Verfahrensgang
Sächsisches LSG (Urteil vom 14.08.2018; Aktenzeichen L 5 R 175/17) |
SG Chemnitz (Entscheidung vom 15.02.2017; Aktenzeichen S 7 R 1271/14) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. August 2018 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Urteil vom 14.8.2018 hat das Sächsische LSG einen solchen Anspruch des Klägers verneint und seine Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Chemnitz vom 15.2.2017 zurückgewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- |
|
das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder |
- |
|
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3). |
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
1. Der Kläger trägt zunächst vor, das LSG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten, insbesondere als Mitarbeiter in der Poststelle angenommen habe, ohne sich mit dem vom Kläger übermittelten Gutachten des Dr. W. vom 30.6.2017 und dem ebenfalls von ihm übersandten Bescheid der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft vom 23.11.2017 auseinanderzusetzen. Das LSG habe sich mit den weiter fortgeschrittenen Einschränkungen an den Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenken nicht ausdrücklich im Urteil auseinandergesetzt. Auch habe sich das LSG bei seiner Entscheidung darauf gestützt, dass der Kläger keine Verschlechterung des Hörvermögens vorgetragen habe, obwohl er mit Schriftsätzen vom 8.5.2017 und vom 26.7.2018 ärztliche Unterlagen aus den Jahren 2014 vorgelegt habe, die einen erheblichen Hörverlust belegten.
Damit bezeichnet der Kläger nicht hinreichend einen Verfahrensmangel aufgrund einer Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs iS von § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG. Eine Gehörsverletzung liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN). Art 103 Abs 1 GG verpflichtet ebenso wie § 62 SGG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben könnten. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden; sie müssen nur das wesentliche, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeiten (stRspr des BVerfG, s zB BVerfG ≪Kammer≫ vom 20.2.2008 - 1 BvR 2722/06 - BVerfGK 13, 303, 304 = Juris, dort RdNr 9 ff mwN; BVerfGK 7, 485, 488). Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (vgl BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten annimmt, den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274) oder wenn es auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, es sei denn, der Tatsachenvortrag ist nach der materiellen Rechtsauffassung des Gerichts unerheblich (BVerfGE 86, 133, 146).
Aus der Beschwerdebegründung geht schon nicht hervor, welches konkrete entscheidungserhebliche Vorbringen des Klägers im Einzelnen das LSG übergangen haben könnte. Anlass zu näheren Darlegungen hätte hier nicht zuletzt deshalb bestanden, weil das LSG die Gutachten von Dr. W. und der HNO-Ärztin Dr. S. ausdrücklich erwähnt hat. Auch wird nicht dargelegt, welche konkreten Einschränkungen, die im Bescheid der BG vom 23.11.2017 genannt sind, vom LSG nicht berücksichtigt worden sein sollen. Allein der Umstand, dass den Ausführungen des Klägers im Berufungsverfahren nicht gefolgt wurde, vermag eine Gehörsverletzung im Übrigen nicht zu begründen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass ein Kläger "gehört", nicht jedoch seiner Rechtsansicht gefolgt wird (BVerfG ≪Kammer≫ vom 4.9.2008 - 2 BvR 2162/07, 2 BvR 2271/07 - BVerfGK 14, 238, 241 f, unter Hinweis auf BVerfGE 64, 1, 12 und BVerfGE 87, 1, 33 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 4; ebenso BVerfG ≪Kammer≫ vom 20.7.2011 - 1 BvR 3269/10 - Juris RdNr 3 am Ende; BSG Beschluss vom 18.12.2012 - B 13 R 305/11 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 9.5.2011 - B 13 R 112/11 B - Juris RdNr 9).
Soweit der Kläger mit seinem Vortrag eine unzureichende Beurteilung seines Leistungsvermögens durch das LSG rügt, macht er zudem eine fehlerhafte Beweiswürdigung und damit eine Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG geltend. Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nach dem Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ausdrücklich nicht gestützt werden.
2. Ein Verfahrensmangel in Form einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, §§ 62, 128 Abs 2 SGG, liegt auch dann vor, wenn das Gericht sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Dementsprechend sind insbesondere Überraschungsentscheidungen verboten (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 62 RdNr 8b mwN). Eine Überraschungsentscheidung ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfGE 84, 188, 190; BVerfGE 86, 133, 144 f; BVerfGE 98, 218, 263; BVerfG ≪Kammer≫ vom 7.10.2009 - 1 BvR 178/09 - Juris RdNr 8) wie auch des BSG (SozR 3-4100 § 103 Nr 4 S 23; SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 17) nicht bereits dann anzunehmen, wenn einer der Beteiligten eine andere Entscheidung des Gerichts erwartet hat. Voraussetzung ist vielmehr, dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (BSGE 120, 254 = SozR 4-2500 § 119 Nr 2, RdNr 24 mwN). Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36).
Der Kläger rügt eine solche Überraschungsentscheidung mit dem Vortrag, das LSG stütze seine Entscheidung darauf, dass der Kläger keine motorischen bzw sensomotorischen Ausfälle oder Einschränkungen und keine neurologischen Ausfälle, insbesondere keine Lähmungen an den Beinen habe. Dieser Aspekt sei im Rechtsstreit nicht näher erörtert worden. Abgesehen davon, dass die Beschwerdebegründung nicht darauf eingeht, dass sich das LSG insofern auf die eingeholten Gutachten stützt, fehlt es an Ausführungen dazu, welcher Vortrag dem Kläger zu diesem Punkt verwehrt worden ist und inwiefern dieser für die Gesamtbewertung seines Leistungsvermögens entscheidungserheblich gewesen wäre. Allein das Vorbringen, er hätte "entsprechend dazu vertiefend vorgetragen" ist nicht ausreichend. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang geltend macht, er hätte auf einer fachärztlichen (neurologischen) Begutachtung bestanden, rügt er sinngemäß auch eine Verletzung von § 103 SGG. Die Beschwerdebegründung genügt jedoch auch insoweit nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG, weil sie dazu keinen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag benennt, dem das LSG nicht gefolgt ist (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI12975641 |