Entscheidungsstichwort (Thema)
Streitgegenstand. selbständige neue Klage
Orientierungssatz
Gemäß § 96 SGG wird ein Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, der nach Klageerhebung den ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakt ersetzt oder ändert, also hinsichtlich des Streitgegenstands eine andere Regelung trifft; einer daneben selbständig erhobenen neuen Klage steht die Rechtshängigkeit nach § 94 Abs 2 SGG entgegen, sofern der Kläger nicht im anhängigen Verfahren auf die Einbeziehung nach § 96 SGG deutlich verzichtet.
Normenkette
SGG §§ 96, 94 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 14.03.1989; Aktenzeichen L 7 Ar 67/88) |
Gründe
Die Beschwerde war als unzulässig zu verwerfen, weil ihre Begründung den Erfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht genügt.
Der Kläger rügt, das Landessozialgericht (LSG) habe hinsichtlich der Bescheide vom 4. und 11. Februar 1987 sowie vom 14. Januar 1988 mit der Verwerfung der Berufung als unzulässig gegen § 150 Nr 2 SGG verstoßen, da er mit der Berufung zu Recht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt habe. Der 1933 geborene Kläger ist ugandischer Staatsangehöriger und in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigter anerkannt. Er war als Diplom-Ingenieur im Fachbereich Bergbau-Tiefbau in der Deutschen Demokratischen Republik von November 1963 bis 1970 tätig und von 1971 bis 1975 als wissenschaftlicher Aspirant. In der Bundesrepublik Deutschland war er nach seiner Übersiedlung im Jahre 1976 vom 1. April bis zum 15. Oktober 1977 als Helfer in der Krankenpflege und vom 17. Oktober bis 31. Dezember 1977 als Prüfarbeiter (Prüfer in der Endkontrolle) beschäftigt.
Das Sozialgericht (SG) hat dem Klagebegehren, bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe (Alhi) den Beruf als Bergbau-Ingenieur und die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse zu berücksichtigen, da insoweit eine wesentliche Änderung iS des § 48 SGB 10 nicht eingetreten sei, entgegengehalten, tatsächlich sei der Kläger vor dem 4. Februar 1982 weder als Bergbau-Ingenieur noch als Betriebswirt noch als Universitätsassistent tätig gewesen, sondern zum Elektromechaniker umgeschult worden; die Entscheidung der Beklagten wäre nur dann ermessensfehlerhaft, wenn der Kläger als Bergbau-Ingenieur oder Betriebswirt oder Universitätsassistent gearbeitet und anschließend Arbeitslosengeld nach dem in einer dieser Tätigkeiten erzielten Arbeitsverdienst bezogen hätte. Diese Ausführungen sind auf das Klagevorbringen bezogen und ersichtlich dahin zu verstehen, daß nach der Rechtsauffassung des SG bei der Bemessung der Alhi die früheren Berufe schon bei Erteilung des ersten Bescheides unter den gegebenen Umständen nicht zu berücksichtigen waren, insbesondere weil der Kläger sie nicht in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig ausgeübt hatte. Eine wesentliche Änderung hinsichtlich der Arbeitsmarktlage oder der Berufstüchtigkeit des Klägers erschien dem SG damit nicht erforderlich. Anhaltspunkte dafür, das SG habe übersehen, daß der Kläger diese im Urteil erwähnten Berufe ausgeübt hatte, wenn auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, sind nicht ersichtlich. Es fehlt die Angabe der Tatsachen, aus denen sich nach Auffassung des Beschwerdeführers ergibt, daß sich das SG gleichwohl dem Klagevorbringen hinsichtlich der Ausübung dieser Berufe in der DDR "verschlossen" und dadurch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat.
Hinsichtlich des Bescheides vom 25. Februar 1988 ergibt das Beschwerdevorbringen keinen Verfahrensmangel. Während die angefochtenen Bescheide den Anspruch auf Alhi für die Zeit bis zum 24. Februar 1988 betrafen, wird die Alhi in dem nach Erlaß des SG-Urteils vom 10. Februar 1988 und nach Einlegung der Berufung ergangenen Bescheid vom 25. Februar 1988 für die anschließende Zeit vom 25. Februar 1988 bis zum 24. Februar 1989 festgesetzt. Auf einen derartigen Bescheid ist § 96 SGG nicht unmittelbar anwendbar. Nach dieser Vorschrift wird ein Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, der nach Klageerhebung den ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakt ersetzt oder ändert, also hinsichtlich des Streitgegenstands eine andere Regelung trifft (vgl BSG SozR Nr 12 zu § 96 SGG, SozR 1500 § 96 Nrn 2 und 6); einer daneben selbständig erhobenen neuen Klage steht die Rechtshängigkeit nach § 94 Abs 2 SGG entgegen, sofern der Kläger nicht im anhängigen Verfahren auf die Einbeziehung nach § 96 SGG deutlich verzichtet (BSG Urteil vom 18. Februar 1987 - 7 RAr 22/85 -, SozSich 1987, 382; BSGE 5, 158, 163). Auf spätere Bescheide, die den ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakt nicht ersetzen oder ändern, aber die früher getroffene Regelung in ähnlicher Weise berühren, insbesondere - wie hier - die streitige Leistung unter Beantwortung derselben Streitfragen für einen späteren Zeitraum festsetzen, ist § 96 SGG entsprechend anwendbar. Insoweit hat der erkennende Senat ein Wahlrecht des Klägers auf Einbeziehung in das Berufungsverfahren oder auf gesonderte Klage erwogen (SozR 1500 § 96 Nr 13), das jedoch durch die Einlegung des Widerspruchs noch nicht ausgeübt wird (SozR 1500 § 96 Nr 18). Anders ist es jedoch bei Erhebung einer selbständigen Klage. Diese bewirkt Rechtshängigkeit in erster Instanz. Dadurch entfällt wegen anderweitiger Rechtshängigkeit die Zufälligkeit einer Entscheidung nach § 96 SGG in das Berufungsverfahren. Das gilt auch, wenn der anwaltschaftlich vertretene Kläger vom LSG über die nur entsprechende Anwendbarkeit des § 96 SGG und damit über sein Wahlrecht nicht belehrt worden ist. Denn die doppelte Überprüfung des einen späteren Zeitraum mit gleicher Begründung betreffenden Bescheides sowohl durch gesonderte Klage als auch durch klageweise Einbeziehung - in entsprechender Anwendung des § 96 SGG - in das Berufungsverfahren sieht das Gesetz nicht vor. Die Klageerhebung geht deshalb als Prozeßhandlung des Klägers der entsprechenden Anwendung des § 96 SGG in Fällen dieser Art vor, zumal dem Kläger daraus kein prozessualer Nachteil entsteht.
Dieser rechtlichen Beurteilung steht die einen für die Höhe der MdE vorgreiflichen Bescheid über Pflegezulage betreffende Entscheidung des 9. Senats (SozR 1500 § 96 Nr 4) nicht entgegen, weil ein solcher Fall hier nicht vorliegt. Daher war die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen