Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung. Rechtsfragen zu bereits außer Kraft getretenem Recht. Außervollzugsetzung der Mindestmengenregelung. Geltung
Leitsatz (redaktionell)
Bei Rechtsfragen zu bereits außer Kraft getretenem Recht muss für eine grundsätzliche Bedeutung entweder noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage des ausgelaufenen Rechts zu entscheiden sein oder die Überprüfung der Rechtsnorm bzw. ihrer Auslegung muss aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung haben, insbesondere wegen einer weitgehenden Übereinstimmung mit dem neuen Recht.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 Sätze 1-2, § 169 S. 3; SGB V § 108; BGB § 814
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. November 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 38 196,51 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Die Beklagte ist Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses. In diesem wurden im Jahr 2009 51, im Jahr 2010 45 und im Jahr 2011 47 Kniegelenk-Totalendoprothesen (Knie-TEP) implantiert. Die klagende Krankenkasse (KK) zahlte die Vergütung für bei sieben ihrer Versicherten in der Zeit von Januar bis September 2011 durchgeführte Knie-TEP-Behandlungen an das Krankenhaus. Nach zwischenzeitlich erklärter Aufrechnung und nachfolgender erneuter Bezahlung unter Vorbehalt machte die KK in dem vorliegenden (abgetrennten) Verfahren Erstattungsansprüche für die genannten sieben Behandlungsfälle in Höhe von insgesamt 38 196,51 Euro nebst Zinsen geltend. Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 6.12.2019). Das LSG hat die Berufung des Krankenhauses zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die KK habe die Vergütung für die sieben streitigen Behandlungsfälle ohne Rechtsgrund geleistet. Das Krankenhaus habe die Knie-TEP-Operationen nach den im streitigen Zeitraum geltenden Mindestmengenvorgaben weder durchführen noch abrechnen dürfen. Der am 19.10.2011 in Kraft getretene Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vom 15.9.2011 über die befristete Außervollzugsetzung der Mindestmenge für Knie-TEP sei auf die streitigen Behandlungsfälle aus der Zeit von Januar bis September 2011 nicht anwendbar. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Budgetvereinbarung 2011 für das Krankenhaus. Der Erstattungsanspruch sei nicht in entsprechender Anwendung des § 814 BGB ausgeschlossen (Urteil vom 10.11.2022).
Das beklagte Krankenhaus wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
2. Das Krankenhaus formuliert folgende Rechtsfrage:
"Wirkt die Außervollzugsetzung der Mindestmengenregelung erst für Behandlungen ab Inkrafttreten des G-BA Beschlusses am 19.10.2011 oder bereits für Behandlungen ab dem 01.01.2011. Mit anderen Worten: Wird durch den Beschluss des G-BA zur Aussetzung der Mindestmengenregelung zur Knie-TEP die Mindestmengenregelung für das ganze Jahr 2011 oder nur anteilig ab Inkrafttreten des Aussetzungsbeschlusses außer Vollzug gesetzt?"
3. Es legt aber jedenfalls die grundsätzliche Bedeutung dieser Rechtsfrage nicht hinreichend dar.
a) Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage erwächst daraus, dass ihre Klärung nicht nur für den Einzelfall, sondern im Interesse der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung erforderlich ist (vgl BSG vom 7.10.2005 - B 1 KR 107/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 7 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist eine Rechtsnorm, bei der es sich um ausgelaufenes Recht handelt, deshalb regelmäßig nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Bei Rechtsfragen zu bereits außer Kraft getretenem Recht muss für eine grundsätzliche Bedeutung entweder noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage des ausgelaufenen Rechts zu entscheiden sein, oder die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihrer Auslegung muss aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung haben, insbesondere wegen einer weitgehenden Übereinstimmung mit dem neuen Recht (vgl BSG vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10; BSG vom 11.5.2022 - B 8/7 AY 5/21 B - RdNr 8, jeweils mwN). Diese Maßgaben gelten entsprechend auch für Übergangsvorschriften (vgl BSG vom 22.4.2010 - B 11 AL 22/09 BH - juris RdNr 5).
b) Das Krankenhaus hat nicht dargelegt, dass die aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Beschluss des GBA vom 15.9.2011 über die befristete Außervollzugsetzung der Mindestmenge für Knie-TEP bereits für Behandlungen ab dem 1.1.2011 Geltung beansprucht, noch in einer erheblichen Anzahl von Fällen relevant ist. Und es hat auch nicht schlüssig dargelegt, dass die Auslegung des Beschlusses hinsichtlich seiner zeitlichen Geltung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat. Insoweit thematisiert das Krankenhaus zum einen nicht, ob es bei einstweiligen Regelungen in Gestalt der Außervollzugsetzung einer Norm (hier: Beschluss des GBA vom 15.9.2011 über eine befristete Außervollzugsetzung einer Regelung der Mindestmengenvereinbarung: Mindestmenge für Kniegelenk-Totalendoprothesen) Fragen von grundsätzlicher Bedeutung gibt. Zum anderen setzt es sich deshalb auch nicht damit auseinander, ob etwaige Grundsatzfragen durch Rückgriff auf Rspr beantwortet werden können. Die bloße Behauptung, es sei nicht ausgeschlossen, dass es immer wieder zu Aussetzungen von Mindestmengenregelungen kommen könne, reicht hierfür schon deshalb nicht aus, weil es für die Auslegung der Norm auf die konkrete Formulierung des Beschlusses ankommt. So hat es der GBA bei der Fassung eines Aussetzungsbeschlusses ohne Weiteres in der Hand, dessen Geltungsbeginn unter Konkretisierung der dadurch erfassten Sachverhalte - auch vor dem Hintergrund in der Vergangenheit entstandener Unklarheiten - ausdrücklich zu regeln.
4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.
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Schlegel |
Estelmann |
Bockholdt … an der Signatur gehindert |
Fundstellen
Dokument-Index HI15825241 |