Leitsatz (amtlich)
Hat der Revisionskläger rechtzeitig die Zulassung der Sprungrevision beantragt bzw die Sprungrevision eingelegt, die Zustimmungserklärung des Gegners jedoch erst nach Ablauf der Antragsfrist bzw der Revisionsfrist vorgelegt, so kann ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.
Orientierungssatz
Ein Beschluß kann nur dann nachträglich ergänzt werden, wenn er einen von einem Beteiligten erhobenen Anspruch oder den Kostenpunkt ganz oder teilweise übergangen hat. Wird lediglich eine von dem Beschluß abweichende rechtliche Bewertung des übereinstimmenden Antrages der Beteiligten auf Zulassung der Sprungrevision erstrebt, so stellt dies keine Ergänzung iS des SGG § 140 Abs 1 dar.
Normenkette
SGG § 67 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 161 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1974-07-30, § 140 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 142 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 15.02.1977; Aktenzeichen S 2 An 1711/76) |
Tenor
1. Der Antrag des Klägers auf Ergänzung des Beschlusses des Bundessozialgerichts vom 22. April 1977 wird abgelehnt.
2. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Einreichung der schriftlichen Zustimmung der Beklagten zur Einlegung der Sprungrevision gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 1977 wird abgelehnt.
3. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 1977 wird als unzulässig verworfen.
4. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger begehrte von der Beklagten die Berücksichtigung von Ausfallzeiten bei der Berechnung des ihm gewährten Altersruhegeldes. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) Berlin am 15. Februar 1977 beantragten die Beteiligten übereinstimmend die Zulassung der Sprungrevision. Mit Urteil vom 15. Februar 1977 wies das SG die Klage ab; es ließ die Revision zu. Das Urteil wurde dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers am 2. März 1977 zugestellt. Der Kläger legte am 14. März 1977 Sprungrevision ein mit der Behauptung, der Gegner habe mit dem übereinstimmenden Antrag der Beteiligten auf Zulassung der Sprungrevision dieser zugestimmt. Mit dem am 6. April 1977 eingegangenen Schriftsatz vom 31. März 1977 legte er die schriftliche Zustimmungserklärung der Beklagten vom 18. März 1977 vor. Durch Beschluß vom 22. April 1977 verwarf der Senat die Revision als unzulässig, weil die schriftliche Zustimmung des Gegners weder der Revisionsschrift beigefügt noch bis zum Ablauf der Revisionsfrist nachgereicht worden sei.
Der Kläger trägt vor, der zur Niederschrift des SG erklärte Antrag der Beklagten auf Zulassung der Sprungrevision sei als Zustimmung zur Einlegung dieses Rechtsmittels durch den Kläger zu werten. Dies sei im Beschluß vom 22. April 1977 übergangen worden. Er sei daher in entsprechender Anwendung des § 140 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu ergänzen. Der Kläger beantragt ferner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Einreichung der Zustimmungserklärung der Beklagten. Ferner hat er "vorsorglich" nochmals Sprungrevision eingelegt.
Der Antrag auf Ergänzung des Beschlusses vom 22. April 1977 ist abzulehnen. Es kann dahinstehen, ob § 140 SGG, obgleich er in § 142 Abs 1 SGG nicht erwähnt wird, für Beschlüsse entsprechend gilt (bejahend Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., § 142, Anm 3, S 11/275).
Selbst wenn dies der Fall ist, kann ein Beschluß nur dann nachträglich ergänzt werden, wenn er einen von einem Beteiligten erhobenen Anspruch oder den Kostenpunkt ganz oder teilweise übergangen hat. Dies ist im Beschluß vom 22. April 1977 nicht geschehen. Der Kläger erstrebt lediglich eine von diesem Beschluß abweichende rechtliche Bewertung des übereinstimmenden Antrages der Beteiligten auf Zulassung der Sprungrevision. Dies stellt keine Ergänzung im Sinne des § 140 Abs 1 SGG dar.
Ebenfalls abzulehnen ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zwar steht der Gewährung von Wiedereinsetzung nicht entgegen, daß die Revision bereits als unzulässig verworfen worden ist (BSG SozR SGG § 67 Nr 6; SozR 1500 § 67 Nr 5). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist jedoch nur bei nicht schuldhafter Versäumung einer gesetzlichen Verfahrensfrist zu gewähren (§ 67 Abs 1 SGG). Darunter ist die in einem Gesetz im materiellen Sinne geregelte verfahrensrechtliche Frist zu verstehen, innerhalb derer ein Beteiligter zur Geltendmachung oder Verteidigung von Rechten vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eine Prozeßhandlung vorzunehmen hat (vgl Peters-Sautter-Wolff, aaO, § 67, Anm 3, S 208). Die nach § 161 Abs 1 Satz 3 SGG erforderliche Beifügung der schriftlichen Zustimmungserklärung des Rechtsmittelgegners zur Sprungrevision ist keine Prozeßhandlung. Sie ist für sich allein zur Geltendmachung oder Verteidigung von Rechten vor dem Revisionsgericht weder bestimmt noch geeignet. Vielmehr stellt sie lediglich eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Sprungrevision als der insoweit maßgeblichen Prozeßhandlung dar. Darüber hinaus ist die Beibringung der Zustimmungserklärung des Rechtsmittelgegners nicht an eine gesetzliche Verfahrensfrist gebunden. Sofern die Sprungrevision nicht im Urteil des SG zugelassen worden ist und deswegen ihre nachträgliche Zulassung beantragt wird, ist die Zustimmung dem Antrag, bei Zulassung der Sprungrevision im Urteil der Revisionsschrift beizufügen (§ 161 Abs 1 Satz 3 SGG). Sowohl der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Sprungrevision als auch die Revision selbst sind innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils des SG (§ 161 Abs 1 Satz 2, § 164 Abs 1 Satz 1 SGG) und damit binnen einer gesetzlichen Verfahrensfrist einzureichen. Für die Zustimmungserklärung gilt dies hingegen nicht. Zwar muß aufgrund dessen, daß sie dem Antrag oder der Revisionsschrift beizufügen ist, im Ergebnis auch sie innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils vorgelegt werden. Das ist jedoch lediglich die mittelbare Folge dessen, daß das Rechtsmittel der Sprungrevision einer gesetzlichen Verfahrensfrist unterliegt. Hingegen ist in § 161 Abs 1 Satz 3 SGG selbst eine solche Frist nicht bestimmt worden. Das läßt sich auch nicht daraus herleiten, daß nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der Vorschrift des § 161 Abs 1 Satz 3 SGG auch dann Genüge getan ist, wenn die Zustimmungserklärung bis zum Ablauf der Antragsfrist des § 161 Abs 1 Satz 2 SGG (vgl BSG SozR 1500 § 161 Nrn 10 und 13) bzw der Revisionsfrist des § 164 Abs 1 Satz 1 SGG (vgl BSG SozR 1500 § 161 Nrn 2 und 5) eingegangen ist. Dies hat das BSG aus Sinn und Zweck des gesetzlichen Beifügungserfordernisses hergeleitet (vgl insbesondere BSG SozR 1500 § 161 Nr 10). Nicht hingegen hat es damit § 161 Abs 1 Satz 3 SGG als die gesetzliche Regelung einer Verfahrensfrist verstanden. Die Vorlage der Zustimmungserklärung des Revisionsgegners ist somit weder eine Prozeßhandlung, noch hat sie innerhalb einer gesetzlichen Verfahrensfrist zu erfolgen. Dies schließt, wenn die Zustimmungserklärung erst nach Ablauf der Antrags- bzw. Revisionsfrist beigebracht worden ist, die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.
Hiermit setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zum Urteil des 7. Senats des BSG vom 8. Juni 1955 (BSG SozR SGG § 67 Nr 2; insoweit in BSGE 1, 50 nicht abgedruckt). Hiernach ist unter der "gesetzlichen Verfahrensfrist" der Revision nicht nur die frist-, sondern auch die formgerechte Einlegung zu verstehen und deswegen für den Fall, daß die Revisionsschrift entgegen § 164 Abs 2 Satz 1 SGG in der bis zum 30. Dezember 1974 geltenden Fassung (= aF) einen bestimmten Antrag nicht enthalten hat, ein Wiedereinsetzungsantrag an sich möglich und erforderlich (vgl auch BSG SozR SGG § 164 Nr 17; SGG § 67 Nrn 10 und 26). Diese Entscheidung bezieht sich jedoch ausschließlich auf die Formerfordernisse der Revisionsschrift selbst; insoweit besteht ein so enger sachlicher Zusammenhang mit der gesetzlichen Verfahrensfrist des § 164 Abs 1 Satz 1 SGG aF, daß das BSG zu Recht von einer "Revisionsfrist hinsichtlich des Revisionsantrages" gesprochen hat (vgl BSG SozR SGG § 67 Nr 26). Für das Erfordernis der Beibringung der schriftlichen Zustimmungserklärung des Revisionsgegners kann dies nicht in gleicher Weise gelten. Dies erhellt bereits daraus, daß die Zustimmung nicht zwingend dem Zulassungsantrag bzw der Revisionsschrift beigefügt sein muß, sofern sie nur innerhalb der Antrags- bzw Revisionsfrist bei Gericht eingeht.
Dem Wiedereinsetzungsantrag kann somit nicht stattgegeben werden. Damit ist der Verwerfungsbeschluß des Senats vom 22. April 1977 nicht gegenstandslos geworden (vgl BSG SozR SGG § 67 Nr 6). Dies steht einer Sachentscheidung über die neuerlich eingelegte Revision des Klägers entgegen (vgl BSG SozR SGG § 169 Nr 5). Sie ist als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen