Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtliches Gehör. Ablehnung der Verlegung des Termins. Mutwillen. Prozesskostenhilfe. Amtshaftungsanspruch
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Rüge des Verstoßes gegen das rechtliche Gehör erfordert neben einem entsprechendem Verstoß und der Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils durch diesen Verstoß, dass der Betroffene alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen, woran es fehlt, wenn der Kläger auf eine Ablehnung der Verlegung des Termins nicht reagiert.
2. Mutwillen im Sinne des § 114 ZPO ist zu bejahen, wenn ein verständiger Beteiligter, der den Rechtsstreit auf eigene Kosten finanzieren muss, von der Prozessführung absehen oder sie nicht in gleicher Weise vornehmen würde, was der Fall ist, wenn ein nicht nachvollziehbarer Amtshaftungsanspruch, der richtigerweise vor einem Zivilgericht anhängig zu machen wäre und der auch im sozialgerichtlichen Verfahren nicht der kostenrechtlichen Privilegierung des § 183 SGG unterfällt, lediglich behauptet wird.
Normenkette
SGG §§ 62, 72, 73 Abs. 4, § 73a Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2, §§ 183, 197a; ZPO § 114; GG Art. 103
Verfahrensgang
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 25.01.2018; Aktenzeichen S 9 SO 4772/17) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.04.2018; Aktenzeichen L 7 SO 750/18) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. April 2018 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt Dr. E, F, beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Der Kläger begehrt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) und macht Schadensersatz aus Amtspflichtverletzungen geltend.
Der Kläger, der bis 2018 eine Haftstrafe verbüßt hat, hat im Jahr 2017 den beklagten Verein der Straffälligen- und Wohnungslosenhilfe angefragt, ob er nach seiner Haftentlassung dort aufgenommen und bei der Arbeitsplatzsuche unterstützt werden würde, und gegenüber dem dort örtlich zuständigen Träger der Sozialhilfe, der Beklagten zu 2, Ansprüche auf Beschaffung einer Unterkunft geltend gemacht. Zugleich hat er vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg einen Amtshaftungsanspruch wegen aller materiellen und immateriellen Schäden aus dem rechtswidrigen Verhalten erhoben. Nach Verweisung des Rechtsstreits an das SG Freiburg hat dieses die Klage abgewiesen, weil die Klage als echte Leistungsklage unzulässig sei (Gerichtsbescheid vom 25.1.2018). Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zurückgewiesen (Urteil vom 19.4.2018). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ua ausgeführt, die erhobene Leistungsklage sei unzulässig, weil es an einer Ausgangsentscheidung fehle. Eine Verweisung des Amtshaftungsanspruchs scheide aus, weil das SG keine "Entscheidung in der Hauptsache" über einen Amtshaftungsanspruch getroffen habe. In der Sache lägen keine Anhaltspunkte für einen Schadensersatzanspruch auf sozialrechtlicher Grundlage vor.
Der Kläger hat Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil sowie die Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. K. E., F., beantragt.
II
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG); denn sie wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen ebenso wenig.
Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte.
In der Entscheidung, den Rechtsstreit in Abwesenheit des Klägers mündlich zu verhandeln, wird ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör (vgl § 62 SGG; Art 103 Grundgesetz ≪GG≫) nicht erkennbar. Die Rüge des Verstoßes gegen das rechtliche Gehör erfordert neben einem entsprechendem Verstoß und der Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils durch diesen Verstoß (Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36), dass der Betroffene alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Daran fehlt es hier. Mit der Ablehnung der Verlegung des Termins hat der Vorsitzende mitgeteilt, dass bislang nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass hinreichende Versuche unternommen worden seien, um am Termin teilzunehmen (Schreiben vom 11.4.2018). Hierauf hat der Kläger aber nicht reagiert und schon nicht näher vorgetragen, dass er - anders als vom Leiter der Vollzugsgeschäftsstelle mitgeteilt - nicht lediglich einen Sammeltransport verweigert hat.
Zutreffend sind SG und LSG ferner davon ausgegangen, dass die Leistungsklage unzulässig ist. Die Beklagte zu 2 hat eine anfechtbare Entscheidung nicht getroffen. Soweit der Kläger ausdrücklich von dem Beklagten zu 1, einer Hilfsorganisation, die Aufnahme in eine Einrichtung verlangt, ist es unter Zugrundelegung des Vorbringens des Klägers unter allen rechtlichen Gesichtspunkten ausgeschlossen, dass ihm die gegenüber diesem Beklagten geltend gemachte Rechtsposition zusteht.
Ob das LSG die vom Kläger als Amtshaftungsansprüche gekennzeichneten Ansprüche prozessual zutreffend behandelt hat, kann dahinstehen. Jedenfalls scheidet die Bewilligung von PKH zur Verfolgung solcher Ansprüche aus, weil die Rechtsverfolgung mutwillig erscheint (§ 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). Mutwillen im Sinne dieser Vorschrift ist zu bejahen, wenn ein verständiger Beteiligter, der den Rechtsstreit auf eigene Kosten finanzieren muss, von der Prozessführung absehen oder sie nicht in gleicher Weise vornehmen würde (vgl Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ vom 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 - BVerfGE 81, 347; BVerfG vom 18.11.2009 - 1 BvR 2455/08 - NJW 2010, 988). Eine solche mutwillige Rechtsverfolgung liegt hier vor; denn mit dem nur behaupteten, in der Sache nicht nachvollziehbaren Amtshaftungsanspruch, der richtigerweise vor einem Zivilgericht anhängig zu machen wäre und der auch im sozialgerichtlichen Verfahren nicht der kostenrechtlichen Privilegierung des § 183 SGG unterfällt, geht ein erhebliches Kostenrisiko einher (vgl § 197a SGG), das ein verständiger Beteiligter in der vorliegenden, völlig unspezifizierten Form nicht eingehen würde (vgl zur Berücksichtigung des Kostenrisikos: BVerfG vom 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 - BVerfGE 81, 347, 357).
Für die Beiordnung eines besonderen Vertreters (§ 72 SGG) bestand kein Anlass. Der Kläger ist prozessfähig (vgl bereits BSG vom 25.4.2019 - B 2 U 19/18 BH, vom 23.10.2014 - B 11 AL 3/14 C, vom 3.7.2014 - B 11 AL 4/14 S, vom 23.10.2014 - B 11 AL 9/14 BH, vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 8/14 B - SozR 4-1720 § 198 Nr 8 RdNr 10; vom 30.9.2015 - B 10 ÜG 17/14 B).
Fundstellen
Dokument-Index HI13579352 |