Verfahrensgang
SG Mainz (Entscheidung vom 21.05.2021; Aktenzeichen S 12 R 273/16) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 13.12.2021; Aktenzeichen L 2 BA 21/21) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. Dezember 2021 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 208 938,56 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit einer anlässlich einer Betriebsprüfung erhobenen Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 208 938,56 Euro für den Zeitraum vom 1.1.2010 bis zum 30.4.2011.
Die Klägerin betreibt ein Zeitarbeitsunternehmen. Im streitigen Zeitraum beschäftigte sie ca 987 Arbeitnehmer. In den von ihr geschlossenen Arbeitsverträgen war die Geltung des Tarifvertragswerks der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) vereinbart. Nachdem das Bundesarbeitsgericht (BAG) durch Beschluss vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 - die Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP bestätigt hatte, forderte die Beklagte die genannten Sozialversicherungsbeiträge nach (Bescheid vom 5.8.2015, Widerspruchsbescheid vom 19.4.2016). Das SG Mainz hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.5.2021), das LSG Rheinland-Pfalz hat die Berufung zurückgewiesen. Die rückwirkend ab 1.5.2011 durchgeführte Umstellung der Arbeitsverträge auf das Tarifwerk der "BZA/DGB Tarifgemeinschaft" mit Wirkung ab 1.1.2010 rechtfertige nicht eine Abweichung vom Gleichstellungsgebot bezüglich der bereits vor dem 1.5.2011 bei der Klägerin beschäftigten Arbeitsnehmer. Denn auch insoweit gelte, dass ein von der Gleichstellungspflicht abweichender Tarifvertrag bei Abschluss der arbeitsvertraglichen Vereinbarung wirksam sein müsse. Bei Abschluss der Arbeitsverträge vor dem 1.5.2011 entfalte aber das Tarifwerk der "BZA/DGB Tarifgemeinschaft" noch keine Wirksamkeit für die Klägerin und ihre vor dem 1.5.2011 eingestellten Beschäftigten (Urteil vom 13.12.2021).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Mit der Begründung des Rechtsmittels durch den fristgerecht eingegangenen Schriftsatz vom 2.2.2022 ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet worden. Nach § 160a Abs 2 Satz 1 SGG ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Das Urteil des LSG ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 3.1.2022 zugestellt worden. Die Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten vom 23.3.2022 und vom 21.6.2022 sind daher nicht geeignet, die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zulässig zu begründen. Eine nach Fristablauf eingehende Begründung ist nur zu berücksichtigen, wenn sie das bisher Vorgetragene lediglich verdeutlicht (vgl BSG Beschluss vom 13.6.2001 - B 10/14 EG 4/00 B - juris RdNr 13).
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2. das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3. ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Die Gründe, die zur Zulassung der Revision führen können, sind damit abschließend aufgezählt. Die Behauptung, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei inhaltlich unrichtig, kann im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18).
In der fristgerecht eingegangenen Beschwerdebegründung vom 2.2.2022 werden aber weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch eine Divergenz oder ein Verfahrensmangel hinreichend dargelegt oder bezeichnet. Die Beschwerdebegründung benennt ausdrücklich keinen dieser Gründe.
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat die Klägerin auch nicht sinngemäß hinreichend dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf und fähig ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN).
In der Beschwerdebegründung wird keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) konkret formuliert. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN). Die Klägerin formuliert auf Seite 3 der Beschwerdebegründung vom 2.2.2022, im vorliegenden Einzelfall dürfte eine Rückwirkung entgegen der grundsätzlichen Rechtsprechung zur Frage, ob eine arbeitsrechtlich zulässige Rückwirkung auf das Sozialrecht wirke, als zulässig angesehen werden. Damit stellt sie eine Frage in den Raum, ohne den rechtlichen Kontext zu einer Norm des Bundesrechts aufzuzeigen und damit eine konkrete Rechtsfrage aufzuzeigen.
Unabhängig hiervon legt die Klägerin weder in der Beschwerdebegründung vom 2.2.2022 noch in dem nach Ablauf der Begründungsfrist eingegangenen Schriftsatz vom 21.6.2022 die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage hinreichend dar. Unter Bezugnahme auf Entscheidungen des BAG führt sie sinngemäß aus, ein rückwirkender Austausch eines in Bezug genommenen Tarifvertrags sei - zusammenfassend - zivil- und arbeitsrechtlich anerkannt, dem müsse das sozialrechtliche Entstehungsprinzip Rechnung tragen. Hierbei unterlässt sie die gebotene vertiefte Darlegung, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Austausch des in Bezug genommenen Tarifvertrags im Recht der Arbeitnehmerüberlassung insbesondere vor dem Hintergrund von § 9 Nr 2 AÜG(in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 28.4.2011, BGBl I 642) unter besonderer Berücksichtigung des sozialrechtlichen Entstehungsprinzips zulässig sein kann. Die bloße Forderung, das sozialrechtliche Entstehungsprinzip sei entsprechend an die vermeintliche zivil- und arbeitsrechtliche Lage anzupassen, ist insoweit nicht ausreichend.
Schließlich legt die Klägerin auch im Übrigen die Klärungsfähigkeit nicht hinreichend dar. Sie betont die Besonderheiten des Einzelfalls, ohne aufzuzeigen, aufgrund welcher Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) dem BSG in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Entscheidung über die sinngemäß in den Raum gestellte Frage möglich wäre. Hierzu hätte insbesondere deshalb Anlass bestanden, weil eine rückwirkende in Bezugnahme eines anderen Tarifvertrags - seine grundsätzliche Zulässigkeit unterstellt - ua Aufklärungspflichten hinsichtlich der betroffenen Arbeitnehmer nach sich gezogen hätte (vgl zB zur Frage des Umfangs einer Inbezugnahme BAG Urteil vom 16.10.2019 - 4 AZR 66/18 - BAGE 168, 96 RdNr 25 ff). Aufgrund welcher Tatsachenfeststellungen des LSG hierüber eine Revisionsentscheidung möglich wäre, legt die Klägerin nicht dar.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 161 Abs 1, § 154 Abs 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15615652 |