Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein Obergutachten
Leitsatz (redaktionell)
1. Einen allgemeinen Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein “Obergutachten” sehen die Prozessordnungen und auch das SGG nicht vor.
2. Ein Sachverständigengutachten ist nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit von Zeugenausssagen über die Pflegebedürftigkeit einer Person in einem zurückliegenden Zeitraum zu erhöhen, weil der Gutachter nachträglich keine unmittelbaren Feststellungen mehr treffen kann und insofern wie das Gericht auf die Auswertung der vorhandenen Unterlagen einschließlich der Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten angewiesen wäre. Rügt ein Beschwerdeführer daher die Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch Nichteinholung eines weiteren Gutachtens in einem solchen Fall, ist nicht dargetan, dass die Begründung des LSG, mit dem es die Einholung eines weiteren Gutachtens abgelehnt hat, nicht “hinreichend” war.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, § 103
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Mai 2003 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Prozesskostenhilfe (PKH) kann nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 73a Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung).
Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der durch die §§ 160 Abs 2 und 160a Abs 2 Satz 3 SGG festgelegten Form begründet worden ist. Sie ist deshalb nach § 169 iVm § 160a Abs 4 Satz 2 SGG ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen. Die Klägerin macht als Zulassungsgrund einen Verfahrensfehler geltend (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Ein solcher ist aber nur dann formgerecht „bezeichnet”, wenn die ihn begründenden Tatsachen im Einzelnen angegeben sind und – in sich verständlich – den behaupteten Verfahrensfehler ergeben (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14); außerdem ist darzulegen, dass und warum die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Antragstellerin macht geltend, das Landessozialgericht (LSG) habe ihren Antrag auf Einholung eines „Obergutachtens” ohne hinreichende Begründung abgelehnt und damit den Grundsatz der Amtsermittlung (§ 103 SGG) verletzt, worauf das zweitinstanzliche Urteil auch beruhe (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Die Ausführungen der Antragstellerin lassen jedoch nicht erkennen, dass die Ablehnung der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens „nicht hinreichend begründet” worden ist, sodass es geboten war, dieses Gutachten einzuholen. Einen allgemeinen Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein „Obergutachten” sehen die Prozessordnungen – auch das SGG – nicht vor.
Das LSG hat ausgeführt, aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. T. … ergebe sich für den hier streitigen Zeitraum (1. Februar 1998 bis 30. September 2000) ein stark schwankender Pflegebedarf der Klägerin mit „guten” und „schlechten” Phasen; nach dem Gutachten könne sich die Klägerin auf Grund der höchst wechselhaften Krankheitszustände „durchaus vorübergehend in eklatant hilfs- und pflegebedürftigem Zustand befunden haben, dies allerdings nicht durchgängig”. Weil ein entsprechender Pflegebedarf nur an bestimmten Tagen vorgelegen habe, sei die Klägerin nicht für mindestens sechs Monate, dh auf Dauer (§ 14 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch), pflegebedürftig iS der begehrten Pflegestufe I gewesen. Hinsichtlich der Zeuginnen dränge sich der Eindruck auf, dass diese fast ausschließlich die „schlechten Phasen” schilderten. Die Einholung eines „Obergutachtens” hat das LSG damit abgelehnt, dass das Gutachten von Dr. T. … „keinesfalls ungenügend” und dieser auch mit seiner Äußerung überzeugend sei, dass rückwirkend jedenfalls nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestimmt werden könne, wann und ggf in welchen Zeiträumen die Klägerin erheblich pflegebedürftig gewesen sei.
Die Klägerin legt nicht dar, wie es aber erforderlich gewesen wäre, dass ein neuer Sachverständiger mehr als drei Jahre später ihre Behauptung bestätigen würde, ihr Zustand sei durchgehend schlecht und nicht schwankend gewesen. Stattdessen begründet sie die Notwendigkeit eines „Obergutachtens” allein damit, dass das LSG zu Unrecht den Aussagen der Zeugen über ihren dauerhaft schlechten Gesundheitszustand nicht gefolgt sei. Ein Sachverständigengutachten wäre aber nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit der Zeugenausssagen zu erhöhen, weil der Gutachter nachträglich keine unmittelbaren Feststellungen mehr treffen kann und insofern wie das Gericht auf die Auswertung der vorhandenen Unterlagen einschließlich der Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten angewiesen wäre. Damit ist nicht dargetan, dass die Begründung des LSG, mit dem es die Einholung eines weiteren Gutachtens abgelehnt hat, nicht „hinreichend” war. Insoweit kommt es nur darauf an, ob die Ablehnung des Beweisantrags – vom materiell-rechtlichen Standpunkt des LSG aus gesehen – in der Sache zutreffend war, nicht hingegen, ob die Begründung zutreffend und erschöpfend war (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Die Beschwerde kann somit auch nicht darauf gestützt werden, dass das LSG die Ablehnung nur mit wenigen Worten begründet habe, weil in der Sache nicht zu erkennen ist, dass das LSG dem Beweisantrag hätte nachgehen müssen, weil er zur weiteren Sachaufklärung geeignet war.
Die Wertung des LSG, dass der Gutachter und der Hausarzt mit der Annahme unterschiedlicher Phasen im Gesundheitszustand der Klägerin überzeugender seien als die Zeuginnen, kann als solche mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 2. Halbsatz mit der Ausnahme von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
Fundstellen