Entscheidungsstichwort (Thema)
Erneute Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage
Orientierungssatz
Der Widerspruch gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung, der eine erneute oder weitere Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage begründen soll, muß breit gefächert sein. Zu der Ablehnung durch den Versicherungsträger müssen zumindest noch ein oder mehrere abweichende gerichtliche Entscheidungen und/oder gewichtige Stimmen in der Literatur hinzukommen (vgl BSG 25.9.1975 12 BJ 94/75 = SozR 1500 § 160a Nr 13).
Normenkette
SGG § 160a Abs 2 S 3, § 160 Abs 2 Nr 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 17.07.1986; Aktenzeichen L 14 Ar 123/86) |
Gründe
Die Beschwerden der Beklagten und des Klägers sind unzulässig.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ohne Anwendung der Ruhensbestimmungen auszuzahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte verurteilt, ab 1. Juli 1983 im Rahmen der deutschen Ruhensbestimmungen auf die Erwerbsunfähigkeitsrente die dem Kläger vom belgischen Versicherungsträger gewährte Verletztenrente nur in Höhe ihres Nettobetrages - unter Außerachtlassung von Abzügen für Steuern und einbehaltenen Sozialversicherungsbeiträgen, soweit diese nicht zum Erwerb von Leistungsansprüchen oder Leistungsanwartschaften führen - anzurechnen. Im übrigen ist die Klage abgewiesen worden.
Die Beschwerde der Beklagten genügt nicht den Anforderungen, die das Bundessozialgericht (BSG) an eine Beschwerdebegründung nach § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) stellt. Die Beklagte sieht es als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) an, ob bei der Ruhensberechnung nach § 1278 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auf die Rente der gesetzlichen Rentenversicherung eine ausländische Unfallrente mit ihrem Bruttobetrag vor Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen oder mit ihrem Nettobetrag anzusetzen ist. Der 5a Senat des BSG hat jedoch bereits mit Urteil vom 25. Februar 1981 (in SozR 2200 § 1278 Nr 9) entschieden, bei Anwendung der Ruhensvorschrift des § 75 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG - (= § 1278 RVO) sei als eine nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates erworbene Leistung iS von Art 12 Abs 2 Satz 1 der Verordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Nr 1408/71 (EWGV 1408/71) die vom belgischen Versicherungsträger nach Abzug der belgischen Steuern ausgezahlte Unfallrente zugrunde zu legen. Die in der Beschwerdebegründung von der Beklagten geäußerte Ansicht, die erwähnten Ausführungen des 5a Senats seien damals nicht entscheidungserheblich gewesen und stellten ein sog obiter dictum dar, vermag der erkennende Senat nicht zu teilen. Zu entscheiden war im Urteil vom 25. Februar 1981 (aaO) über die Höhe einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, die von der Höhe des Ruhensbetrages abhing.
Die von der Beklagten gekennzeichnete Rechtsfrage ist daher von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits geklärt und somit grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl Urteil vom 25. September 1975 in SozR 1500 § 160a Nr 13) kann von dieser Regel abgewichen werden und die Klärungsbedürftigkeit ausnahmsweise bejaht werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringem Umfang widersprochen wird und gegen sie Einwendungen vorgebracht werden, die nicht als abwegig anzusehen sind. Diese Ausnahme hat die Beklagte in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargelegt. Der Hinweis, die Beklagte folge in Übereinstimmung mit den übrigen Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung dem Urteil vom 25. Februar 1981 (aaO) nicht, reicht nicht aus, eine erneute Klärungsbedürftigkeit als dargelegt anzusehen. Sonst würde es im Belieben der Versicherungsträger stehen, eine von ihnen nicht akzeptierte Rechtsprechung vom Revisionsgericht überprüfen zu lassen. Das aber ist nicht mit der erwähnten Entscheidung vom 25. September 1975 (aaO) zu vereinbaren. Auf der Seite der Versicherten müßten dann Verbände oder Gewerkschaften mit einem gegen die Rechtsprechung gerichteten Konsens innerhalb ihrer Organisation argumentieren können. Und wie sollten anwaltlich vertretene Versicherte insoweit Chancengleichheit erhalten?
Der Widerspruch gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung, der eine erneute oder weitere Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage begründen soll, muß daher breiter gefächert sein. Zu der Ablehnung durch die Träger der Rentenversicherung müssen zumindest noch ein oder mehrere abweichende gerichtliche Entscheidungen und/oder gewichtige Stimmen in der Literatur hinzukommen. Da die Beklagte derartiges nicht dargelegt hat, mußte ihre insoweit nicht formgerecht begründete Beschwerde als unzulässig verworfen werden.
Gleiches gilt für die Beschwerde des Klägers. Er mißt der Sache ebenfalls grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG bei. Die zu klärende Rechtsfrage sei, ob § 1279a RVO nicht gegen Art 3 und 12 Abs 2 EWGV 1408/71 als höherrangiges Recht verstoße und daher hier unanwendbar sei. Auch diese Frage ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung beantwortet. Der erkennende Senat (damals als 5b Senat) hat im Urteil vom 13. März 1986 (in SozR 2200 § 1279a Nr 1) entschieden, eine Ruhensberechnung unter Berücksichtigung des § 1279a RVO und der dazu ergangenen Übergangsregelung sei nicht zu beanstanden. Da es sich bei der genannten Vorschrift um die Anwendung innerstaatlichen Rechts handelt, steht es für den erkennenden Senat außer Zweifel, daß eine Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nicht in Betracht kommt. Wie schon das LSG zutreffend ausgeführt hat, betrifft die vom Kläger herangezogene Rechtsprechung des EuGH nicht eine der Ruhensberechnung nach innerstaatlichem Recht vergleichbare Problematik, sondern nach Art 46 Abs 2 EWGV 1408/71 zu berechnende Renten. Im übrigen hat der Kläger im wesentlichen seine von der Rechtsauffassung des erkennenden Senats, wie sie in der bisherigen Rechtsprechung zum Ausdruck kommt, abweichende Ansicht dargelegt. Daraufhin kann die Revision nicht zugelassen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen