Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.04.2017; Aktenzeichen L 2 SO 3027/16) |
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 08.07.2016; Aktenzeichen S 22 SO 5296/14) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten zu 2 wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag des Beklagten zu 2 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist wird abgelehnt.
Der Beklagte zu 2 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auf 210 397,73 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Im Streit ist die Erstattung von Aufwendungen für die stationäre Unterbringung des Hilfeempfängers K. A. (A) und die Übernahme dieser Kosten für die Zukunft.
Der klagende Landkreis, in dessen Kreisgebiet der im März 1952 geborene A seit 1974 stationär untergebracht ist, hat geltend gemacht, er sei mit Auflösung des ursprünglich zuständig gewesenen Landeswohlfahrtsverbands Baden zum 1.1.2005 nicht zuständig geworden, sondern der Beklagte zu 1, in dessen Kreisgebiet A von August 1970 bis Juli 1972 stationär untergebracht war, hilfsweise der Beklagte zu 2, in dessen Kreisgebiet A von seiner Geburt bis August 1970 lebte. Die Klage hatte wegen des Hilfsantrags Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Freiburg vom 8.7.2016; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Baden-Württemberg vom 25.4.2017). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Beklagte zu 2 sei zuständig. A habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt mit Vollendung des 18. Lebensjahrs in dessen Kreisgebiet gehabt, worauf es nach dem nunmehr zur Anwendung kommenden Recht wegen der örtlichen Zuständigkeit ankomme; unerheblich sei, dass A nach damaligem Recht erst im März 1973 volljährig geworden sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil des LSG, das ihm am 6.6.2017 zugestellt worden ist, wendet sich der Beklagte zu 2 mit seiner Beschwerde, die er mit einem Schreiben vom 30.6.2017 an das LSG gerichtet hat. Die Beschwerde ist dort am 3.7.2017 eingegangen und mit Schreiben vom 4.7.2017 an das Bundessozialgericht (BSG) weitergeleitet worden. Hiervon ist dem Beklagten zu 2 Mitteilung gemacht worden; das Mitteilungsschreiben (vom 4.7.2017) ist bei ihm am 6.7.2017 eingegangen. Beim BSG ist die Beschwerdeschrift am 13.7.2017 eingegangen. Der Beklagte zu 2 hat am 1.8.2017 Wiedereinsetzung wegen der versäumten Beschwerdefrist beantragt und die Beschwerde am 4.8.2017 weiter begründet.
II
Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht rechtzeitig eingelegt worden ist (§ 160a Abs 1 Satz 2, § 64 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung dieser Frist (vgl § 67 SGG) ist unbegründet; die Fristversäumung beruht auf dem Verschulden des Beklagten zu 2.
Der Beklagte zu 2 hat die Monatsfrist zur Einlegung der Beschwerde, die am 6.7.2017 ablief, versäumt. Die fehlerhaft adressierte Beschwerdeschrift vom 30.6.2017 ist erst am 13.7.2017
beim BSG eingegangen und wahrt diese Frist nicht. Über den Lauf der Frist und die Notwendigkeit, die Beschwerde beim BSG einzulegen, ist der Beklagte zu 2 in der Rechtsmittelbelehrung des Urteils zutreffend belehrt worden.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht begründet. Nach § 67 Abs 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Den Beklagten zu 2 trifft aber ein Verschulden an der durch falsche Adressierung verursachten Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde. Geht ein fristgebundenes Rechtsmittel statt beim zuständigen Rechtsmittelgericht bei einem anderen Gericht ein, ist dieses grundsätzlich (lediglich) verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Geht der Schriftsatz so rechtzeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne Weiteres erwartet werden kann, darf der Beteiligte darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Kommt das angerufene Gericht dem nicht nach, wirkt sich das Verschulden des Beteiligten an der falschen Adressierung nicht mehr aus, sodass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Der eine Wiedereinsetzung begehrende Beteiligte hat jedoch darzulegen und glaubhaft zu machen, dass er hierauf vertrauen durfte und der Schriftsatz im ordnungsgemäßen Geschäftsgang also fristgerecht an das zuständige Rechtsmittelgericht hätte weitergeleitet werden können (vgl zuletzt etwa BGH NJW 2012, 1591 RdNr 22).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Beklagte zu 2 hat die fehlerhafte Adressierung als solche nicht entschuldigt und nicht erläutert, aus welchen Gründen er die Beschwerdeschrift zunächst an das LSG gesandt hat. Die Kausalität der nicht entschuldigten fehlerhaften Adressierung an der Fristversäumung ist auch nicht dadurch entfallen, dass das LSG den Beschwerdeschriftsatz zwar noch innerhalb der Beschwerdefrist an das BSG weitergeleitet hat, diese aber nicht mehr rechtzeitig eingegangen ist; denn die Weiterleitung von Schriftstücken durch Sammelpost entspricht dem zwischen Gerichten "ordentlichen" Geschäftsgang, auch wenn diese ggf fristgebunden sind. Der Beklagte zu 2 hat insoweit zur Entschuldigung des Fristversäumnisses lediglich vorgetragen, durch den Eingang des Schreibens vom 4.7. bei ihm am 6.7.2017 sei seine Erwartung bestätigt worden, die beim LSG eingegangene Beschwerde sei noch rechtzeitig weitergeleitet worden. Bei Eingang des Mitteilungsschreibens (erst) am Tag des Fristablaufs wird aber gerade nicht erkennbar, weshalb sich daraus für den Beteiligten ein Vertrauen auf den rechtzeitigen Eingang der Beschwerde beim BSG ergeben sollte. Schon bei den üblichen Postlaufzeiten kann damit nicht sicher davon ausgegangen werden, die Beschwerdeschrift sei auch an diesem Tag beim BSG eingegangen. Zudem konnte der Beklagte zu 2 aus dem Schreiben nicht den Schluss ziehen, sein Beschwerdeschriftsatz sei mit Einzelpost versandt worden. Zumindest einer beteiligten Behörde muss bewusst sein, dass der Postverkehr von Gerichten untereinander ggf über Sammelpost erfolgt. Gerade angesichts des Mitteilungsschreibens drängen sich damit für einen rechtskundig vertretenen Beteiligten Zweifel am rechtzeitigen Eingang der Beschwerde beim Beschwerdegericht auf. Ein solcher Beteiligter handelt dann aber nicht ohne Verschulden, wenn er von sich aus keine weiteren Schritte unternimmt, um sich vom fristgerechten Eingang zu überzeugen und - soweit erforderlich - (ggf auch ohne Rückfrage bezüglich des Eingangs beim BSG) den Schriftsatz fristwahrend per Telefax an das BSG übersendet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 2 und 3, § 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Fundstellen
Dokument-Index HI11536713 |