Verfahrensgang
SG Hannover (Entscheidung vom 24.11.2011; Aktenzeichen S 11 KR 320/08) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 17.03.2021; Aktenzeichen L 4 KR 450/16 ZVW) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. März 2021 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auf 20 000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Die Klägerin ist eine GmbH, die medizinische Matratzen herstellt. Auf ihre Revision hatte das BSG (Urteil vom 23.6.2016 - B 3 KR 20/15 R - BSGE 121, 230 = SozR 4-2500 § 139 Nr 8) das ursprüngliche Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen aufgehoben. Nach Zurückverweisung des Rechtsstreits hat das LSG mit Urteil vom 17.3.2021 die Streichung von verschiedenen medizinischen Wasser-Matratzen aus dem Hilfsmittelverzeichnis (HMV) nach § 139 SGB V durch die Rechtsvorgänger des beklagten GKV-Spitzenverbandes bestätigt (Bescheid vom 28.1.2008, Widerspruchsbescheid vom 18.6.2008): Gemessen an den rechtmäßig fortgeschriebenen Qualitätsanforderungen im HMV habe die Klägerin den medizinischen Nutzen ihrer Wasser-Matratzensysteme nicht nachgewiesen.
Die Klägerin hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 17.3.2021 eingelegt, die sie auf zwei baugleiche Matratzen (Hydromed leicht, HVM Nr 11.11.03.4025 und Hydromed KSH, HMV Nr 11.11.04.1000) beschränkt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG).
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig, da das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensmängel den gesetzlichen Anforderungen entsprechend nicht hinreichend dargetan sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).
Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:
"Hat ein Hersteller, dessen Produkt/Hilfsmittel aus dem Hilfsmittelverzeichnis von dem GKV-Spitzenverband herausgenommen worden ist, als Nachweis die einsatzbezogenen und indikationsbezogenen Faktoren gegenüber dem Gericht zu erbringen, mithin den Nachweis des medizinischen Nutzens seines Produktes?"
"Oder aber:
Hat der Hersteller eines aus dem HMV durch den GKV-Spitzenverband herausgenommenen Produktes/Hilfsmittel im Rahmen des vom BSG v. 23.06.2016, B 3 KR 20/15 R Prüfschemas unter dem Prüfungspunkt zu Ziffer 1.): 'Medizinischer Nutzen' den Nachweis zu erbringen, dass sein Hilfsmittel den Kriterien des von dem GKV-Spitzenverband neugefassten Hilfsmittelverzeichnis entspricht?"
Diese Fragen beträfen eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle. Die Interpretation des vom Berufungsgericht missverstandenen Senatsurteils vom 23.6.2016 (aaO) führe dazu, dass Hilfsmittelhersteller den vom BSG geforderten Nachweis des medizinischen Nutzens ihres Produktes nicht erbringen könnten, selbst wenn dieser tatsächlich vorliege.
Soweit hierin eine hinreichend abstrakte Rechtsfrage überhaupt zu erkennen ist, kann der Beschwerdebegründung nicht entnommen werden, inwiefern insoweit Klärungsbedarf noch besteht. Mit dem in der Beschwerdebegründung in Bezug genommenen Senatsurteil (vom 23.6.2016 - B 3 KR 20/15 R - BSGE 121, 230 = SozR 4-2500 § 139 Nr 8, insbesondere RdNr 31 ff) hat der Senat bereits entschieden, dass soweit bei der Erstellung oder Fortschreibung des HMV für bestimmte Hilfsmittel besondere Qualitätsstandards entwickelt und im HMV veröffentlicht werden, alle zur Beurteilung der Erforderlichkeit dieser Qualitätsanforderungen notwendigen Ermittlungen der Amtsermittlungspflicht unterfallen (BSG, aaO, RdNr 12); demgegenüber alle produktbezogenen Unterlagen, aus denen sich die Voraussetzungen für die Aufnahme eines Hilfsmittels in das HMV sowie für seinen Verbleib im HMV ergeben, auch im Fall eines Widerrufs der Aufnahmeentscheidung und der Streichung eines Produktes aus dem HMV allein vom Hersteller beizubringen sind (BSG, aaO). Wenn die Klägerin der Meinung ist, dass das LSG dieses "Prüfschema" bei der Rechtsanwendung zu ihrem Nachteil grundlegend missverstanden habe, so ergibt sich daraus kein formgerecht dargelegter Revisionszulassungsgrund; allenfalls Angriffe auf die Beweiswürdigung, die von vornherein nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde sein können (s § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm § 128 Abs 1 Satz 1 SGG).
2. Die Klägerin hat auch keinen Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
a) Die Klägerin rügt einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG). Eine solche Sachaufklärungsrüge muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das Berufungsgericht nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das Berufungsgericht mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl nur BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 21 Nr 5 mwN). Zudem kann ein in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags gehört werden, wenn im Fall der Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 SGG dem LSG ausdrücklich mitgeteilt wurde, dass der schriftsätzlich angekündigte Beweisantrag aufrechterhalten wird oder dass neue förmliche Beweisanträge gestellt werden (stRspr; vgl nur BSG SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 f).
b) Soweit die Klägerin der Meinung ist, dass sie an ihrem im Schriftsatz vom 26.1.2017 angekündigten und in der Zustimmungserklärung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vom 12.2.2021 wiederholten Beweisantrag "Beweis Sachverständigengutachten" festgehalten habe, wird nicht deutlich, zu welchen konkreten entscheidungserheblichen Tatsachen das LSG nach diesem Antrag ein Sachverständigengutachten hätte einholen müssen. Auch fehlt es an hinreichender Darlegung, dass sich das LSG ausgehend von seiner Rechtsansicht zur Einholung eines solchen Sachverständigengutachtens hätte gedrängt sehen müssen. Hierzu führt die Klägerin aus, dass das von ihr beigebrachte Sachverständigengutachten (B, Gutachtenstelle der Technischen Universität B für Medizinprodukte vom 19.11.2014) durch das LSG als ungeeignet beurteilt worden sei, um den produktbezogenen Nachweis des Herstellers zu erbringen. Die Ansicht des LSG, dass die beantragte Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nicht erforderlich sei, verletze den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 103 SGG, weil dieses die zutreffende Einschätzung der Gutachtenstelle der TU B zur Qualität und zum medizinischen Nutzen der Matratzen bestätigt hätte. In diesem Zusammenhang setzt sich die Klägerin aber nicht hinreichend mit dem in Bezug genommenen Senatsurteil des BSG auseinander. Denn danach obliegt der Nachweis, dass ein bereits im HMV gelistetes Produkt nach der rechtmäßigen Festlegung neuer Qualitätsanforderungen diese erfüllt, allein dem Hersteller; gerichtliche Sachverständigengutachten sind von Amts wegen deshalb nicht einzuholen (BSG vom 23.6.2016 - B 3 KR 20/15 R - BSGE 121, 230 = SozR 4-2500 § 139 Nr 8, LS 3).
Hingegen stellt es keinen Revisionszulassungsgrund dar, wenn die Klägerin die angefochtene Entscheidung des LSG, insbesondere die dort getroffene Beweiswürdigung, wonach sie den medizinischen Nutzen ihrer Wasser-Matratzensysteme zur Dekubitusprophylaxe und -therapie nicht nachgewiesen habe, für unzutreffend hält. Denn von vornherein kann die als fehlerhaft gerügte Beweiswürdigung des LSG nicht als ein zur Zulassung führender Grund geltend gemacht werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin letztlich die unzureichende Rechtsanwendung des LSG rügt (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
4. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15052520 |