Leitsatz (amtlich)
Die Statthaftigkeit der Revision nach SGG § 162 Abs 1 Nr 3 kann nicht darauf gestützt werden, daß das Berufungsgericht die Vorschrift des KBLG BY Art 30 Abs 4 bei der Prüfung, ob die Versorgungsbehörde einen Zuungunstenbescheid erlassen durfte, unrichtig angewendet habe.
Normenkette
SGG § 162 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03; KBLG BY Art. 30 Abs. 4; KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 16. November 1954 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger hat gegen das vorbezeichnete, am 7. Dezember 1954 zugestellte Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG.) frist- und formgerecht Revision eingelegt. Da das LSG. die Revision nicht zugelassen hat, findet sie nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG-) und auch vorliegt (BSG. 1 S. 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG).
Der Kläger rügt eine Verletzung des § 109 SGG. Nach dieser Vorschrift muß auf Antrag des Versorgungsberechtigten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 16. November 1954 hat der Kläger beantragt, von Amts wegen ein Gutachten von Dr. B... (Nervenklinik St. G. in Bamberg) einzuholen, hilfsweise ein Gutachten nach § 109 SGG. Beantragt ein Versorgungsberechtigter die Einholung eines Gutachtens von einem namentlich bezeichneten Arzt von Amts wegen, so liegt darin nicht ohne weiteres ein Antrag nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG, da hierdurch dem LSG. lediglich die Anregung gegeben wird, ein Gutachten des vorgeschlagenen Sachverständigen einzuholen (BSG. in SozR. SGG § 109 Bl. Da 5 Nr. 9). Der in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG. vom Kläger gestellte Antrag ist in dieser Hinsicht nicht ganz eindeutig. Selbst wenn man aber davon ausgeht, daß der Kläger einen Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG in der mündlichen Verhandlung gestellt hat, so liegt in der Ablehnung eines solchen Antrags durch das Berufungsgericht nach § 109 Abs. 2 SGG nur dann ein Mangel des Verfahrens, wenn die Zulassung des Antrags den Rechtsstreit nicht verzögert hätte oder wenn das Gericht mit seiner Annahme, der Antrag sei in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher gestellt worden, die Grenzen seines Rechts, hierüber nach freier Überzeugung zu entscheiden, überschritten hat (BSG. in SozR. SGG § 109 Bl. Da 2 Nr. 4). Ob das Berufungsgericht bei der Ablehnung eines Antrags nach § 109 Abs. 2 SGG sein freies Ermessen überschritten hat, unterliegt der Prüfung durch das Bundessozialgericht - BSG. - (BSG. 2 S. 255 [258] = SozR. SGG § 109 Bl. Da 1 Nr. 2). Im vorliegenden Falle liegt in der Ablehnung des Antrags durch das Berufungsgericht keine Verletzung des § 109 Abs. 2 SGG. Der Kläger hat erst in der mündlichen Verhandlung die Anhörung eines bestimmten Arztes beantragt, obwohl im Berufungsverfahren eine weitere Beweiserhebung von Amts wegen nicht durchgeführt worden ist und der Kläger den Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes schon in der Rechtsmittelschrift oder zumindest in einem späteren Schriftsatz hätte stellen können. Die Ablehnung des vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags auf Anhörung des Dr. B... ist im Rahmen des § 109 Abs. 2 SGG erfolgt und stellt daher keinen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG dar.
Nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG muß die Revisionsbegründung die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen und Beweismittel bezeichnen, die den Mangel ergeben. Die Revisionsbegründung vom 14. Dezember 1954 enthält außer der Anführung des § 109 SGG keine Angaben über weitere Verfahrensvorschriften, die der Kläger als verletzt ansieht. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG. genügt es jedoch bei der Rüge von Verfahrensmängeln, wenn sich aus den substantiiert vorgetragenen Tatsachen klar ergibt, welche Verfahrensvorschrift als verletzt angesehen wird (BSG. 1 S. 227). Aus dem Vorbringen in der Revisionsbegründung kann allenfalls noch entnommen werden, daß der Kläger eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 SGG) rügen will. Wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 1. März 1956 (BSG. 2 S. 236) näher ausgeführt hat, betrifft die Rüge einer unrichtigen oder nicht erschöpfenden Beweiswürdigung jedoch nicht den Gang des Verfahrens, sondern den Inhalt der getroffenen Entscheidung. Eine fehlerhafte Beweiswürdigung stellt daher keinen Verfahrensmangel, sondern einen Mangel in der Urteilsfindung dar. Ein Mangel des Verfahrens ist bei einer aus § 128 SGG hergeleiteten Rüge nur dann gegeben, wenn das Berufungsgericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung überschritten hat. Insoweit kommt insbesondere ein Verstoß gegen die Erfahrungssätze des täglichen Lebens oder gegen die Denkgesetze in Betracht. Ein solcher Verstoß ist jedoch im vorliegenden Falle nicht erkennbar, so daß die Rüge einer Verletzung des § 128 SGG nicht durchgreift.
Der Kläger stützt die Revision ferner auf das Vorliegen einer Gesetzesverletzung im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG. Er ist der Auffassung, daß das Berufungsgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlaß eines Zuungunstenbescheides nach Art. 30 Abs. 4 Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) das Gesetz verletzt habe. Die Vorschrift des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG betrifft in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung (KOV.) lediglich den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Schädigung (schädigendes Ereignis oder schädigende Einwirkungen) und einer Gesundheitsstörung oder Tod (Beschluß des erkennenden Senats vom 12.5.1958 - 8 RV 309/55 - ). Im vorliegenden Falle handelt es sich aber nicht um die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG, d.h. um die Frage der richtigen oder unrichtigen Anwendung der im Recht der KOV. geltenden Kausalitätsnorm (vgl. BSG. 1 S. 268). Der Kläger greift vielmehr mit der Revision die unrichtige Anwendung des Art. 30 Abs. 4 KBLG durch das Berufungsgericht an. Nach dieser Vorschrift kann ein rechtskräftiger Bescheid zu Ungunsten des Berechtigten nur aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen der Bescheiderteilung sich als unzutreffend erweisen. Im Art. 30 Abs. 4 KBLG sind die Voraussetzungen niedergelegt, bei deren Vorliegen ausnahmsweise ein bindender Bescheid durch die Versorgungsbehörde zu Ungunsten des Versorgungsberechtigten aufgehoben oder abgeändert werden kann. Diese Vorschrift betrifft also letztlich die Frage, ob die Versorgungsbehörde an einen Bescheid gebunden ist, wenn sich die Voraussetzungen der Bescheiderteilung später als unzutreffend erweisen. Art. 30 Abs. 4 KBLG ist hiernach nicht eine Norm, nach welcher der ursächliche Zusammenhang selbst zu beurteilen ist. Bei der unrichtigen Anwendung dieser Vorschrift kann daher allenfalls eine Gesetzesverletzung bei Beurteilung der Rechtsverbindlichkeit eines früheren Bescheides in den Fällen vorliegen, in denen sich die Voraussetzungen für die Bescheiderteilung als unrichtig herausgestellt haben, nicht dagegen aber eine Gesetzesverletzung bei Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG (vgl. hierzu auch die Entscheidung des erkennenden Senats zu § 1 Abs. 4 KBLG vom 26.6.1957 - 8 RV 213/54 sowie des BSG. vom 20.9.1957 zu § 85 BVG in SozR. BVG § 85 Bl. Ca 5 Nr. 7). Die Angriffe der Revision in bezug auf eine Gesetzesverletzung bei der Anwendung des Art. 30 Abs. 4 KBLG durch das Berufungsgericht können daher nicht zur Statthaftigkeit der Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG führen.
Da weder ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG noch eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG vorliegt, war die Revision nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen