Verfahrensgang
SG Osnabrück (Entscheidung vom 13.12.2016; Aktenzeichen S 31 AS 462/16) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 14.03.2018; Aktenzeichen L 13 AS 44/17) |
Tenor
Dem Kläger wird wegen der Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. März 2018 - L 13 AS 44/17 - wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 49 042,73 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG). Zwar war dem Kläger wegen der versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist aber unzulässig, weil der Kläger die beiden von ihm zur Begründung der Beschwerde geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz und des Verfahrensmangels nicht iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG schlüssig dargelegt oder bezeichnet hat.
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (Nr 3). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist nicht zulässig.
Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen an eine zulässig erhobene Divergenzrüge nicht.
Für die Bezeichnung einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72; Krasney in Krasney/Udsching, Hdb SGG, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 196 mwN).
Diese Voraussetzung kann der Beschwerdebegründung nicht entnommen werden. In dieser wird folgender Satz des LSG wiedergegeben: "Es handelt sich insoweit um in der Sphäre des Klägers wurzelnde Vorgänge, deren Unaufklärbarkeit zu einer Umkehr der Beweislast führt (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2016 - B 4 AS 41/15 R - juris Rn. 30f m.w.N.)". Dieser Satz erfüllt aber nicht die Voraussetzungen für einen Rechtssatz, weil das LSG in ihm keine allgemeinen und ggf von der Rechtsprechung des BSG abweichenden Maßstäbe entwickelt, sondern ist eine Würdigung des vorliegenden Verfahrens, wie sich aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Sphäre des Klägers ergibt.
Im Übrigen müsste eine Abweichung dieselbe Rechtsfrage betreffen (sog Identitätserfordernis), die sich auch zu unterschiedlichen Normen stellen kann (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 13a; Hauck in Hennig, SGG, § 160 RdNr 143, Stand September 2018). In diesem Fall darf zu beiden Normen nur eine einheitliche Entscheidung möglich sein, weil der Regelungsinhalt der Vorschriften übereinstimmt (vgl GmSOGB vom 12.3.1987 - GmS-OGB 6/86 - BVerwGE 77, 370, 373; BSG vom 24.6.1985 - GS 1/84 - BSGE 58, 183, 190 = SozR 1500 § 42 Nr 10 S 18), was in der Beschwerdebegründung darzutun ist und woran es hier fehlt.
Soweit der Kläger die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) wegen seines Befangenheitsantrags vom 12.3.2018 rügt, bringt er zwar unter Wiedergabe der Rechtsprechung des BVerfG vor, dass das Selbstentscheidungsrecht im vereinfachten Ablehnungsverfahren engen Grenzen unterliegt (vgl BVerfG vom 20.7.2007 - 1 BvR 2228/06 - RdNr 19 ff). Dieses Vorbringen genügt zur Darlegung des Verfahrensmangels der unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts hier nicht, nachdem sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, dass das LSG ein gegen die Richter S.1, C., L.1, L.2, G., H.1, K., H.2, M.1 und S.2 gerichtetes Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen hat, weil lediglich frühere Entscheidungen als fehlerhaft beanstandet bzw ein vom Kläger gewünschtes prozessuales Vorgehen erzwungen habe werden sollen. Angesichts der Anzahl der vom Ablehnungsantrag erfassten Richterinnen und Richter und der Begründung des LSG für die Selbstentscheidung hätte es näherer Ausführungen dazu bedurft, warum die Ablehnung von dem Kläger nicht als Instrument der Verfahrens- oder Fehlerkontrolle eingesetzt worden ist und dass die Selbstentscheidung einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt oder offensichtlich so grob fehlerhaft beziehungsweise unhaltbar ist, dass sie als willkürlich erscheint (diese Vorgaben zu ungeeigneten Ablehnungsgesuchen zusammenfassend BVerfG vom 20.8.2020 - 1 BvR 793/19 - RdNr 19; vgl auch BSG vom 16.12.2015 - B 14 AS 191/15 B - RdNr 4 ff; BSG vom 23.5.2018 - B 8 SO 1/18 BH - RdNr 8).
Der Kläger rügt weiter, das Urteil des LSG sei nicht mit Gründen versehen, weil ein mit Unterschriften der Berufsrichter versehenes Urteil in der Gerichtsakte fehle, was als absoluter Revisionsgrund nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO zu berücksichtigen wäre. Wegen der mittlerweile verstrichenen Frist könnten die Unterschriften auch nicht mehr nachgeholt werden. Die Beschwerde übersieht dabei die Möglichkeit, Originalurteile außerhalb der Gerichtsakte aufzubewahren, um Urteilsausfertigungen oder Urteilsabschriften auch dann noch erteilen zu können, wenn die Akten nach Abschluss des Verfahrens nicht (mehr) am Gericht, das die Entscheidung getroffen hat, aufbewahrt werden. Das Fehlen der Urschrift eines Urteils in der Gerichtsakte belegt deshalb noch nicht das Fehlen von Entscheidungsgründen (vgl BSG vom 18.5.2015 - B 9 V 73/14 B - RdNr 6). Wird eine verspätete Übermittlung des unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle (§ 134 Abs 2 iVm § 153 Abs 1 und 3 Satz 1 SGG) geltend gemacht, bedarf es in Fällen, in denen sich die Urschrift des Urteils nicht in der Akte befindet, der Darlegung, dass und mit welchem Ergebnis versucht worden ist, den Inhalt des amtlichen Vermerks über den Zeitpunkt der Übergabe zu erfahren (vgl BSG vom 29.9.1994 - 4 RA 52/93 - SozR 3-1500 § 164 Nr 6; BSG vom 19.8.2019 - B 14 AS 173/18 B - RdNr 5; Krasney in Krasney/Udsching, Hdb SGG, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 218a). Liegen schon wegen der Zeitspanne zwischen Verkündung des Urteils und dessen Zustellung - hier weniger als zwei Wochen - keine Anhaltspunkte für zeitliche Verzögerungen bei der Absetzung des Urteils vor und wird lediglich vorgebracht, in der Akte befinde sich keine Urschrift mit Unterschriften, ist entsprechend vorzutragen, dass und mit welchem Ergebnis versucht worden ist, Einsicht in die Urschrift des Urteils zu erhalten. An diesem Vortrag fehlt es hier.
Soweit der Kläger rügt, das "SG" habe weitere Berufungsführer - seine Ehefrau und die beiden Söhne - von Beginn an nicht am Verfahren beteiligt, was sich im Verfahren vor dem LSG fortgesetzt habe und damit sei gegen § 136 Abs 1 Nr 1 SGG verstoßen worden, ist schon nicht dargetan, inwieweit sich ein solcher Verfahrensmangel auf die vom Kläger angegriffene Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision bezogen auf sein eigenes Berufungsbegehren bezieht. Maßgeblich ist die Identifizierbarkeit der Beteiligten für die Zustellung und die Rechtskraft (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 136 RdNr 2a), die wegen des Klägers außer Frage steht. Im Übrigen hätte es angesichts des Gegenstands des Verfahrens - dem Streit um einen Ersatzanspruch des Beklagten gegen den Kläger - näherer Darlegungen zur Beteiligtenstellung weiterer Personen, auch wegen des behaupteten Verfahrensmangels durch ausgebliebene Ladungen an diese und die Zustellung des Urteils allein an den Kläger bedurft.
Hinsichtlich einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG bringt der Kläger vor, er habe in der mündlichen Verhandlung beim LSG sinngemäß den Antrag gestellt, "Einsicht in die Steuer-CD zu nehmen und zwar zum Beweis der Tatsache, dass auf der 'Steuer-CD' tatsächlich Daten zu einem 'M.2, geb. 18. Oktober 1956' und eben nicht zu dem am 14. März 1960 geborenen Kläger gespeichert sind". Das LSG habe hingegen darauf abgestellt, dass weitere bereits vorliegende Beweise ausreichten und der ermittelnde Staatsanwalt im Rahmen einer Anfrage bei Kreditinstituten - offenkundig versehentlich - ein unrichtiges Geburtsdatum genannt habe, was die Informationen, die die Steuerbehörden der fraglichen Steuer-CD entnommen hätten, nicht infrage stelle. Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des § 103 SGG nicht hinreichend bezeichnet. Für die hinreichend formulierte Rüge der Verletzung von § 103 SGG ist ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG in nachvollziehbarer Weise darzulegen, inwiefern nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum Sachverhalt offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat (vgl BSG vom 14.12.1999 - B 2 U 311/99 B - RdNr 6). Dem genügt die Beschwerdebegründung nicht, weil der Kläger seine eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt, da er - aus seiner Sicht - den Sachverhalt für nicht ausreichend ermittelt hält, während das LSG davon ausgegangen ist, dass es sich seine Überzeugung anhand der vorliegenden Beweise bilden kann und weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind. Die Rüge einer Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG ist im Rahmen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausgeschlossen.
Soweit der Kläger die Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 ZPO) rügt, weil das LSG trotz eines Beweisantrags zur Beschaffung der und Einsicht in den Datenträger "Steuer-CD" auf andere, ua über diesen erlangte Kenntnisse abgestellt habe, legt die Beschwerdebegründung nicht nachvollziehbar dar, warum das LSG angesichts der von ihm beschriebenen Belege für die Existenz des Datenträgers und dessen klägerbezogenen Inhalts dem Beweisantrag hätte nachgehen müssen. Im Übrigen fehlt es an Darlegungen dazu, aus welchem Grund der Beweiswert zB des Augenscheins zum "Ausdruck eines screenshots" gegenüber der Ansicht des Datenträgers gemindert und dadurch verringert sein soll, dass der Ausdruck nicht durch das LSG erfolgt ist.
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 161 Abs 1 Alt 1 VwGO. Nach § 197a Abs 1 Satz 1 SGG werden Gerichtskosten erhoben und sind die §§ 154 bis 162 VwGO entsprechend anzuwenden, wenn weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört. Das ist hier der Fall. Gemäß § 183 Satz 1 SGG ist das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ua kostenfrei für Leistungsempfänger, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Der im Verfahren unterlegene Kläger (§ 154 Abs 1 VwGO) erfüllt diese Voraussetzungen nicht, weil es nicht um seinen Anspruch nach dem SGB II geht, sondern um die Ersatzpflicht für an seine Söhne erbrachte Leistungen. Darauf, ob das LSG § 34a SGB II zutreffend angewandt hat, kommt es nicht an.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 Satz 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14366181 |