Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Begründung: Klarheit. Verständlichkeit. Übersichtlichkeit

 

Orientierungssatz

1. Allgemein muss die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde iS des § 160a Abs 2 S 3 SGG eine Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs durch den beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten erkennen lassen sowie einen hinreichend geordneten Vortrag enthalten. Bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch verlangt das "Darlegen" und das "Bezeichnen" ein Mindestmaß an Klarheit, Verständlichkeit und Übersichtlichkeit der Ausführungen. Gerade dies ist einer der Gründe dafür, dass die Nichtzulassungsbeschwerde dem Vertretungszwang unterliegt (vgl § 166 SGG).

2. Welche Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im Einzelnen zu stellen sind, ist nach den jeweiligen Umständen zu beurteilen. Eine umfangreiche Beschwerdebegründung entspricht jedenfalls dann nicht den formellen Erfordernissen, wenn die Ausführungen zu den Zulassungsgründen in unübersichtlicher, ungegliederter, unklarer, kaum auflösbarer Weise mit Einlassungen zu irrevisiblen oder für das Beschwerdegericht sonst unerheblichen Fragen vermengt sind. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus einem derartigen Gemenge das herauszusuchen, was möglicherweise - bei wohl wollender Auslegung - zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte. Eine solche Verpflichtung des Beschwerdegerichts lässt sich aus Art 19 Abs 4 oder Art 103 GG nicht entnehmen (vgl BSG vom 12.5.1999 - B 4 RA 181/98 B = SozR 3-1500 § 160a Nr 26).

 

Normenkette

SGG § 160a Abs. 2 S. 3; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 103

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 27.11.2003; Aktenzeichen L 15 V 55/99)

SG München (Entscheidung vom 30.09.1999; Aktenzeichen S 29 V 105/97)

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob beim Kläger weitere Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz anzuerkennen sind, die festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) über 40 vH - auch wegen besonderer beruflicher Betroffenheit - zu erhöhen ist und ihm Berufsschadensausgleich zusteht. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 27. November 2003 dem Begehren insoweit stattgegeben, als beim Kläger ab 1. Januar 1990 Anspruch auf Versorgung nach einer MdE um 50 vH besteht; die darüber hinaus begehrte Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen, Feststellung einer MdE von mindestens 70 vH sowie Gewährung von Berufsschadensausgleich hat es abgelehnt. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen hat der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Er macht Verfahrensfehler geltend.

Die Beschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Beschwerdebegründung einen Zulassungsgrund iS von § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG nicht ordnungsgemäß dargetan (zu 1). In keinem der von ihm aufgeführten Gliederungspunkte bezeichnet er formgerecht einen Verfahrensfehler (zu 2).

1. Nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Zulässiger Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist hingegen nicht, ob das Berufungsurteil in der Sache richtig ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Hinsichtlich der hier allein geltend gemachten Verfahrensmängel ist besonders zu beachten, dass ein solcher Fehler gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 (freie richterliche Beweiswürdigung) SGG und auf eine Verletzung des § 103 (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) SGG nur gestützt werden kann, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Allgemein muss die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde eine Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs durch den beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten erkennen lassen sowie einen hinreichend geordneten Vortrag enthalten. Bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch verlangt das "Darlegen" und das "Bezeichnen" ein Mindestmaß an Klarheit, Verständlichkeit und Übersichtlichkeit der Ausführungen. Gerade dies ist einer der Gründe dafür, dass die Nichtzulassungsbeschwerde dem Vertretungszwang unterliegt (vgl § 166 SGG). Welche Anforderungen dabei im Einzelnen zu stellen sind, ist nach den jeweiligen Umständen zu beurteilen. Eine umfangreiche Beschwerdebegründung entspricht jedenfalls dann nicht den formellen Erfordernissen, wenn die Ausführungen zu den Zulassungsgründen in unübersichtlicher, ungegliederter, unklarer, kaum auflösbarer Weise mit Einlassungen zu irrevisiblen oder für das Beschwerdegericht sonst unerheblichen Fragen vermengt sind. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus einem derartigen Gemenge das herauszusuchen, was möglicherweise - bei wohl wollender Auslegung - zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte. Eine solche Verpflichtung des Beschwerdegerichts lässt sich aus Art 19 Abs 4 oder Art 103 Grundgesetz (GG) nicht entnehmen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 mwN zur Rspr des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts).

Der Kläger hat einen siebenundachtzigseitigen Begründungsschriftsatz vorgelegt, dessen (rechtlicher) Abschnitt II auf 84 Schreibmaschinenseiten in 28 mit arabischen Ziffern gekennzeichnete Abschnitte gegliedert ist, wobei die Gliederungspunkte 14, 16, 17 und 23 doppelt vergeben wurden. Inhaltlich erfüllen diese Ausführungen nicht die vorgenannten Erfordernisse.

Zunächst wird behauptet (Seite 3 unten der Beschwerdebegründungsschrift), es würden Verfahrensmängel gerügt, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen könne. Mit der sich anschließenden formalen Gliederung wird erkennbar beansprucht, jeweils diese Verfahrensrügen darzulegen. Dass dieses Vorhaben nicht durchgehalten wird, zeigen etwa die Punkte 5 (Verletzung von Art 3 GG), 8 (Verletzung von Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes) und 10 (Erhebung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs). Soweit sich der Kläger erkennbar mit Verfahrensfragen befasst, wie beispielsweise unter Gliederungspunkt 11, verliert er sich von Seite 18 bis Seite 33 des Begründungsschriftsatzes in Einzelheiten des Sachverhalts und der Beweiswürdigung, ohne die sich aus § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ergebene Unmöglichkeit zu berücksichtigen, die Nichtzulassungsbeschwerde auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG zu stützen. Entsprechendes gilt für den Gliederungspunkt 12, der auf den Seiten 33 bis 44 die Beweiswürdigung durch die Vorinstanzen, insbesondere hinsichtlich der ausgewerteten Gutachten zum Gegenstand hat. Eine Einordnung des Beschwerdevorbringens unter die in § 160 Abs 2 SGG genannten rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte ist für das Beschwerdegericht insgesamt nicht nachvollziehbar. Schon ein Verstehen des Vorbringens setzt voraus, dass das Beschwerdegericht die dem Prozessbevollmächtigten obliegende Aufbereitung des Prozessstoffs selbst vornimmt.

2. Darüber hinaus hat der Kläger den von ihm allein geltend gemachten Zulassungsgrund des Vorliegens eines Verfahrensmangels in keinem der aufgezeigten Punkte ordnungsgemäß bezeichnet.

Bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels müssen die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Werden - wie hier vom Kläger - Verstöße gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, auf Grund deren bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35 und § 160a Nr 24, 34).

Bereits unschlüssig ist die Behauptung des Klägers, der beklagte Freistaat Bayern sei vom LSG - nach Wohnsitzwechsel des Klägers - nicht mehr als Beteiligter behandelt worden (Gliederungspunkt 1). Das angegriffene Berufungsurteil weist den Freistaat Bayern als Beklagten aus. Soweit der Kläger (konkludent) die rechtliche Würdigung durch das LSG angreift, kann er damit ebenso wenig durchdringen, wie mit der Rüge einer mangelnden Aufklärung des Sachverhalts, der er lediglich seine eigene Rechtsansicht zu Grunde legt (vgl Gliederungspunkte 3, 4, 5, 8, 9, 10, 21, 23 ≪S 78 ff der Beschwerdebegründungsschrift≫). Die Behauptung einer Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) kann schon nach dem Gesetzeswortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl die Gliederungspunkte 6, 11, 12, 14 ≪S 45 aaO≫, 16 ≪S 69≫, 18, 19, 20, 22, 23 ≪S 75≫, 24). Weiter benennt er (unter Gliederungspunkt 13) nicht die Tatsachen, auf denen der Verfahrensmangel ("übergangener Anspruch auf Kann-Versorgung") beruhen soll oder er legt nicht dar, dass ein - für das BSG auffindbarer (Angabe fehlt bei Punkt 14 ≪S 60≫) - Beweisantrag, den er in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellt oder aufrechterhalten hat (Angaben fehlen bei Punkten 12, 13 und 15), vom Berufungsgericht ohne hinreichenden Grund übergangen worden sei (vgl Punkte 13, 17 ≪S 71≫).

Wird - wie hier - eine Verletzung des Anspruchs eines Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör (Art 103 GG; §§ 62, 128 Abs 2 SGG) gerügt, muss vorgetragen werden, welcher erhebliche Vortrag nicht zur Kenntnis genommen oder welches Vorbringen verhindert worden ist und inwiefern das Urteil darauf beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSGE 69, 280, 284 = SozR 3-4100 § 128a Nr 5). Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Rüge ist darüber hinaus, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG vom 5. Oktober 1998 - B 13 RJ 285/97 B -; Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Aufl, § 62 RdNr 11c). Diesen Anforderungen genügt die unter Punkt 17 (S 73) erhobene Rüge nicht. Die gerügte Dauer des Verwaltungsverfahrens (Punkt 7) betrifft nicht einen Fehler im Verfahren des Berufungsgerichts.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160 Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG abgesehen.

Die danach nicht formgerecht begründete, mithin unzulässige Beschwerde ist nach § 160a Abs 1 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1755806

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