Verfahrensgang

SG Münster (Entscheidung vom 23.09.2021; Aktenzeichen S 11 SO 59/18)

LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 20.05.2022; Aktenzeichen L 9 SO 408/21)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Mai 2022 - L 9 SO 408/21 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt höhere Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung.

Der Kläger bezieht neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund in Höhe von monatlich rund 230 Euro seit dem 1.9.2016 ergänzend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII), ua vom 1.9.2017 bis 31.8.2018 (Bescheid vom 26.10.2017; Widerspruchsbescheid vom 22.2.2018; monatlicher Zahlbetrag rund 680 Euro). Die auf Bewilligung von höheren Leistungen wegen kostenaufwändiger Ernährung gerichtete Klage hat keinen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Münster vom 23.9.2021; Beschluss des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 20.5.2022).

Der Kläger hat Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Beschluss sowie die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.

II

Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen.

Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG); denn sie wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Unabhängig davon, ob der Beklagte für den geltend gemachten Anspruch überhaupt passivlegitimiert ist, sind die vom Kläger im Anschluss an das Verwaltungsverfahren aufgeworfenen Fragen in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) allesamt geklärt. Es ist bereits geklärt, unter welchen Voraussetzungen ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung nach § 30 Abs 5 SGB XII in Betracht kommt (vgl nur BSG vom 9.6.2011 - B 8 SO 11/10 R - FEVS 63, 294; BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2; BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 8/15 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 25). Auch die Voraussetzungen für eine abweichende Bemessung des Regelsatzes auf Grundlage von § 27a Abs 4 SGB XII sind geklärt (BSG vom 15.11.2012 - B 8 SO 6/11 R - BSGE 112, 188 = SozR 4-3500 § 49 Nr 1, RdNr 25-26; BSG vom 24.3.2015 - B 8 SO 22/13 R - RdNr 14 f), wobei ebenfalls geklärt ist, dass eine bestimmte Ernährungsweise, die nicht auf physiologische Gründe zurückgeht, aus dem Regelsatz zu bestreiten ist und ein ggf gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich regelmäßig durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen ist (BSG vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 zur sog Vollkost; ablehnend gegenüber einem religionsspezifischen Mehrbedarf bereits BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6, RdNr 43). Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen nach dem Vorstehenden ebenso wenig.

Es ist auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte, sodass auch aus diesem Grund die Gewährung von PKH ausscheidet. Die Auffassung des SG, die Klage sei nicht zulässig gewesen, ist zwar ebenso in Zweifel zu ziehen wie die Auffassung des LSG, der Wert des Beschwerdegegenstands für eine Berufung sei nicht erreicht (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG). Es ist aber nicht erkennbar, dass der Verfahrensfehler eines Prozessurteils statt eines Sachurteils mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Ungeachtet der Passivlegitimation des Beklagten besteht auch ansonsten unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Maßstäbe kein Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung (§ 30 Abs 5 SGB XII). Es ist nach dem vorliegenden Gutachten der DRV Bund, dem vorgelegten Bericht des behandelnden Facharztes für Neurologie und der von der Beklagten veranlassten amtsärztlichen Stellungnahme nicht erkennbar, dass bei dem diagnostizierten Krankheitsbild ausschließlich auf psychiatrischem Fachgebiet eine besondere Kostform aus physiologischen Gründen notwendig wird. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, aus religiösen Gründen einen besonderen Bedarf wegen kostenaufwändiger koscherer Ernährung zu haben, kommt ein solcher Bedarf als Mehrbedarf nicht in Betracht. Auch für das Vorliegen der Voraussetzungen einer im Einzelfall vom Regelsatz abweichenden individuellen Bedarfsbemessung (§ 42 Nr 1 iVm § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII) ist nichts ersichtlich. Eine vollwertige Ernährung ist grundsätzlich aus dem Regelsatz zu bestreiten. Es ist nicht erkennbar, dass für eine vollwertige Ernährung entsprechend den jüdischen Speisevorschriften - die behauptete Zugehörigkeit zur jüdischen Religionsgemeinschaft unterstellt - anderes gelten könnte, insbesondere weil nach diesen Vorschriften pflanzliche Lebensmittel (Obst, Gemüse, Getreide) ebenso wie Kuhmilch sowie Hühnereier, die auch Grundlage einer Vollkost sind, nicht ausgeschlossen sind. Individuell verschiedene Ernährungsweisen oder -gewohnheiten sind überdies im Regelbedarf abgebildet, weshalb es zumutbar ist, gelegentlich auftretende höhere Aufwendungen etwa für Fleisch ebenfalls aus dem Regelsatz zu bestreiten (vgl zur Ermittlung der Regelbedarfe im Hinblick auf Ernährungsbedarfe BSG vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 RdNr 32 f).

Da dem Kläger keine PKH zusteht, kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO nicht in Betracht.

Krauß 

Scholz

Richter am BSG Prof. Dr. Luik ist wegen … an der Signatur gehindert.

gez. Krauß

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16155033

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