Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Klärungsbedürftigkeit. Rechtsfrage. Gefahrtarif. Gewerbezweig

 

Leitsatz (redaktionell)

Jedenfalls ist die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage nicht aufgezeigt worden, wenn nicht unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgetragen worden ist, dass das Bundessozialgericht noch keine einschlägigen Entscheidungen getroffen hat oder durch schon vorliegende Urteile die jeweils für klärungsbedürftig erachtete Frage nicht oder nicht umfassend beantwortet sein soll.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, §§ 162, 169

 

Verfahrensgang

Sächsisches LSG (Urteil vom 21.04.2016; Aktenzeichen L 2 U 80/14)

SG Chemnitz (Aktenzeichen S 8 U 218/13)

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 21. April 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde.

Der Streitwert wird für das Klage-, Berufungs- und Beschwerdeverfahren auf 45 786,08 Euro für die Klägerin zu 1. und jeweils 688,66 Euro für die Klägerin zu 2. und den Kläger zu 3. festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG). Die Kläger haben entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht hinreichend dargelegt.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine konkrete Rechtsfrage zu einer Norm des Bundesrechts aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher anzugeben, welche rechtlichen Fragen sich zu einer bestimmten Vorschrift des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellen. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig ist (BSG vom 19.4.2012 - B 2 U 348/11 B - juris RdNr 20 mwN). Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17). Diesen Anforderungen, deren Verfassungsmäßigkeit das BVerfG bestätigt hat (vgl nur BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f), genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Kläger mit der jeweils aufgeworfenen Frage eine Rechtsfrage iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit von Bundesrecht mit höherrangigem Recht bezeichnet haben oder ob lediglich das Ergebnis eines Subsumtionsvorgangs im Einzelfall betroffen ist. Jedenfalls ist die jeweilige Klärungsbedürftigkeit nicht aufgezeigt worden. Hierfür hätten die Kläger unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung vortragen müssen, dass das BSG noch keine einschlägigen Entscheidungen getroffen hat oder durch schon vorliegende Urteile die jeweils für klärungsbedürftig erachtete Frage nicht oder nicht umfassend beantwortet sein soll (BSG vom 19.4.2012 - B 2 U 348/11 B - juris RdNr 29). Der schlichte Hinweis, dass die aufgeworfene(n) Frage(n) vom BSG noch nicht entschieden worden sei(en), reicht nicht aus, um (weiteren) höchstrichterlichen Klärungsbedarf darzutun. Um die Klärungsbedürftigkeit aufzuzeigen, genügt es auch nicht, vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer bestimmten Norm auf ihre unmittelbar in der Fragestellung zum Ausdruck kommende thematische Einschlägigkeit hin zu untersuchen. Hat das BSG eine aufgeworfene Frage noch nicht ausdrücklich entschieden, ist vielmehr zusätzlich darzulegen, dass bislang auch keine höchstrichterlichen Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Frage(n) geben (BSG vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen - RdNr 7; vgl auch BSG vom 2.9.2008 - B 2 U 196/07 B - LSV RdSchr V 60/2008 und vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6). An einer gebotenen Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG in diesem Sinn fehlt es hier.

Die Beschwerdebegründung lässt bereits eine differenzierte, auf die jeweils aufgeworfene Frage abgestellte Darlegung der Klärungsbedürftigkeit vermissen. Darüber hinaus haben die Kläger unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Senats die danach "für eine Bildung von Gewerbezweigen und eine Zuordnung" heranzuziehenden "Kriterien und Maßstäbe" selbst dargelegt. Sie weisen insoweit darauf hin, dass hinsichtlich dieser Kriterien "ein grundsätzlicher Unterschied" in Bezug auf die Versorgung von Patienten in einer Wohngemeinschaft einerseits und im rein häuslichen Bereich andererseits bestehe. Mit dem Hinweis auf eine fehlende Vergleichbarkeit der ambulanten Pflege in verschiedenen Lebensbereichen insbesondere mit Blick auf die Unfallrisiken, die Arbeitsbedingungen und die Präventionserfordernisse ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen, inwieweit hinsichtlich der Zuordnung der Kläger zum Gefahrtarif der Beklagten weiterhin Klärungsbedarf bestehen soll.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Verfahrensweise vgl BVerfG vom 8.12.2010 - 1 BvR 1382/10 - NJW 2011, 1497).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 und Abs 3 GKG. Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert (§ 47 Abs 3 GKG). In Rechtsmittelverfahren richtet sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers (§ 47 Abs 1 Satz 1 GKG). Dabei ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes geregelt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs 1 GKG). Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs 3 Satz 1 GKG). Nur wenn der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ist ein Streitwert von 5000 Euro (Auffangstreitwert) anzunehmen (§ 52 Abs 2 GKG).

Die Bedeutung der Sache iS des § 52 Abs 1 GKG bestimmt sich nach dem Gegenstand des konkreten Prozesses (BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2 RdNr 66). Gegenstand des mit der Beschwerde angegriffenen Urteils ist die Veranlagung der Kläger für die Jahre 2013 bis 2018 nach einer günstigeren Gefahrklasse. In derartigen Fällen bestimmt sich das wirtschaftliche Interesse und damit der Streitwert nach der Differenz zwischen den mit der festgestellten Veranlagung verbundenen und den aufgrund der erstrebten Veranlagung zu zahlenden Beiträge (vgl BSG vom 11.4.2013 - B 2 U 8/12 R - BSGE 113, 192 = SozR 4-2700 § 157 Nr 5, RdNr 60). Diese Differenz beträgt auf der Grundlage der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 27.10.2016 vorgelegten Berechnung für die Jahre 2013 bis 2015 für die Klägerin zu 1. 22 893,04 Euro und für die Klägerin zu 2. und den Kläger zu 3. jeweils 344,33 Euro. Für die noch nicht abgeschlossenen Jahre 2016 bis 2018 geht der Senat von einer entsprechenden Bedeutung der Sache iS des § 52 Abs 1 GKG aus, sodass sich für die Klägerin zu 1. ein Betrag von 45 786,08 Euro und für die Klägerin zu 2. und den Kläger zu 3. von jeweils 688,66 Euro errechnet.

Für eine weitere Anhebung des Streitwerts gemäß § 52 Abs 3 Satz 2 GKG ist kein Raum. Danach ist, wenn der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte hat, die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. "Offensichtlich" absehbare Auswirkungen in diesem Sinn lassen sich für die Zeit nach 2018 nicht beziffern.

Da die begehrte Veranlagung bereits Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens war, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die jeweilige Festsetzung des Streitwerts durch das SG und LSG abzuändern (§ 63 Abs 3 GKG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI10333546

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