Leitsatz (amtlich)
1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung eines Verfahrensmangels, der in der Beweisaufnahme mittels eines Termins- oder Sitzungsarztes liegen soll.
2. Mit der Rüge eines solchen Verfahrensmangels wird die Beweiswürdigung des Landessozialgerichts angegriffen.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160 Abs 2 Nr 3, § 160a Abs 2 S 3, § 128 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 23.02.1987; Aktenzeichen L 2b J 207/86) |
SG Itzehoe (Entscheidung vom 15.04.1986; Aktenzeichen S 1 J 277/85) |
Gründe
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig, denn die Begründung entspricht nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form.
Der Kläger macht geltend, der gerügte Mangel des angefochtenen Urteils sei nicht nur von grundsätzlicher Bedeutung, er stelle auch einen Verfahrensmangel dar. Wie bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit üblich, sei der Kläger kurz vor der mündlichen Verhandlung von drei Ärzten gleichzeitig ca 15 Minuten lang untersucht worden. Das stelle eine Verfahrensweise dar, die eine objektive Beurteilung kaum zulasse und nicht das Gefühl vermittele, daß mit einer der Sache angepaßten Gründlichkeit dem Gesundheitszustand des Klägers nachgegangen werde.
Der Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - muß in der Beschwerdebegründung dargelegt werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Dazu verlangt das Bundessozialgericht (BSG) - bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG in SozR 1500 § 160a Nr 48) -, daß die Begründung der Beschwerde bestimmte formale Voraussetzungen erfüllt. Der Beschwerdeführer muß mindestens eine Rechtsfrage klar bezeichnen. Er muß aufzeigen, warum sie grundsätzlicher Art ist, also über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt. Das ist dann zu bejahen, wenn die Entscheidung der Frage im allgemeinen Interesse liegt, weil das Recht fortentwickelt oder vereinheitlicht wird. Schließlich muß dargetan werden, daß die Rechtsfrage klärungsbedürftig und klärungsfähig ist. Dazu sind Ausführungen erforderlich, inwiefern die Beantwortung der Frage zweifelhaft und im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist (vgl BSG in SozR aaO Nrn 17 und 54).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des Klägers nicht. Offenbar will der Kläger Fragen aufgreifen, die dahin gehen, wann die Sachaufklärung im sozialgerichtlichen Verfahren mit Hilfe eines sog "Termins- oder Sitzungsarztes" erfolgen kann, und ob eine solche Sachaufklärung ausreichend ist. Dazu hat das BSG bereits im Urteil vom 21. Januar 1959 (SozR Nr 42 zu § 128 SGG) entschieden, das Gutachten eines Terminsarztes über das Vorliegen von Gesundheitsstörungen und über ihre Ursachen, das nur auf die Untersuchung während einer Gerichtsverhandlung gestützt wird und deshalb nur auf Untersuchungsmethoden beruht, wie sie bei einer solchen Untersuchung sachlich, zeitlich und örtlich möglich sind, könne dem Gericht in der Regel jedenfalls dann kein überzeugendes Bild von dem Gesundheitszustand des Untersuchten vermitteln, wenn es nicht an Unterlagen über frühere eingehende Untersuchungen (Gutachten, Röntgenbilder, Krankenpapiere) anknüpfe (vgl auch Urteile des BSG vom 25. Mai 1960 - 11 RV 92/60 -, 30. März 1966 - 2 RU 246/63 - und den Beschluß vom 30. Mai 1980 - 8a BU 34/80 - in Lauterbach, Kartei zur Unfallversicherung, § 581 Abs 1 RVO Nr 10768). In der Entscheidung vom 17. Januar 1967 - 10 RV 895/63 - ist zum Gutachten eines Terminsarztes ausgeführt worden, der Mangel der Beweiswürdigung liege darin, daß das Berufungsgericht in Kenntnis der völligen Unzulänglichkeit beim Zustandekommen des Gutachtens diesem ausschlaggebende Bedeutung beigemessen und die Fehlerquellen in Kauf genommen habe, die diesem Gutachten anhafteten und bei genügender Zeit zur Vorbereitung leicht zu vermeiden gewesen wären. Schließlich heißt es zum gleichen Thema noch im Urteil vom 27. Juni 1969 (in SozVers 1970, 53, 54) nach allgemeinen Erfahrungen sei es auch für einen erfahrenen Sachverständigen unmöglich, sich in einer so kurzen Zeit von 10 Minuten Dauer ein zutreffendes Bild über Unfallfolgen zu machen.
Auf diese Rechtsprechung hätte der Kläger in der Beschwerdebegründung eingehen und aufzeigen müssen, welche Fragen bezüglich des Einsatzes von Termins- oder Sitzungsärzten gleichwohl noch und warum klärungsbedürftig sowie klärungsfähig sind. Das ist nicht geschehen.
Auch Mängel des Berufungsverfahrens sind in diesem Zusammenhang nicht formgerecht gerügt worden. Der Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG setzt einen Verfahrensmangel voraus, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann. Er muß gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in der Beschwerdebegründung bezeichnet werden. Dazu ist es erforderlich, die Tatsachen anzugeben, die den entscheidungserheblichen Mangel ausmachen und darzulegen, weshalb die Entscheidung des Berufungsgerichts gerade auf diesem Mangel beruhen kann. Da bestimmte, in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG aufgeführte Verfahrensmängel nicht oder nur unter den dort genannten Voraussetzungen geltend gemacht werden können, muß ggf aufgezeigt werden, warum das hier möglich ist.
Das BSG hat in den erwähnten Urteilen vom 21. Januar 1959, 17. Januar 1967 und 27. Juni 1969 (aaO) einen Mangel in der Beweiswürdigung angenommen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einem unzureichenden Gutachten eines Terminsarztes basiert. Auf eine solche Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann die Beschwerde aber nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht gestützt werden. Zwar ist es möglich, ein solches Gutachten auch mit der Begründung anzugreifen, die Sachaufklärung sei unzureichend. § 160 Abs 2 Nr 3 SGG knüpft aber die Rüge einer Verletzung des § 103 SGG daran, daß sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht (LSG) ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Somit muß nach Anhörung des Termins- oder Sitzungsarztes beim LSG der Antrag gestellt worden sein, weiteren Beweis zu den Fragen zu erheben, zu denen sich der Sachverständige geäußert hat. In der Beschwerdebegründung muß dieser Beweisantrag so genau bezeichnet werden, daß er für das Revisionsgericht ohne weiteres auffindbar ist (vgl BSG in SozR 1500 § 160a Nr 4 und § 160 Nr 5). Daran fehlt es in der Beschwerdebegründung des Klägers, ebenso an Darlegungen darüber, aufgrund welcher Rechtsauffassung das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, Tatfragen für klärungsbedürftig zu halten und sie auch aufzuklären (vgl BSG aaO § 160a Nr 34 mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen