Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache. Bindung der Entscheidung des ausländischen Rentenversicherungsträgers. Verfahrensfehler. Zurückverweisung durch das LSG an das SG bei wesentlichen Mängeln des sozialgerichtlichen Verfahrens. Ermessensfehlgebrauch des Berufungsgerichts. Nachprüfbarkeit im Revisionsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
Die Frage der Bindung an die Entscheidung eines ausländischen Versicherungsträgers, dass keine nach seinen Rechtsvorschriften anrechenbare Versicherungszeiten vorhanden seien, hat keine grundsätzliche Bedeutung, denn sie ist durch Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt (vgl. BSG SozR 3-6050 Art. 45 Nr. 2).
Orientierungssatz
Ob eine Sache bei wesentlichen Mängeln des sozialgerichtlichen Verfahrens an das SG zurückverwiesen wird, steht im Ermessen des LSG und kann im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob ein Ermessensfehlgebrauch des Berufungsgerichts gegeben ist. Da das Berufungsgericht in vollem Umfang als zweite Tatsacheninstanz ausgestaltet ist und Präklusionsvorschriften nicht eingreifen, kann es allenfalls in Ausnahmevorschriften sachgerecht sein, den Rechtsstreit wegen einer eventuell geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs im ersten Rechtszug an das SG zurückzuverweisen. Bei der Ausübung des Ermessens kommt prozessökonomischen Gesichtspunkten eine erhebliche Bedeutung zu. Im Zweifel ist die Entscheidung des LSG, den Rechtsstreit selbst zu entscheiden, im Interesse einer zügigen Erledigung des Verfahrens vorzugswürdig (vgl BSG vom 15.11.1995 - 6 RKa 58/94 = SozR 3-1300 § 16 Nr 1, BSG vom 11.12.2002 - B 6 KA 1/02 R = SozR 3-2500 § 106 Nr 57 und BSG vom 30.8.2001 - B 4 RA 87/00 R = BSGE 88, 274 = SozR 3-5050 § 22b Nr 1).
Normenkette
SGG § 159 Abs. 1 Nr. 2, § 160 Abs. 2
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 13.05.2003; Aktenzeichen L 9 RJ 5044/02) |
SG Stuttgart (Gerichtsbescheid vom 14.10.2002; Aktenzeichen S 9 RJ 1670/02) |
Gründe
Mit Urteil vom 13. Mai 2003 hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Alters im Wesentlichen mit folgender Begründung verneint: Zwar sei der angefochtene Gerichtsbescheid fehlerhaft zu Stande gekommen, da ein Zugang des Anhörungsschreibens vor Erlass des Gerichtsbescheides nicht nachgewiesen sei. Der Berufungssenat sehe jedoch im Rahmen des ihm nach § 159 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeräumten Ermessens von einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung ab, weil die Klägerin in der Berufungsinstanz Gelegenheit zu weiterem Sachvortrag gehabt habe. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Altersrente (AlR) wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Ebenfalls lägen die Voraussetzungen für eine AlR für Frauen wegen Vollendung des 60. Lebensjahres nach § 237a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ab 1. Januar 2000 geltenden Fassung nicht vor. Die Klägerin habe zwar am 19. März 1980 das 40. Lebensjahr vollendet, danach jedoch lediglich vier Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Die Klägerin habe insbesondere nach Vollendung des 40. Lebensjahres keine Pflichtbeitragszeiten in G. zurückgelegt. Die von der Klägerin behauptete versicherungspflichtige Beschäftigung in der Landwirtschaft seit 1980 sei nicht nachgewiesen. Der Nachweis über eine versicherungspflichtige Beschäftigung in G. könne nur über Bescheinigungen, die nach den Verordnungen 1408/71 und 574/72 EWG vom griechischen Versicherungsträger erstellt würden, geführt werden. Aus diesem Grund könnten weder die Bescheinigungen der Gemeinde N. vom 28. Mai 2001 noch die Bescheinigung des Vertreters der OGA und der landwirtschaftlichen Genossenschaft von A. vom 28. Februar 2002, in denen weitere Beschäftigungszeiten als im Formular E 205 angegeben seien, berücksichtigt werden. Außerdem bestätigten diese Bescheinigungen lediglich Beschäftigungen in der Landwirtschaft, jedoch keine Versicherungszeiten bei der OGA. Die Klägerin habe auch nach sonstigen Rechtsvorschriften (§§ 237, 236a, 236 SGB VI) keinen Anspruch auf AlR vor Vollendung des 65. Lebensjahres.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin persönlich Beschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Der Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin ist abzulehnen.
Nach § 73a SGG iVm § 114 der Zivilprozessordnung kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann Prozesskostenhilfe bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das ist hier nicht der Fall. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 166 Abs 2 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin erfolgreich zu begründen.
Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Ein solcher Zulassungsgrund ist weder nach dem Vorbringen der Klägerin noch nach summarischer Prüfung des Streitstoffes ersichtlich.
Es ist nicht erkennbar, dass eine Zulassung der Revision gegen das von der Klägerin angegriffene Urteil auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung iS dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 11, 39). Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 4) oder die Frage bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65). Rechtsfragen, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind hier nicht ersichtlich. Zu den Leistungsvoraussetzungen von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit besteht bereits eine umfangreiche Rechtsprechung des BSG (vgl dazu zB Niesel in Kasseler Komm, Ablegeordner, Anmerkungen zu §§ 43, 44 SGB VI aF). Dies gilt auch für die Frage der Bindung an die Entscheidung eines ausländischen Versicherungsträgers, dass keine nach seinen Rechtsvorschriften anrechenbare Versicherungszeiten vorhanden seien (vgl BSG SozR 3-6050 Art 45 Nr 2). Die Voraussetzungen der §§ 35, 236, 236a und 237 SGB VI ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz.
Des Weiteren ist nicht zu ersehen, dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder, anders ausgedrückt, das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 160 RdNr 13; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 163 f). Davon kann hier nicht ausgegangen werden.
Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensfehler feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Nach Halbsatz 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein derartiger Beweisantrag, den das Berufungsgericht unter Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) übergangen haben könnte, ist hier nicht ersichtlich.
Auch andere Verfahrensfehler, die dem Berufungsgericht unterlaufen sein könnten, sind nach Durchsicht der Akten und auch nach dem Vorbringen die Klägerin nicht erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin rügen könnte, das Berufungsgericht habe einen Verfahrensfehler dadurch begangen, dass es den Rechtsstreit trotz fehlender Anhörung gemäß § 105 Abs 1 Satz 2 SGG hinsichtlich des Erlasses eines Gerichtsbescheides durch das Sozialgericht (SG) unter Verstoß gegen § 159 SGG nicht an das SG zurückverwiesen, sondern selbst in der Sache entschieden habe. Ob eine Sache bei wesentlichen Mängeln des sozialgerichtlichen Verfahrens an das SG zurückverwiesen wird, steht im Ermessen des LSG und kann im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob ein Ermessensfehlgebrauch des Berufungsgericht gegeben ist (BSG SozR 3-1300 § 16 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 57). Da das Berufungsgericht in vollem Umfang als zweite Tatsacheninstanz ausgestaltet ist und Präklusionsvorschriften nicht eingreifen, kann es allenfalls in Ausnahmevorschriften sachgerecht sein, den Rechtsstreit wegen einer evtl geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs im ersten Rechtszug an das SG zurückzuverweisen. Bei der Ausübung des Ermessens kommt prozessökonomischen Gesichtspunkten eine erhebliche Bedeutung zu. Im Zweifel ist die Entscheidung des LSG, den Rechtsstreit selbst zu entscheiden, im Interesse einer zügigen Erledigung des Verfahrens vorzugswürdig (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 57; BSGE 88, 274 = SozR 3-5050 § 22b Nr 1). Für das Vorliegen einer solchen Ausnahmesituation bestehen hier keine hinreichenden Anhaltspunkte, zumal das Berufungsgericht insoweit ausgeführt hat, im Rahmen des ihm nach § 159 Abs 1 SGG eingeräumten Ermessens sehe der Senat von einer Zurückverweisung der Sache an das SG ab, da die Klägerin Gelegenheit zu weiterem Sachvortrag in der Berufungsinstanz gehabt habe und die Sache entscheidungsreif sei. Dies erscheint nicht zu beanstanden, weil es im vorliegenden Rechtsstreit im wesentlichen um Rechtsfragen ging, insbesondere über die Bindung an die Entscheidung eines ausländischen Versicherungsträgers.
Die inhaltliche Richtigkeit des Urteils, die die Klägerin möglicherweise angreifen möchte, lässt sich mit einer Verfahrensrüge nicht überprüfen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Die von der Klägerin persönlich gegen das Urteil des LSG eingelegte Beschwerde ist bereits deshalb unzulässig, weil sie nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (vgl § 166 SGG) eingelegt worden ist. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen