Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 19.06.2001) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluß des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juni 2001 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Beschluß des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) gerichtete und auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, daß der Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34, 47 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl, 1997, IX, RdNr 177 und 179 mwN). Diese Voraussetzungen hat der Kläger nicht iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan.
In seiner Beschwerdebegründung rügt der Kläger, das LSG habe § 153 Abs 4 SGG und damit Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) sowie § 62 SGG dadurch verletzt, daß es die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß zurückgewiesen habe, ohne ihn vorher ordnungsgemäß gehört zu haben. Diese Verletzung habe auch zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes gemäß § 202 SGG iVm § 551 Nr 1 der Zivilprozeßordnung geführt. Im Rahmen der ersten Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG habe er dem LSG durch Schriftsatz vom 1. Juni 2001 mitgeteilt, der Arzt für Chirurgie Dr. W …, bei dem er weiterhin in fachchirurgischer Behandlung stehe, habe ihm jetzt erklärt, daß bei dem „streitbefindlichen Unfall” doch eine sehr starke Bänderdehnung erfolgt sein müsse und er, Dr. W …, als erstbehandelnder Chirurg nach dem Unfall doch eine Therapie hätte einleiten müssen. Hierzu habe er, der Kläger, den Beweisantrag gestellt, von diesem Arzt eine sachverständige Zeugenaussage einzuholen. Das LSG habe ihm daraufhin in einem ihm erst am 18. Juni 2001 zugegangenen Schreiben vom 8. Juni 2001 mitgeteilt, es bleibe bei dem Hinweis auf § 153 Abs 4 SGG, der wiederholt werde. Bereits am 19. Juni 2001 habe das LSG sodann ohne mündliche Verhandlung den angefochtenen Beschluß abgesetzt.
Dieses Vorbringen kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der Kläger hat nicht hinreichend dargelegt, daß das LSG sein Recht auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, §§ 62, 153 Abs 4 Satz 2 SGG) dadurch verletzt habe, daß es, ohne ihn zum zweiten Mal ordnungsgemäß anzuhören, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß entschieden habe. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlaß der Entscheidung zu äußern. Dies muß nicht notwendig in einer mündlichen Verhandlung geschehen; dem Anhörungsgebot kann grundsätzlich auch anders, zB in einem schriftlichen Verfahren, entsprochen werden (so ausdrücklich § 62 SGG; vgl BVerfGE 9, 231, 236; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 4; BVerwGE 57, 272). Das LSG hat hier von der ihm durch § 153 Abs 4 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Berufung durch Beschluß ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat (§ 153 Abs 4 Satz 1 SGG). Dem Recht des Berufungsklägers auf rechtliches Gehör wird in Satz 2 der Vorschrift dadurch Rechnung getragen, daß die Beteiligten vorher zu hören sind. Dies ist hier durch das Anhörungsschreiben vom 11. Mai 2001 geschehen, mit welchem dem Kläger die Absicht des LSG, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß zu entscheiden, mitgeteilt und ihm Gelegenheit zu einer Stellungnahme bis zum 5. Juni 2001 gegeben worden ist.
Der Kläger hat in seiner Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargelegt, daß das LSG nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG verpflichtet war, ihn ein weiteres Mal anzuhören. Eine nochmalige Anhörung ist nur geboten, wenn sich die Prozeßlage nach Ergehen einer ersten Anhörungsmitteilung wesentlich, etwa dadurch, daß ein Prozeßbeteiligter seinen bisherigen Sachvortrag ergänzt oder erweitert oder neue Beweisanträge stellt, geändert hat (vgl BVerwG Buchholz 312 Entlastungsgesetz Nr 60; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, § 153 RdNr 20, jeweils mwN). Von einer nochmaligen Anhörungsmitteilung kann dann nur abgesehen werden, wenn das neue Vorbringen den Anforderungen nicht genügt, die nach der Rechtsprechung erfüllt sein müssen, damit das Tatsachengericht gehalten ist, durch weitere Ermittlungen darauf einzugehen (vgl BVerwG aaO; BSG Urteil vom 1. September 1999 – B 9 SB 7/98 R). Dies ist zB der Fall, wenn früheres Vorbringen lediglich wiederholt wird oder der Vortrag bzw die Beweisanträge unsubstantiiert sind (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 4).
Die Beschwerdebegründung des Klägers enthält keine hinreichenden Ausführungen darüber, daß sich die Prozeßlage mit dem Eingang seines Schriftsatzes vom 1. Juni 2001 wesentlich geändert hat, insbesondere fehlen Darlegungen darüber, inwiefern er mit seinem Beweisantrag einen noch ungeklärten, entscheidungserheblichen Umstand unter Beweis gestellt hat. Hierzu hätte jedoch Anlaß bestanden; denn die damit zu beweisende Frage, daß es nämlich nach Auffassung des Chirurgen Dr. W … beim Kläger zu einer sehr starken Bänderdehnung gekommen sei, war in den Prozeß eingeführt und weder bei den Beteiligten, noch beim Sozialgericht (SG), noch beim LSG in Frage gestellt. So heißt es im Tatbestand des SG-Urteils vom 16. August 2000 auf Seite 2: „Nach dem H-Arzt-Bericht des Chirurgen Weber vom 03.03.1997 zog sich der Kläger dabei eine schwere Innenbanddehnung zu.” Des weiteren heißt es in dem vom LSG eingeholten Gutachten des Prof. Dr. S … vom 26. März 2001 auf Seite 14/15: „Bei der ersten Untersuchung nach dem Unfall vom 27.02.97 bei Dr. W … fand sich am 28.02.97 eine Schwellung an der Knieinnenseite beidseits über dem proximalen Ansatz des Innenbandes. Das Innenband war beidseits locker. Röntgenaufnahmen waren unauffällig. Die Diagnose lautete: Schwere Innenbanddehnung beidseits, Verdacht auf Innenmeniskusschaden beidseits, Kreuzbandschaden links.”
Da somit über die vom Chirurgen Dr. W … abgegebene Beurteilung der Knieverletzung des Klägers Unklarheiten nicht bestanden, eine Beweiserhebung hierüber also nicht erforderlich war, bestehen erhebliche Zweifel, ob der von ihm gestellte Beweisantrag den Anforderungen entsprach, die erfüllt sein mußten, damit das LSG gehalten war, durch weitere Ermittlungen darauf einzugehen. Der Kläger hätte daher in seiner Beschwerdebegründung substantiiert darlegen müssen, daß gleichwohl Unklarheiten bestanden, die durch die beantragte Anhörung des Dr. W … als sachverständigen Zeugen in entscheidungserheblicher Weise aufgeklärt hätten werden können. An derartigen Ausführungen mangelt es.
Soweit der Kläger beanstandet, das LSG habe den angefochtenen Beschluß nur einen Tag nach dem Zugang des Schreibens des LSG vom 8. Juni 2001 getroffen, fehlt es an der erforderlichen substantiierten Darlegung, daß es sich bei diesem Schreiben nicht um eine bloße Mitteilung, sondern um ein Anhörungsschreiben iS des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG gehandelt hat.
Die Beschwerde des Klägers war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen