Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 31.05.1994) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 31. Mai 1994 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) die Übernahme der vollen Lehrgangsgebühren in Höhe von 8.208,00 DM, die anläßlich einer von der BA geförderten beruflichen Bildungsmaßnahme (Weiterbildung zur Steuerassistentin) angefallen sind. Die BA hat Lehrgangsgebühren nur in Höhe von insgesamt 5.745,60 DM übernommen und den weitergehenden Antrag der Klägerin abgelehnt (Bescheid vom 9. März 1991, Änderungsbescheid vom 21. Januar 1992 und Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 1992). Zur Begründung wurde ausgeführt, gemäß § 12 Abs 4 der Anordnung des Verwaltungsrates der BA über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU) könnten nur 70 vH der Lehrgangsgebühren übernommen werden, da mit dem Träger der Maßnahme kein Einvernehmen über die Kosten habe erzielt werden können. Das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) haben die Bescheide der BA bestätigt. Das LSG hat dabei die Auffassung vertreten, die Klägerin könne ihren Anspruch auch nicht auf den sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Denn dieser komme nur in Betracht, wenn der durch ein behördliches Fehlverhalten beim Betroffenen eingetretene Nachteil durch eine rechtliche zulässige Amtshandlung des verpflichteten Leistungsträgers ausgeglichen werden könne. Letzteres sei hier zu verneinen. Entscheidend sei dabei nicht, daß die Klägerin beim Besuch eines anderen Lehrgangs wegen der vollen oder höheren Kostenübernahme durch die BA selbst mit keinen oder nur geringeren Kosten belastet worden wäre, sondern daß eine volle Übernahme der Kosten des von ihr tatsächlich besuchten Lehrgangs rechtswidrig wäre, weil die Voraussetzungen des § 12 Abs 5 AFuU nicht vorlägen.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin als Zulassungsgründe die Divergenz der Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) und eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig; ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG.
Wird, wie das hier der Fall ist, der Zulassungsgrund der Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG geltend gemacht, so muß nicht nur die Entscheidung bezeichnet werden, von der nach Meinung der Klägerin das Urteil des LSG abweicht, sondern es muß – wie das BSG in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat – die Abweichung aufgezeigt werden. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aufgestellt hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 21 und 29).
In der Beschwerdebegründung der Klägerin ist zwar ein konkreter Rechtssatz, der dem Urteil des LSG zugrunde liegt, herausgearbeitet und einem in der genannten Entscheidung des BSG (SozR 2200 § 182 Nr 80) enthaltenen Rechtssatz gegenübergestellt worden. Der Rechtssatz in dem benannten Urteil des BSG betrifft jedoch – wie die Beschwerdebegründung selbst einräumt – einen anderen Regelungssachverhalt, nämlich die Frage, ob sich unter bestimmten Voraussetzungen der krankenversicherungsrechtliche Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch umwandeln kann. Es fehlt also an der Unvereinbarkeit der gegenübergestellten Rechtssätze, die weder ersichtlich noch dargestellt ist. Die Beschwerdebegründung verkennt die Bedeutung des Zulassungsgrundes der Divergenz, wenn sie meint, es genüge für eine Abweichung bereits, daß die in der genannten Entscheidung und in einer weiteren Entscheidung des BSG vom 20. Oktober 1972 (3 RK 93/71 = BSGE 35, 10) zum Kostenerstattungsanspruch enthaltenen Grundsätze auf den vorliegenden Rechtsstreit vom Rechtsgedanken her übertragbar seien. Denn die Divergenzrevision ist lediglich ein besonderer Fall der Grundsatzrevision und dient ebenfalls der Wahrung der Rechtseinheit; aufgrund dieser Zielsetzung ist eine Abweichung nur dann gegeben, wenn das LSG eine Rechtsfrage entschieden und einem Rechtssatz in einem Urteil des BSG widersprochen hat. Die – hier in der Beschwerdebegründung geltend gemachte – unrichtige Anwendung oder Nichtbeachtung eines von dem Revisionsgericht in einem anderen Zusammenhang entwickelten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden Fall bedeutet aber noch keine Abweichung im Sinne der Zulassungsvorschriften (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 160 Anm 13 mwN; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, Anm 156 f).
Auch die von der Klägerin als weiterer Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht hinreichend dargetan. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG voraus, daß eine klärungsbedürftige Rechtsfrage sowie deren Entscheidungserheblichkeit im Revisionsverfahren aufgezeigt wird, die über den Einzelfall hinausgeht und bedeutsam und geeignet ist, die Entwicklung des Rechts zu fördern (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 7, 31, 59, 65).
In der Beschwerdebegründung ist zwar eine Rechtsfrage benannt worden, nämlich
„kann ein Anspruchsberechtigter im Rahmen des Herstellungsanspruchs eine vollständige Kostenerstattung vom zuständigen Sozialversicherungsträger verlangen, wenn dieser es unterlassen hat ihn darauf hinzuweisen, daß der konkret gewählte Lehrgang des speziellen Lehrgangsträgers im Gegensatz zu anderen Lehrgängen gleichen Inhalts anderer Lehrgangsträger ausnahmsweise nicht der vollen Kostenbeteiligung durch den Sozialversicherungsträger zugänglich ist”.
Schon die Fassung dieser Rechtsfrage läßt jedoch nicht erkennen, daß die zur Prüfung gestellte Rechtsfrage eine über den Einzelfallcharakter hinausgehende allgemeine Bedeutung hat. Das Vorbringen der Klägerin, trotz der geänderten Fassung des § 45 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und der dazu ergangenen AFuU sei die zur Prüfung gestellte Rechtsfrage weiterhin von allgemeiner Bedeutung, da § 16 Abs 2 AFuU in seiner jetzigen Fassung vom 29. April 1993 (veröffentlicht in ANBA 1993, Sondernummer 5. Mai 1993) eine dem früheren § 12 Abs 5 AFuU aF entsprechende Regelung enthalte, belegt die Grundsätzlichkeit der Rechtsfrage nicht. Denn es geht hier nicht um einen Anspruch auf Erstattung der vollen Lehrgangsgebühren nach § 12 Abs 5 AFuU aF, sondern – wie die Rechtsfrage deutlich macht – um einen auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gestützten Anspruch auf Kostenübernahme. Da der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ein pflichtwidriges Verhalten der Verwaltung, insbesondere einen Beratungsfehler, zur Voraussetzung hat, genügt auch nicht die Behauptung der Klägerin, die Rechtsfrage könne „dem Grunde nach bei jedem Berechtigten auftreten, der an einer für ihn notwendig erachteten Maßnahme … teilnimmt”. Daß der Ausgang des Rechtsstreits auch für andere Personen von Interesse sein könnte, begründet keine allgemeine Bedeutung der Rechtsfrage (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, Anm 126 mwN).
Doch abgesehen davon, daß in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargelegt ist, daß die angestrebte Entscheidung über den Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt, ist auch die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht hinreichend dargelegt. Dafür genügt allein der Hinweis auf die im Rahmen der Divergenzrüge erwähnten Entscheidungen des 3. Senats des BSG nicht, die allenfalls am Rande den Herstellungsanspruch betreffen. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage hätte sich die Beschwerdebegründung mit der sehr umfangreichen Rechtsprechung des BSG zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch im einzelnen auseinandersetzen und darlegen müssen, weshalb und aus welchen Gründen die zur Prüfung gestellte Rechtsfrage trotzdem klärungsbedürftig geblieben oder wieder klärungsbedürftig geworden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 65 mwN sowie zum Herstellungsanspruch – vgl beispielsweise BSG SozR 4100 § 112 Nr 51 und SozR 3-4100 § 249e Nr 4 mwN).
Entspricht die Begründung der Beschwerde somit nicht den gesetzlichen Anforderungen, muß sie in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig verworfen werden.
Fundstellen