Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Vermögensberücksichtigung. Kapitallebensversicherung. rückwirkender Verwertungsausschluss nach § 165 VVG. Beratungspflicht des Grundsicherungsträgers. kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Orientierungssatz
1. Die vertragliche Vereinbarung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer über einen Ausschluss der Verwertbarkeit einer Lebensversicherung vor dem Eintritt in den Ruhestand kann nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden (Anschluss an BSG vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 63/06 R = SozR 4-1200 § 14 Nr 10).
2. Zur Beratungs- und Auskunftspflicht des Grundsicherungsträgers nach dem SGB 2 (Anschluss an BSG aaO).
Normenkette
SGB 2 § 12 Abs. 1; SGB 2 § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Fassung: 2006-07-20; SGB 1 §§ 14-15; VVG § 165 Abs. 3
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.06.2008; Aktenzeichen L 3 AS 6135/07) |
SG Mannheim (Entscheidung vom 09.11.2007; Aktenzeichen S 4 AS 1246/07) |
Tatbestand
Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.1. bis 20.3.2007.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin durch Bescheid vom 20.9.2006 Arbeitslosengeld II (Alg II) für den Zeitraum vom 1.11.2006 bis 31.3.2007. Nachdem der Beklagte von der Existenz eines Depots eines Rentenfonds der Klägerin bei der U. bank erfahren hatte, hob er den zuvor benannten Bescheid durch Bescheid vom 10.1.2007 wegen mangelnder Hilfebedürftigkeit zum 31.12.2006 auf. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin verfüge über verwertbares Vermögen, das sie zur Deckung ihres Lebensunterhalts einsetzen müsse. Mit ihrem Vortrag im Widerspruchsverfahren, sie habe keine Kenntnis gehabt über die Verpflichtung, das Depotvermögen angeben zu müssen und sie sei durch eine psychische Erkrankung an Entscheidungen über den Vermögenseinsatz gehindert gewesen, war die Klägerin erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 1.3.2007). Zuvor hatte der Beklagte durch Bescheid vom 21.2.2007 die Leistungsbewilligung bereits ab dem 1.11.2006 aufgehoben und überzahlte Leistungen zurückgefordert.
Im Klageverfahren hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei über die Schädlichkeit der Geldanlage im Unklaren gewesen. Hätte sie die Sach- und Rechtslage zutreffend überblickt, hätte sie rechtzeitig für eine Anlage in leistungsunschädlicher Art gesorgt. Das Sozialgericht Mannheim hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.11.2007) und das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung hiergegen durch Urteil vom 18.6.2008 zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt: Die Aufhebung der Leistungsbewilligung sei rechtlich nicht zu beanstanden; die Klägerin sei von Anfang an nicht hilfebedürftig gewesen. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe sie über ein Sparguthaben von 8 775,33 Euro, ein Bausparguthaben von 1 540,50 Euro und nach Auflösung des Depots (Depotwert am 1.5.2006 = 13 275,56 Euro) - nach eigenen Angaben der Klägerin - am 19.12.2006 ein Barvermögen von 12 000 Euro verfügt. Damit sei die Freibetragsgrenze von 9 300 Euro deutlich überschritten worden. Weitere Freibeträge seien der Klägerin auch nicht einzuräumen gewesen, insbesondere nicht deswegen, weil das Vermögen der Alterssicherung gedient habe. Sie habe über das Spar- und das Barvermögen bereits vor der Erreichung des Rentenalters verfügen können. Ein Ausschluss der Verwertung wegen einer besonderen Härte scheide im vorliegenden Fall aus, denn es sei nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin auf Grund ihrer Erkrankung gehindert gewesen sei, das Vermögen in einer "geschützten" Form anzulegen. Auf einen Beratungsfehler des Beklagten könne sich die Klägerin ebenfalls nicht berufen. Sie habe dem Beklagten das Vorhandensein des Depotvermögens verschwiegen, sodass dieser zunächst keinerlei Anhaltspunkte für einen Beratungsbedarf gehabt habe. Die Situation habe sich auch nicht dadurch verändert, dass der Beklagte im Dezember 2006 durch einen Datenabgleich von dem Barvermögen erfahren (Auflösung des Depots im Juli 2006) habe. Zudem lasse sich - unterstellt es läge ein Beratungsfehler vor - die Nichtanlage des Vermögens in einer Form, die den Anforderungen des § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II entspreche, nicht durch eine zulässige Amtshandlung des Beklagten ersetzen. Auch ein Herstellungsanspruch der Klägerin sei mithin nicht gegeben.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde an das Bundessozialgericht (BSG). Sie macht als Zulassungsgrund die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) . Es sei die Rechtsfrage zu entscheiden, ob Vermögen oder Vermögensteile bei der Vermögensanrechnung nach § 12 SGB II im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fiktiv als geschütztes Alterssicherungsvermögen behandelt werden könnten, wenn aus Gründen, die nicht im Verantwortungsbereich des Vermögensinhabers und Leistungsempfängers stünden, eine geschützte Anlage iS des § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II zunächst nicht habe erfolgen können und dies auch auf eine fehlerhafte Beratung der Alg II-Behörde zurückzuführen sei. Diese Frage sei klärungsbedürftig, weil höchstrichterlich noch nicht behandelt, und klärungsfähig. Es stelle sich die Frage, ob das Barvermögen nachträglich als geschütztes Vermögen anzusehen sei, weil die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, es ordnungsgemäß iS des § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II anzulegen, wie dieses ab dem 22.3.2007 geschehen sei.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin sinngemäß die nachfolgende Rechtsfrage stellen wollte: Ist das die Freibetragsgrenze überschreitende Vermögen im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs als von Anfang geschütztes Alterssicherungsvermögen zu bewerten, wenn der beklagte Grundsicherungsträger es fehlerhaft unterlässt, den Hilfebedürftigen über die Voraussetzungen des § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II, insbesondere die Möglichkeit, einen Verwertungsausschluss zu vereinbaren, zu belehren. Diese Rechtsfrage ist jedoch nicht klärungsbedürftig.
Die Rechtsfrage ist bereits von dem 14. Senat des BSG beantwortet worden. Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsauffassung aus der Entscheidung vom 31.10.2007 (B 14/11b AS 63/06 R, SozR 4-1200 § 14 Nr 10) an. Danach kann die vertragliche Vereinbarung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer über einen Ausschluss der Verwertbarkeit einer Lebensversicherung vor dem Eintritt in den Ruhestand nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14,15SGB I) , verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen (vgl Urteil des 7. Senats des BSG vom 1.4.2003 - Lohnsteuerklassenwechsel - BSGE 92, 267, 279 = SozR 4-4300 § 137 Nr 1 mit zahlreichen weiteren Nachweisen) . Mit dem 14. Senat geht der erkennende Senat zwar davon aus, dass den Grundsicherungsträger in Fällen der Möglichkeit eines Schutzes des Vermögens durch Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses eine Beratungs- und Auskunftspflicht trifft. Vergleichbar dem Sachverhalt, der der Entscheidung des 14. Senats zu Grunde lag, bestehen hier bereits erhebliche Zweifel, ob zwischen einer ggf unterlassenen hinreichenden Beratung durch den Beklagten, also der Pflichtverletzung, und dem Nachteil für die Klägerin ein ursächlicher Zusammenhang bestand. Denn eine Beratungspflicht setzt voraus, dass die Behörde Anhaltspunkte dafür hat, dass ein entsprechendes Bedürfnis für eine Beratung besteht. Hieran fehlt es regelmäßig bzgl derjenigen Umstände und Verhältnisse, die den Behörden verschwiegen werden. Hierauf kommt es jedoch vorliegend bereits deswegen nicht an, weil die Korrektur des Beratungsfehlers nicht durch eine zulässige Amtshandlung möglich ist.
Die Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses gemäß § 165 Abs 3 Versicherungsvertragsgesetz stellt einen zivilrechtlichen Vertrag dar, mit dem sich Versicherungsnehmer und Versicherungsgeber durch übereinstimmende Willenserklärungen über eine Rechtsfolge - Ausschluss der Verwertung vor Eintritt in den Ruhestand - einigen. Diese Rechtsfolge kann nur die Klägerin selbst herbeiführen. Es ist nicht möglich, die Klägerin im Wege einer Amtshandlung so zu stellen, als hätte sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt den Verwertungsausschluss vertraglich vereinbart. Im Unterschied und in Abgrenzung zum Amtshaftungsanspruch kommt im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine Ersetzung von tatsächlichen Umständen - wie dem Vorliegen einer vertraglichen Vereinbarung - denen gestaltende Entscheidungen des Antragstellers zu Grunde liegen, nicht in Betracht (vgl BSGUrteil vom 31.1.2006 - B 11a AL 15/05 R mwN; vgl auch Ladage, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, 1990, insbes S 100 f; ebenso Kreßel,NZS 1994, 395 , 400; kritisch Bieback,SGb 1990, 517 , 518) . Insofern fehlt es an der Voraussetzung, dass der Nachteil durch eine vom Gesetz vorgesehene und zulässige Amtshandlung ausgeglichen werden kann (vgl hierzu BSGUrteil vom 16.3.2005 - B 11a/11 AL 45/04 R ) . Eine in der Gestaltungsmacht ausschließlich des Bürgers liegende vertragliche Disposition kann nicht im Wege des Herstellungsanspruchs nachgeholt bzw fingiert werden, weil sie insoweit außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses liegt.
Die Klägerin hat auch nichts vorgebracht, was den Senat veranlassen müsste, in eine erneute Überprüfung dieser Rechtsauffassung einzutreten. Die Klägerin setzt sich mit dem zuvor benannten Urteil nicht auseinander und benennt insbesondere auch keine beachtlichen Stimmen in Literatur und Rechtsprechung, die eine erneute Auseinandersetzung mit der Rechtsfrage erforderlich erscheinen lassen könnten.
Soweit die Klägerin in ihre Rechtsfrage auch ihr eigenes Unvermögen, eine Anlageform zu begründen, die zum Schutz des Depotvermögens geführt hätte, einbezieht, geht der Senat davon aus, dass es sich hierbei nur um eine unterstützende Argumentation zur Begründung der Beratungspflicht des Beklagten handelt. Aus der gesundheitlich bedingten Handlungsunfähigkeit des Hilfebedürftigen kann zwar eine verstärkte Verpflichtung des Beklagten, beratend tätig zu werden, folgen; eine Pflichtverletzung in diesem Sinne könnte auch einen Herstellungsanspruch begründen. Aber auch eine verstärkte Beratungspflicht ändert nichts daran, dass der durch die Beratungspflichtverletzung entstandene Nachteil nicht durch eine vom Gesetz vorgesehene und zulässige Amtshandlung ausgeglichen werden könnte.
Soweit der Vortrag der Klägerin so zu verstehen sein sollte, das LSG habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, ihre gesundheitliche Beeinträchtigung und deren Folgen für das Anlageverhalten in seine Beurteilung einzubeziehen, folgt auch hieraus nicht die Zulassung der Revision. Einen Zulassungsgrund hat sie mit diesem Vortrag nicht ordnungsgemäß dargetan (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verfahrensmangel geltend gemacht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Hieran fehlt es.
Die Klägerin hat mit dem Hinweis auf ihr gesundheitliches Unvermögen keine ordnungsgemäße Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht dargelegt. Sie trägt schon nicht vor, einen Beweisantrag gestellt zu haben. Ebenso wenig legt sie dar, dass das LSG einen solchen ohne hinreichende Begründung übergangen hat. Vielmehr rügt sie letztendlich eine ihrer Ansicht nach fehlerhafte Beweiswürdigung des LSG (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) . Hierbei handelt es sich jedoch nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG von vornherein nicht um einen Grund, der zur Zulassung der Revision führen könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen