist iS des § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) iVm § 3 Satz 1 Nr 1 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 7. August 1974 (BGBl I 1929), weil der Kläger erst am 2. Oktober 1978 den Antrag auf Alhi förmlich gestellt habe. Mit seiner gegenteiligen Rechtsmeinung weiche das LSG von der oa Entscheidung des BSG ab; die Frage der Wirksamkeit einer Arbeitslosmeldung bei zeitlicher Differenz zu einer (späteren) Antragstellung verleihe der Rechtssache auch grundsätzliche Bedeutung.
Daraus folgt jedoch nicht die Entscheidungserheblichkeit der als divergierend entschieden, bzw grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage, für die angestrebte Entscheidung des Revisionsgerichts. Das BSG hätte nach Zulassung der Revision zu entscheiden, ob dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Arbeitslosenhilfe -Alhi- (jedenfalls) in dem Umfange zusteht, in dem das LSG ihn zuerkannt hat. Dies erforderte eine Prüfung des Klageanspruchs unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt. Ergäbe sich dabei, daß das BSG die Entscheidung des LSG aus anderen Gründen zu bestätigen hätte als denen, die dem Zulassungsbegehren der Beschwerdeführerin zugrundegelegt sind, käme es auf jene nicht an. Nach den Feststellungen des LSG ist das für den vorliegenden Fall nicht von der Hand zu weisen.
Es ist schon zweifelhaft, ob das BSG der Rechtsauffassung des LSG beizupflichten hätte, der Kläger habe erst am 2. Oktober 1978 den Antrag auf Alhi gestellt. Festgestellt dazu ist lediglich, daß der Kläger am 3. Oktober 1978 den von der Beklagten ihm am 2. Oktober 1978 ausgehändigten Antragsvordruck für die Beantragung von Alhi unterzeichnet hat. Dies müßte aber nicht der dem BSG in Abweichung vom LSG erlaubten rechtlichen Schlußfolgerung entgegenstehen, daß ein Arbeitsloser, der Leistungen erhalten möchte, schon mit der bloßen "Arbeitslosmeldung" wirksam einem Leistungsbegehren hinreichend Ausdruck verleiht (vgl § 16 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch -SGB 1-; s auch Hennig/Kühl/Heuer, Komm z AFG, Erl 6 zu § 100). Würde das BSG nach Zulassung der Revision mit dieser Begründung die Entscheidung des LSG bestätigen, beruhte diese nicht auf der behaupteten Divergenz.
Angesichts der vorhandenen Feststellungen des LSG zu den Vorgängen um die Arbeitslosmeldung des Klägers am 4. Juli 1978 drängt sich darüber hinaus die Rechtsfrage auf, ob selbst bei fehlender ausdrücklicher Antragstellung an diesem Tage die Beklagte dem Kläger nicht jedenfalls so zu stellen hätte, als ob er diesen Antrag angebracht habe. Hat der Kläger nämlich an diesem Tage im Arbeitsamt mit dem für ihn zuständigen Arbeitsvermittler in der festgestellten Weise gesprochen, so könnte dieser - ungeachtet der Frage, ob er eine Arbeitslosmeldung und Antragstellung zu diesem Zeitpunkt für sinnvoll gehalten haben mag - verpflichtet gewesen sein, den Kläger auf den durch Zeitablauf drohenden Verlust seines Alhi-Anspruchs hinzuweisen und ihn in dieser Frage sachgerecht zu beraten. Eine pflichtwidrige Unterlassung dessen könnte als kausal für die unterbliebene rechtzeitige Antragstellung zu erachten sein und die Beklagte im Wege des sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs für verpflichtet gehalten werden, durch eine hier zulässige Amtshandlung den Zustand herzustellen, der bei pflichtgemäßem Handeln eingetreten wäre, dh für ihren Leistungsbescheid von einer rechtzeitigen Antragstellung auszugehen. Auf eine solche rechtliche Betrachtung durch das BSG hätte es auch keinen Einfluß, daß das LSG den Anspruch erst für die Zeit ab 2. Oktober 1978 zuerkannt hat.
Auch wenn die Frage der Begründetheit des Klageanspruchs unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vom LSG nicht erörtert worden ist, handelt es sich hier nach den feststehenden tatsächlichen Vorgängen um eine naheliegende rechtliche Gestaltung, zumal angesichts der zahlreichen Entscheidungen des BSG zu diesem Rechtsinstitut (vgl zB das Urteil des Senats vom 15. Mai 1985 - 7 RAr 103/83 - mwN). Die Beklagte hätte deshalb darlegen müssen, warum weder aus diesem Rechtsgrunde noch aus einer rechtlichen Würdigung der festgestellten Arbeitslosmeldung des Klägers vom 4. Juli 1978 auf eine wirksame rechtzeitige Antragstellung geschlossen werden dürfte. Nur in diesem Falle würde es nämlich entscheidungserheblich darauf ankommen, ob für eine erst zum 2. Oktober 1978 wirksame Antragstellung eine bloße Arbeitslosmeldung am 4. Juli 1978 genügen konnte oder nicht.
Mithin ergibt das Vorbringen der Beklagten nicht, daß das BSG nach Zulassung der Revision die als divergierend und zugleich als grundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage überhaupt entscheiden müßte. Vielmehr bleibt die Möglichkeit offen, daß es die Entscheidung des LSG aus anderen Gründen zu bestätigen hätte. Damit fehlt die schlüssige Darlegung, daß das Urteil des LSG auf der behaupteten Divergenz beruht, bzw daß die als grundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage klärungsfähig ist. Die Beschwerde muß deshalb als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen