Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 24.10.2019; Aktenzeichen L 1 KR 93/17 KL) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 24. Oktober 2019 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit einer Aufsichtsmaßnahme. Die Beklagte stellte fest, dass für die Länder Bremen, Brandenburg und Saarland das Bestehen von Betrieben oder Betriebsstätten der Trägerbetriebe der klagenden Betriebskrankenkasse (BKK) nicht nachgewiesen sei. Sie ordnete an, dass die Klägerin ihre Satzung zu ändern habe und keine Mitglieder aus diesen Bundesländern mehr aufnehmen dürfe. Die hiergegen erhobene Klage hat das LSG abgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, § 173 Abs 2 Satz 2 SGB V regele den Zuständigkeitsbereich einer geöffneten BKK dynamisch in Abhängigkeit von dem tatsächlichen Bestehen einer festen Arbeitsstätte eines Trägerbetriebes in dem jeweiligen Bundesland. In den streitigen Bundesländern gebe es keine Betriebsstätte eines Trägerbetriebes der Klägerin (Urteil vom 24.10.2019).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht dargelegt bzw bezeichnet.
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG Beschluss vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
Die Klägerin wirft die Frage auf,
"ob nach § 173 Abs. 2 Satz 2 SGB V die Zuständigkeit einer bundesweit geöffneten BKK auch 20 Jahre nach deren Öffnung davon abhängt, wie weit in den einzelnen Bundesländern weiterhin 'Betriebe' bestehen, für die die Klägerin als ursprüngliche 'Betriebskrankenkasse' gemäß Satzung zuständig war."
Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich hierbei überhaupt um eine der grundsätzlichen Klärung zugängliche Rechtsfrage handelt. Jedenfalls hat die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht dargelegt.
a) Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG Beschluss vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zB BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - juris RdNr 7). Erneute Klärungsbedürftigkeit ist darüber hinaus auch gegeben, wenn neue erhebliche Gesichtspunkte gegen die bisherige Rechtsprechung vorgebracht werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl BSG Beschluss vom 30.9.1992 - 11 BAr 47/92 - SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2; BSG Beschluss vom 11.2.2020 - B 10 EG 14/19 B - juris RdNr 6, jeweils mwN).
b) Gemessen daran hat die Klägerin eine Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt.
Sie verweist selbst auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 10.3.2015 - B 1 A 10/13 R - (BSGE 118, 137 = SozR 4-2400 § 90 Nr 1). Dort heißt es ua: "Maßgeblich für den aufsichtsrechtlichen Zuständigkeitsbereich einer IKK ist nicht ein statischer Zustand aus der Vergangenheit, sondern der sich wandelnde jeweilige Stand der Verteilung der festen Arbeitsstätten der erfassten Innungsbetriebe der Trägerinnungen der IKK auf die Länder. Schon der Gesetzeswortlaut verdeutlicht, dass es für die Zuständigkeitsbereiche um die Gebiete der Länder geht, in denen Innungsbetriebe 'bestehen' und nicht etwa bloß bestanden haben (vgl § 173 Abs 2 S 2 SGB V; § 90a Abs 2 SGB IV). Dafür spricht auch die Gesetzesentwicklung. (...) Die Regelung trägt dem dynamischen Verständnis Rechnung und entspricht Art 87 Abs 2 S 2 GG. Folge der dynamischen Regelung ist, dass ein Land, in dem keine festen Arbeitsstätten der den Trägerinnungen angehörenden Betriebe mehr existieren, nicht mehr zum aufsichtsrechtlichen und mitgliedschaftsrechtlichen Zuständigkeitsbereich der IKK gehört. Die Regelungen der §§ 161 S 4, 162 S 4 und 163 S 3 SGB V sowie des § 173 Abs 2 S 2 Teils 2 SGB V stehen dem nicht entgegen (aA Blöcher in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 173 RdNr 28 - gemischt statisch-dynamische Betrachtungsweise mit der Behauptung eines Bestandsschutzes)."
Die Klägerin legt nicht dar, wieso mit Blick auf diese Rechtsprechung des erkennenden Senats noch Klärungsbedarf bestehen soll.
aa) Sofern sie meint, die Entscheidung des Senats vom 10.3.2015 sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, weil ihr ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen habe, berücksichtigt sie nicht, dass der erkennende Senat der gemischt statisch-dynamischen Betrachtungsweise ganz grundlegend - also auch für die vorliegende Fallgestaltung - eine Absage erteilt hat (vgl - zu einem ähnlich gelagerten Sachverhalt - BSG Beschluss vom 29.4.2016 - B 1 A 3/15 B - BeckRS 2016, 68777). Damit setzt sich die Klägerin nicht auseinander.
bb) Im Übrigen trägt sie lediglich vor, warum sie die vom erkennenden Senat vertretene Auslegung des § 173 Abs 2 Satz 2 Teilsatz 1 SGB V (idF durch Art 1 Nr 133 Buchst a DBuchst bb Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378) im Sinne einer dynamischen Betrachtungsweise für unzutreffend hält, ohne neue Gesichtspunkte vorzubringen, die der Senat in der genannten Entscheidung nicht bereits berücksichtigt hätte und die eine erneute Überprüfung dieser Rechtsprechung rechtfertigen könnten.
Dies gilt zum einen für die vom erkennenden Senat in der Entscheidung vom 10.3.2015 bereits berücksichtigten Erwägungen zu Wortlaut, Systematik und den Gesetzesmaterialien (vgl BSG Urteil vom 10.3.2015 aaO RdNr 25 f). Dies gilt zum anderen aber auch für die Ausführungen der Klägerin zu dem Entwurf des Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz - GKV-FKG vom 22.3.2020, BGBl I 604, mWv 1.4.2020). Zwar kann sich die erneute Klärungsbedürftigkeit einer bereits höchstrichterlich entschiedenen Rechtsfrage auch aus einer nachträglichen Rechtsänderung ergeben, die gegenüber der bisherigen Sichtweise Zweifel aufkommen lässt (vgl Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl 2017, § 160 SGG RdNr 97). Die Klägerin legt jedoch nicht dar, warum die von ihr angeführten gesetzlichen Neuregelungen durch das GKV-FKG eine erneute rechtliche Bewertung der aufgeworfenen Rechtsfrage rechtfertigen sollten. Dazu hätte mit Blick darauf Anlass bestanden, dass das GKV-FKG (entgegen der ursprünglich beabsichtigten bundesweiten Öffnung aller Krankenkassen, vgl Referentenentwurf zum Entwurf eines Gesetzes für eine faire Kassenwahl in der gesetzlichen Krankenversicherung, S 9, 22, 64, 70, abrufbar unter www.bundesgesundheitsministerium.de) die Regelung des § 173 Abs 2 Satz 2 SGB V aF für die BKKn in § 144 Abs 3 SGB V unverändert übernommen hat (vgl BT-Drucks 19/15662 S 14, 76), der Gesetzgeber also seine Gelegenheit, die höchstrichterliche Rechtsprechung zu korrigieren (vgl dazu BVerfG Beschluss vom 26.11.2018 - 1 BvR 318/17 ua - juris RdNr 29 mwN), nicht genutzt hat.
cc) Die Klägerin legt auch nicht dar, dass der Rechtsprechung des erkennenden Senats in nicht geringfügigem Umfang durch Literatur oder Rechtsprechung widersprochen worden sei. Soweit sie auf die Kommentierung von Blöcher (in jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, § 173 RdNr 28) verweist, setzt sie sich nicht damit auseinander, dass der Senat die - gegenüber der Vorauflage unveränderte - Argumentation dieser Kommentierung in der Entscheidung vom 10.3.2015 bereits umfassend gewürdigt hat (vgl BSG Urteil vom 10.3.2015 aaO RdNr 25).
dd) Sofern nach Ansicht der Klägerin Rechtsunklarheit darüber bestehe, wie sie den Bestand von "Uraltbetrieben" nachweisen könne und welche Aufklärungsbefugnisse ihr hierbei zustünden, legt sie nicht dar, inwiefern diese Frage in Anbetracht der gesetzlichen Regelungen zur Amtsermittlung der Beklagten und des Gerichts und zu den insofern bestehenden Mitwirkungspflichten (§§ 20 f SGB X, § 103 SGG, § 88 Abs 2 SGB IV; vgl dazu Engelhard in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl 2016, § 88 RdNr 48 ff) sowie der allgemeinen Grundsätze über die Verteilung der Beweislast Einfluss auf die von ihr gestellte Rechtsfrage haben sollte. Sie setzt sich auch nicht damit auseinander, dass der Umfang der Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten der Krankenkasse bereits Gegenstand der Entscheidung des Senats vom 10.3.2015 war (aaO RdNr 30 ff).
Sofern man den diesbezüglichen Ausführungen der Klägerin sinngemäß die weitere Rechtsfrage entnehmen würde, inwieweit eine BKK und ihre Trägerunternehmen zur Mitwirkung an der Aufklärung des sich aus § 173 Abs 2 Satz 2 SGB V ergebenden Zuständigkeitsbereichs der BKK verpflichtet sind, fehlt es hierzu jedenfalls an Darlegungen zur Klärungsfähigkeit, zumal das LSG nach seinen Ausführungen "mit dem Beklagten vom Nichtbestehen von Trägerbetrieben in diesen Bundesländern überzeugt" war (S 14 des Urteilsabdrucks).
2. Auch soweit die Klägerin eine Divergenz rügt und geltend macht, das LSG interpretiere den Begriff "Betriebe" abweichend von der Entscheidung des Senats vom 10.3.2015, genügt ihr Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen.
Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 9.5.2018 - B 1 KR 55/17 B - juris RdNr 8; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Darlegungsanforderungen vgl BVerfG ≪Dreierausschuss≫ Beschluss vom 8.9.1982 - 2 BvR 676/81 - juris RdNr 8). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht.
Sie zitiert schon keinen konkreten Rechtssatz der Entscheidung des BSG, sondern verweist lediglich auf eine mehrere Randnummern umfassende Passage, ohne hieraus einen Rechtssatz abzuleiten. Soweit sie geltend macht, die Annahme des LSG, bei den "Servicestellen" der Alpha Laval Mid Europe GmbH handele es sich nicht um selbstständige oder unselbstständige Betriebsteile, stehe im Widerspruch zur Auslegung des Begriffs des Betriebes in dem Urteil des BSG vom 10.3.2015, wendet sie sich im Kern lediglich gegen die ihrer Auffassung nach unrichtige Rechtsanwendung. Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18). Soweit die Klägerin weiter meint, das LSG ziehe zu Unrecht für die Ermittlung des Vorliegens eines Betriebs auch das Handelsregister sowie Auskünfte von Betrieben auf deren Homepage heran, wendet sie sich allein gegen die durch das LSG vorgenommene Beweiswürdigung. Die von ihr insoweit gerügte Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG rechtfertigt jedoch die Zulassung der Revision nicht (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13880464 |