Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtssache. Grundsätzliche Bedeutung. Darlegung. Abstrakte Rechtsfrage. Klärungsbedürftigkeit. Klärungsfähigkeit. Verfahrensmangel. Schlüssige Bezeichnung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird, die klar zu formulieren ist, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung prüfen zu können, und es muss aufgezeigt werden, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist.
2. Die schlüssige Bezeichnung eines Verfahrensmangels erfordert zumindest, dass in der Beschwerdebegründung, anhand der allein das Vorliegen des geltend gemachten Verfahrensmangels zu prüfen ist, die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden, da es nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts ist, sich den Sachverhalt, der zu dem Begehren und dem Vorbringen des Beschwerdeführers passen könnte, aus den Verfahrensakten herauszusuchen und zu ermitteln, was möglicherweise zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte; dem BSG muss es vielmehr grundsätzlich allein aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers möglich sein zu beurteilen, ob die Revision zuzulassen ist oder nicht.
Normenkette
SGG §§ 62, 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; SGB X § 43; SGB II § 42a
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. Juni 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG).
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (Nr 3).
Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensmangels hat der Kläger in der Begründung der Beschwerde nicht schlüssig dargelegt oder bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung prüfen zu können (Krasney in Krasney/Udsching, Hdb SGG, 7. Aufl 2016, IX. Kap RdNr 181). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr 16).
Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Den Ausführungen des Klägers können keine abstrakten Rechtsfragen entnommen werden, soweit er als Fragen formuliert, "inwieweit zugunsten des Beschwerdeführers ein Verschonungstatbestand insoweit vorlag, weil Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfolgten" und "inwieweit hier von einer besonderen Härte auszugehen ist". Beide Fragen zielen auf die vom Kläger für fehlerhaft gehaltene Rechtsanwendung in seinem Einzelfall, was nicht zur die Zulassung einer Revision führen kann.
Die Klärungsbedürftigkeit ist - unabhängig davon, dass eine Rechtsfrage klar zu formulieren ist - nicht dargelegt, soweit dem Vorbringen des Klägers sinngemäß entnommen werden kann, dass er die Bewertung der Wahl der falschen Rechtsgrundlage durch das LSG als unschädlich für falsch hält. Hierzu hätte es neben der Nennung der "falschen" und "richtigen" Rechtsgrundlage einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG zur Unschädlichkeit des Austauschs der Rechtsgrundlage (vgl BSG vom 10.9.2013 - B 4 AS 89/12 R - BSGE 114, 188 = SozR 4-4200 § 11 Nr 62, RdNr 29), bedurft; ggf wäre - was mangels einer hinreichenden Darstellung des Sachverhalts offen ist - auf die Frage der Umdeutung nach § 43 SGB X einzugehen gewesen.
Die Fragen, "inwieweit Mängel der Darlehensbescheide auf spätere Verfahren durchschlagen", "inwieweit die Verwertung einer Lebensversicherung zur Altersarmut führt" sowie "inwieweit eine Vereinbarung über die Rückzahlung des ausstehenden Betrags gemäß § 42a SGB II zu treffen ist", haben zwar auch einen abstrakten Bezug, wegen einer fehlenden verständlichen Darstellung des Sachverhalts in der Beschwerdebegründung ist anhand der Beschwerdebegründung aber nicht erkennbar, inwiefern es anhand der Feststellungen des LSG auf die Beantwortung dieser Fragen im Revisionsverfahren ankommen kann. Deshalb fehlt es an der Darlegung der Klärungsfähigkeit.
Ein Verfahrensmangel ist mit der Beschwerdebegründung nicht hinreichend bezeichnet.
Die schlüssige Bezeichnung eines Verfahrensmangels erfordert zumindest, dass in der Beschwerdebegründung, anhand der allein das Vorliegen des geltend gemachten Verfahrensmangels zu prüfen ist, die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl zu diesen Anforderungen Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 13e, 16, 19; Voelzke in jurisPK-SGG, 2017, § 160a RdNr 136, 139, 235, 245). Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich den Sachverhalt, der zu dem Begehren und dem Vorbringen des Beschwerdeführers passen könnte, aus den Verfahrensakten herauszusuchen und zu ermitteln, was möglicherweise zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte; dem BSG muss es vielmehr grundsätzlich allein aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers möglich sein zu beurteilen, ob die Revision zuzulassen ist oder nicht (so Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 13e mwN). Regelmäßig ist daher in der Beschwerdebegründung auch der Sachverhalt so zu schildern, dass das Gericht dadurch ohne Weiteres in die Lage versetzt wird, ausgehend von der Rechtsansicht des Beschwerdeführers zu prüfen, ob das verfolgte Begehren durchgreifen kann (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 62; BSG Beschlüsse vom 23.6.2009 - B 7 AL 23/09 B - RdNr 8, vom 27.1.2011 - B 8 SO 60/10 B - RdNr 10 und vom 27.7.2011 - B 14 AS 3/11 B - RdNr 5). Soweit bestimmte Erklärungen des LSG von Bedeutung sind, ist die Aktenstelle, aus der sich diese Erklärung ergeben soll, genau anzugeben (vgl Becker, SGb 2007, 328, 330). Daran fehlt es hier.
Der Kläger rügt, entscheidend sei auch die Frage gewesen, "inwieweit zu seinen Gunsten ein Verschonungstatbestand insoweit vorlag, weil Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfolgen. Das Gericht hat insoweit rechtliches Gehör nicht gewährt.", ein Schreiben des Berichterstatters sei nicht ausreichend gewesen, es sei keine Fristsetzung erfolgt, ihm sei nämlich nicht klar gewesen, dass die Entscheidung des LSG hiervon maßgeblich habe abhängen sollen und er hätte sich ansonsten bemüht, ein entsprechendes Schreiben zu besorgen.
Soweit die Rüge des Klägers auf eine fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts durch das LSG abzielt, worauf die Bezugnahme auf einen möglicherweise vorliegenden "Verschonungstatbestand" hindeutet, kann die mit der Rüge eines Verfahrensmangels begründete Nichtzulassungsbeschwerde hierauf nicht zulässig gestützt werden. Wegen des vom Kläger im Hinblick auf seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) für unzureichend gehaltenen gerichtlichen Hinweises fehlt es schon an der Angabe einer Fundstelle oder der Wiedergabe des Inhalts dieses Hinweises. Daher kann anhand der Beschwerdebegründung nicht beurteilt werden, welche Bedeutung ein Anhörungsmangel für den Ausgang des Verfahrens - im Sinne eines "Beruhen-Könnens" - gehabt haben könnte.
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14285365 |