Leitsatz (amtlich)
Die gleichzeitige Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern ist jedenfalls dann vorschriftswidrig, wenn der Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan nur mit einem Landessozialgerichtsrat als Vorsitzendem und zwei Hilfsrichtern besetzt ist (Anschluß BSG 1959-02-04 10 RV 663/58 = SozR Nr 2 zu § 210 SGG).
Normenkette
SGG § 33 Fassung: 1953-09-03, § 210 Fassung: 1958-06-25
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Januar 1959 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
Durch Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA.) D vom 9. Juli 1952 wurden bei dem Kläger "chronische Bronchitis, Asthma mit Emphysem und Herzmuskelschwäche" als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anerkannt und Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 40 v.H. vom 1. Oktober 1950 an gewährt. Ein Rentenerhöhungsantrag wurde durch Bescheid des VersorgA. D vom 3. Juli 1953 abgelehnt, weil die MdE. des Klägers nicht nur auf die Folgen des geleisteten Wehrdienstes zurückzuführen, sondern auch durch seine anlagebedingte Fettleibigkeit zu erklären sei. Durch Urteil vom 13. Oktober 1955 hat das Sozialgericht (SG.) Darmstadt diesen Bescheid abgeändert und den Beklagten verurteilt, unter Berücksichtigung der frühzeitigen Invalidität des Klägers eine Rente nach einer MdE. um 50 v.H. vom 1. Juli 1951 an zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG.) hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG. aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Gegen dieses am 11. Februar 1959 zugestellte Urteil des Hessischen LSG. vom 20. Januar 1959 hat der Kläger mit einem am 4. März 1959 eingegangenen Schriftsatz vom 3. März 1959 Revision eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.
Mit der Revision rügt der Kläger unter Hinweis auf eine Entscheidung des 10. Senats des Bundessozialgerichts (BSG.) vom 4. Februar 1959 eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts, weil der erkennende 7. Senat des Hessischen LSG. in der mündlichen Verhandlung am 20. Januar 1959 mit einem Landessozialgerichtsrat als Vorsitzendem und zwei Sozialgerichtsräten als Hilfsrichtern besetzt gewesen sei.
Der Beklagte beantragt,
die Revision gegen das Urteil des Hessischen LSG. in Darmstadt vom 20. Januar 1959 als unzulässig zu verwerfen.
Er ist der Auffassung, daß der erkennende Senat des LSG. nicht deswegen vorschriftswidrig besetzt gewesen sei, weil an der angefochtenen Entscheidung gleichzeitig zwei Hilfsrichter mitgewirkt hätten. Wie der Bundesgerichtshof (BGH.) in mehreren Entscheidungen ausgesprochen habe, sei die Beiordnung von Hilfsrichtern aus Gründen der allgemeinen Geschäftsüberlastung für eine vorübergehende Zeit zulässig, wenn bei einem Gericht ein auf andere Art nicht zu befriedigendes Bedürfnis hierfür vorliege. Ein solcher Fall sei aber hier im Hinblick auf die ungewöhnlichen Verhältnisse der Nachkriegszeit und auf ein in seinem Ausmaß noch nicht dagewesenes Ansteigen der Geschäftsbelastung beim Hessischen LSG. gegeben.
Der Senat hat durch Verfügung vom 22. Juli 1959 den Parteien mitgeteilt, daß er beabsichtige, die Streitsache nach § 216 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu entscheiden, da die Rechtslage im Hinblick auf das Urteil des 10. Senats des BSG. vom 4. Februar 1959 zweifelsfrei geklärt sei. Innerhalb der gestellten Frist von einem Monat nach Zustellung dieser Mitteilung haben die Parteien zur Sache selbst keine weiteren Äußerungen abgegeben.
Die Revision des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Da das LSG. die Revision nicht zugelassen hat, findet sie nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und auch vorliegt (BSG. 1 S. 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs.1 Nr. 3 SGG).
Der erkennende 7. Senat des Hessischen LSG. hat in der vorliegenden Streitsache durch Landessozialgerichtsrat N als Vorsitzenden, die Sozialgerichtsräte I und M als weitere Berufsrichter und die Landessozialrichter K und K als ehrenamtliche Beisitzer entschieden. Nach dem für das Kalenderjahr 1959 zunächst geltenden Geschäftsverteilungsplan für das Hessische LSG. handelt es sich bei dem 7. Senat um einen Senat auf Zeit, der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 20. Januar 1959 lediglich mit den vorstehend genannten Berufsrichtern besetzt war. Aus dem seit 7. April 1959 für das Hessische LSG. geltenden Geschäftsverteilungsplan ist zu entnehmen, daß die Sozialgerichtsräte I und M nicht mehr bei diesem Gericht tätig sind. Daraus folgt, daß - wie auch schon aus der Amtsbezeichnung hervorgeht - die Sozialgerichtsräte I und M lediglich als Hilfsrichter beim Hessischen LSG. bestellt waren. Der 7. Senat des Hessischen LSG. war also unzweifelhaft in der mündlichen Verhandlung am 20. Januar 1959 gleichzeitig mit zwei Hilfsrichtern besetzt. Wie der 10. Senat in seinem Urteil vom 4. Februar 1959 - 10 RV 663/58 - (SozR. SGG § 210 Bl. Da 1 Nr. 2) ausgesprochen hat, widerspricht aber die gleichzeitige Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern in einem Spruchkörper rechtsstaatlichen Grundsätzen, zu denen ebenso wie die unabhängige Rechtsprechung auch die in den Gerichtsverfassungsgesetzen getroffenen Vorschriften über die Besetzung der Spruchkörper gehöre (BVerfG. 4 S. 412 (416)). Der 10. Senat des BSG. hat seine Auffassung in dem angeführten Urteil eingehend begründet und sich dabei insbesondere auch mit der Rechtsprechung des BGH. auseinandergesetzt. Es trifft allerdings zu, wie der Beklagte vorträgt, daß der BGH. in einem Ausnahmefall (BGHZ. 12 S. 1 ff.) die gleichzeitige Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern in einem Spruchkörper nicht als vorschriftswidrig angesehen hat. Der 10. Senat des BSG. hat jedoch u.a. auch zu diesem Urteil des BGH. Stellung genommen und zutreffend dazu ausgeführt, daß auch nach Ansicht des BGH. die Besetzung eines Oberlandesgerichts-(OLG.) Senats mit zwei Hilfsrichtern als Dauereinrichtung nicht geduldet werden könne, wobei allerdings in dem dort entschiedenen Falle die ungewöhnlichen Verhältnisse der Nachkriegszeit und die besonderen Übergangsverhältnisse im Lande Baden-Württemberg nicht völlig außer Betracht geblieben seien. In diesem Zusammenhang ist darüber hinaus noch zu berücksichtigen, daß in dem von dem BGH. entschiedenen Falle der betreffende Senat des OLG. mit einem Senatspräsidenten, zwei bzw. drei Oberlandesgerichtsräten und zwei Hilfsrichtern besetzt gewesen ist. Insoweit besteht also ein erheblicher Unterschied zu dem vorliegenden Falle, in dem der erkennende 7. Senat des Hessischen LSG. überhaupt nur mit einem Landessozialgerichtsrat als Vorsitzendem und Hilfsrichtern besetzt war. Bei dem Senat des OLG. konnten demnach durch eine entsprechende Einteilung jedenfalls regelmäßig neben dem Senatspräsidenten als Vorsitzenden jeweils ein Oberlandesgerichtsrat und ein Hilfsrichter mitwirken, während der 7. Senat des Hessischen LSG. stets in der Besetzung mit zwei Hilfsrichtern entscheiden mußte. Bei diesem Sachverhalt besteht kein Anlaß, von der Entscheidung des 10. Senats des BSG. vom 4. Februar 1959 abzuweichen. Der 7. Senat des Hessischen LSG. war daher in der mündlichen Verhandlung am 20. Januar 1959 wegen der Mitwirkung der Sozialgerichtsräte I und M als Hilfsrichter nicht vorschriftsmäßig besetzt.
Der Kläger hat die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts ordnungsgemäß gerügt; seine Revision ist somit wegen dieses Verfahrensmangels statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Das angefochtene Urteil beruht auf diesem Verfahrensmangel, der auch in der Sozialgerichtsbarkeit als unbedingter Revisionsgrund gilt (§ 202 SGG in Verbindung mit § 551 Nr. 1 ZPO; BSG. 5 S. 176 (177)). Das Urteil des Hessischen LSG. vom 20. Januar 1959 mußte daher ohne weitere Prüfung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückverwiesen werden.
Da die Rechtslage bereits durch das Urteil des 10. Senats des BSG. vom 4. Februar 1959 zweifelsfrei geklärt war, konnte im vorliegenden Falle nach § 216 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b SGG durch einstimmigen Beschluß ohne Zuziehung der Bundessozialrichter entschieden werden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen