Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.07.2017; Aktenzeichen L 2 R 2085/17) |
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 28.04.2017; Aktenzeichen S 12 R 2393/16) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juli 2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Mit Urteil vom 19.7.2017 hat das LSG Baden-Württemberg entschieden, dass das SG die am 7.7.2016 erhobene Untätigkeitsklage des Klägers zu Recht abgewiesen habe. Eine Untätigkeit bezüglich des klägerischen Antrags vom 13.4.2012 auf Umschulung zum technischen Produktdesigner liege nicht vor; insoweit hat das Berufungsgericht auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheids in erster Instanz Bezug genommen. Das SG hat darauf abgestellt, dass die Beklagte bereits mit Bescheid vom 17.8.2015 die begehrte Umschulung zum technischen Produktdesigner oder Mediengestalter abgelehnt habe und sowohl der Widerspruch als auch die Klage dagegen erfolglos geblieben seien.
Den in der Berufungsbegründung erhobenen Vorwurf des Klägers, er sei vom SG nicht zum Erlass des Gerichtsbescheids nach § 105 Abs 1 S 2 SGG angehört worden, hat das LSG im Urteil als unrichtig zurückgewiesen; der Kläger habe auf einen entsprechenden Hinweis des SG tatsächlich Stellung genommen.
Mit Beschluss vom 18.7.2017 hat das LSG ein Ablehnungsgesuch des Klägers gegen die Senatsmitglieder als unzulässig verworfen.
Mit Eingang beim BSG am 23.8.2017 hat der Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision in dem am 26.7.2017 zugestellten Urteil beantragt. Er rügt einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 S 2 GG, weil der Senat nicht selbst über das Ablehnungsgesuch hätte entscheiden dürfen. Außerdem habe das LSG gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art 103 Abs 1 GG verstoßen und auch das Recht auf faires Verfahren durch die Gestaltung der mündlichen Verhandlung als "Massenaburteilung im Schnellgang" verletzt. Das Urteil sei ohne Begründung.
II
Der Antrag des Klägers auf PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen, weil die Nichtzulassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1, § 121 Abs 1 ZPO). Es ist nicht zu erkennen, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gegen das Urteil vom 19.7.2017 erfolgreich zu begründen. Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Solche Zulassungsgründe sind nach Prüfung des Streitstoffs unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers in seinem Schreiben vom 21.8.2017 nicht ersichtlich.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), denn sie wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen ebenso wenig.
Es liegt auch kein Verfahrensmangel vor. Ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) durch das Berufungsgericht ist nicht ersichtlich. Das LSG hat sich mit dem Vorbringen des Klägers in der Berufungsbegründung insbesondere zu der angeblich fehlenden Anhörung nach § 105 Abs 1 S 2 SGG hinreichend auseinandergesetzt, indem es den Vorwurf zutreffend als unrichtig erkannt hat; der Kläger hat im SG-Verfahren (S 12 R 2393/16) auf die gerichtliche Anhörung zur angekündigten Möglichkeit eines Gerichtsbescheids ausdrücklich Stellung genommen.
Ebenso wenig könnte ein beim BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter mit dem Vortrag durchdringen, die abgelehnten Richter hätten nicht selbst über das Ablehnungsgesuch des Klägers mit Beschluss vom 18.7.2017 (L 2 SF 2773/17 AB) entscheiden dürfen.
Das Revisionsgericht ist im Hinblick auf § 557 Abs 2 ZPO (iVm § 202 S 1 SGG) grundsätzlich an Entscheidungen gebunden, die der Endentscheidung des LSG vorausgegangen sind, sofern sie unanfechtbar sind. Dies gilt auch für Entscheidungen der Vorinstanz, die ein Ablehnungsgesuch unter fehlerhafter Anwendung einfachen Rechts zurückgewiesen haben (§§ 60, 177 SGG; vgl hierzu entsprechend BVerfGE 31, 145, 164; BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 RdNr 5 mwN). Allerdings ist das Revisionsgericht in engen Ausnahmen wegen eines fortwirkenden Verstoßes gegen das Gebot des gesetzlichen Richters iS des Art 101 Abs 1 S 2 GG an die Zurückweisung von Ablehnungsgesuchen, die der Endentscheidung des LSG vorausgegangen sind, dann nicht gebunden, wenn die zuvor erfolglos abgelehnten Richter an der Endentscheidung des LSG mitgewirkt haben. Die Bindung des Revisionsgerichts fehlt dann, wenn die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auf willkürlichen manipulativen Erwägungen beruht oder wenn die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs jedenfalls darauf hindeutet, dass das Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 S 2 GG grundlegend verkannt hat (stRspr, zB BSG Beschluss vom 27.10.2009 - B 1 KR 68/09 B - Juris RdNr 6).
Ein solcher Verstoß liegt hier nicht deshalb vor, weil die abgelehnten Richter selbst über das Ablehnungsgesuch entschieden haben. Ein Ablehnungsantrag hat zwar zur Folge, dass abgelehnte Richter nur unaufschiebbare Prozesshandlungen vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs vornehmen dürfen (§ 60 Abs 1 SGG, § 47 ZPO). Daher ist über den Ablehnungsantrag grundsätzlich ohne die abgelehnten Richter von dem zuständigen Senat mit den nach der Geschäftsordnung berufenen Vertretern zu entscheiden. Art 101 Abs 1 S 2 GG lässt aber in dem Fall eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs ausnahmsweise eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über das Gesuch zu (stRspr, vgl ua BSG Beschluss vom 27.10.2009 - B 1 KR 68/09 B - Juris RdNr 7, 10; vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 20.7.2007 - 1 BvR 2228/06 - Juris RdNr 20 ff mwN). Eine solche Selbstentscheidung gerät mit der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 S 2 GG nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 2.6.2005 - 2 BvR 625/01 - BVerfGK 5, 269, 281 f - Juris RdNr 54). Insoweit ist allerdings eine enge Auslegung geboten. Eine völlige Ungeeignetheit eines Ablehnungsgesuchs ist nur anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Ist hingegen eine - wenn auch nur geringfügige - Befassung mit dem Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet eine Ablehnung als unzulässig aus, denn diese würde Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 S 2 GG grundlegend verletzen.
Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Soweit der Kläger meint, das Berufungsgericht habe sich hier zum Richter in eigener Sache gemacht, weil es sich im Beschluss über das Ablehnungsgesuch mit dessen Begründung auseinandergesetzt habe und damit auf den Verfahrensgegenstand eingegangen sei, trifft dies nicht zu. Wenn das LSG in seinem Beschluss zunächst die Begründung des Klägers wiedergibt, erfüllt es damit lediglich seine Pflicht, das Ablehnungsgesuch seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 24.2.2006 - 2 BvR 836/04 - BVerfGK 7, 325, 340 - Juris RdNr 50). Zudem muss ein abgelehnter Richter, der über ein ihn betreffendes Befangenheitsgesuch entscheidet, begründen, weshalb das Gesuch rechtsmissbräuchlich ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 60 RdNr 10d).
Die abgelehnten Richter setzen sich insoweit nicht inhaltlich mit der vom Kläger als Befangenheitsgrund gerügten Verletzung des rechtlichen Gehörs in dem vorangegangenen PKH-Beschluss auseinander, sondern verweisen insoweit auf die vom Kläger bereits - mit gleicher Begründung - erhobene Anhörungsrüge als den verfahrensrechtlich vorgesehenen Weg. Dies stellt keinen Verfahrensfehler dar. Denn das Mittel der Richterablehnung ist grundsätzlich nicht geeignet, sich gegen unrichtige bzw für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren, gleichgültig, ob diese Ansichten formelles oder materielles Recht betreffen. Aus der in einer früheren richterlichen Entscheidung - hier über die PKH - vertretenen Rechtsansicht kann selbst dann kein Ablehnungsgrund hergeleitet werden, wenn diese Auffassung falsch sein sollte. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Gründe dargetan sind, die dafür sprechen, dass die Fehlerhaftigkeit gerade auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 2.6.2005 - 2 BvR 625/01 ua - Juris RdNr 63; BSG Beschluss vom 19.1.2010 - B 11 AL 13/09 C - SozR 4-1500 § 60 Nr 7 RdNr 13; BFH vom 16.1.2007 - VII S 23/06 ≪PKH≫ - Juris RdNr 7; BVerwG vom 16.10.2007 - 2 B 101/07 - Juris RdNr 4; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 60 RdNr 10b). Solche Gründe, die über die Rüge einer Gehörsverletzung im PKH-Beschluss hinausgehen, sind hier nicht ersichtlich; sie liegen nicht allein deshalb vor, weil der Kläger den PKH-Beschluss als "nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar" bezeichnet hat. Der Kläger greift damit allein die inhaltliche Richtigkeit der getroffenen Entscheidung an. Dies zeigt sich auch daran, dass er sämtliche beteiligte Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat. Vor diesem Hintergrund ist die Wertung des LSG, dass das kurz vor dem Termin der mündlichen Verhandlung erhobene Ablehnungsgesuch wegen des PKH-Beschlusses nur dem verfahrensfremden Zweck diene, eine Entscheidung durch die bisher zuständigen Richter zu verhindern (vgl Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl 2017, § 60 SGG RdNr 149), nicht zu beanstanden.
Ein Verfahrensfehler ist auch nicht wegen der vom Kläger sinngemäß gerügten Dauer der mündlichen Verhandlung ersichtlich. Eine Mindest- oder Regeldauer der mündlichen Verhandlung (§ 124 SGG) ist nicht vorgeschrieben; diese hat sich vielmehr an den Umständen des Einzelfalls zu orientieren. Die sich aus der Niederschrift vom 19.7.2017 ergebende Dauer des Termins zu den Verfahren des Klägers (12.00 bis 12.35 Uhr) kann angesichts der Einfachheit des Streitgegenstandes und der Abwesenheit des Klägers im Termin nicht als "unfaire Aburteilung im Schnellgang" gewertet werden.
Ebenso wenig trifft es zu, dass das Urteil des LSG keine Begründung hat. Es durfte sich nach § 153 Abs 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des SG beziehen und sich auf Ausführungen zu den Verfahrensrügen des Klägers beschränken.
Da dem Kläger somit keine PKH zu bewilligen war, hat er nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO auch keinen Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts.
Fundstellen
Dokument-Index HI11385769 |