Nachgehend
Tenor
Der Beschluß vom 16. Dezember 1999 über die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung wird aufgehoben.
Gründe
Der Senat hat dem Europäischen Gerichtshof mit dem genannten Beschluß folgende Rechtsfrage zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts vorgelegt:
Ist Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr 3/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf türkische Arbeitnehmer und deren Angehörige auch auf türkische Staatsangehörige anwendbar, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union aufhalten und dort als Arbeitnehmer tätig sind, wenn sie nicht als Wanderarbeitnehmer oder als dessen Angehörige, sondern als Flüchtlinge aus der Türkei in den Mitgliedstaat eingereist, dort aber nicht als Flüchtlinge anerkannt worden sind und die Arbeitserlaubnis erst nach dem Ende des Asylverfahrens bekommen haben?
Der Beschluß vom 16. Dezember 1999 war aufzuheben, weil die Vorlagefrage für den Rechtsstreit nicht mehr entscheidungserheblich ist.
In zwei Urteilen vom 12. April 2000 (B 14 KG 2/99 R und B 14 KG 3/99 R – letzteres zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) hat der Senat Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung Kindergeld nach Abkommensrecht für die Zeiten zuerkannt, in denen sie in Deutschland Arbeitnehmer waren bzw weiter sind. Das deutsch-türkische Abkommensrecht stimmt in den entscheidenden Punkten mit dem deutsch-jugoslawischen (auf Bosnien und Herzegowina weiter anwendbaren) Abkommen überein (vgl zum sachlichen Anwendungsbereich Art 2 Nr 1 Buchst d, zum persönlichen Anwendungsbereich Art 4 Abs 1, zur Gebietsgleichstellung Art 4a und zum Abkommenskindergeld Art 33). Der Kläger hat daher – unabhängig von der mit Beschluß vom 16. Dezember 1999 aufgeworfenen Rechtsfrage – schon nach zwischenstaatlichem Recht in Verbindung mit den Bestimmungen des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) einen Anspruch auf Kindergeld, wenn er die in diesen Rechtsvorschriften festgelegten Voraussetzungen erfüllen sollte.
Der Weitergeltung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit – Abk – vom 30. April 1964 (BGBl 1965 II, 1169), geändert durch das Zwischenabkommen vom 25. Oktober 1975 (BGBl 1975 II, 373) und das Zusatzabkommen vom 2. November 1984 (BGBl 1986 II, 1040), steht nicht entgegen, daß Art 5 des Beschlusses Nr 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und deren Familienangehörige (Amtsblatt EG, Nr C 110/60) folgendes bestimmt.
Dieser Beschluß tritt für den von ihm erfaßten Personenkreis und Sachbereich an die Stelle aller Abkommen über soziale Sicherheit, die ausschließlich für zwei oder mehrere Mitgliedstaaten gelten; …
Unter diese Vorschrift fällt das deutsch-türkische Abk nicht. Es gilt nicht ausschließlich für zwei oder mehrere Mitgliedstaaten, sondern für einen Mitgliedstaat (Bundesrepublik Deutschland) und einen Nichtmitgliedstaat (Republik Türkei).
Ob das deutsch-türkische Abk auch auf Personen anwendbar ist, die sich wegen – behaupteter – politischer Verfolgung in ihrem (Heimat-)Vertragsstaat von diesem abgewendet haben, kann offenbleiben. Der Kläger hatte zwar nach seiner Einreise 1987 einen Asylantrag gestellt, diesen Antrag aber 1990 und damit mehrere Jahre vor dem hier streitigen Leistungszeitraum (ab 1994) zurückgenommen.
Fundstellen