Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Gegenvorstellung
Orientierungssatz
1. Für die Einlegung einer Gegenvorstellung kann keine längere Frist eingeräumt werden als zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde nach § 93 Abs 1 BVerfGG.
2. Dies gilt - ebenso wie bei der Verfassungsbeschwerde - auch dann, wenn über diese Frist nicht belehrt wurde (vgl BGH Kartellsenat vom 23.2.1988 - KVR 6/87 = WuW/E BGH 2478).
Normenkette
BVerfGG § 93 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 01.03.1991; Aktenzeichen L 10 Ar 132/90) |
Tatbestand
Der Kläger erhebt Gegenvorstellungen gegen den Beschluß des Senats vom 25. Oktober 1991.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde auf das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 1. März 1991 machte der Kläger Verfahrensmängel des Berufungsurteils, Abweichungen von Urteilen des Senats sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Der Senat verwarf mit Beschluß vom 25. Oktober 1991 die Beschwerde als unzulässig: Das Revisionsgericht könnte auch im Falle der Zulassung der Revision über die vom Kläger aufgeworfenen Fragen des sachlichen Rechts deswegen nicht entscheiden, weil dem ein in der Revisionsinstanz fortwirkender und von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel entgegenstehe. Der Kläger habe im sozialgerichtlichen Verfahren einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen (3 Monaten) geltend gemacht (§ 144 Abs 1 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)); das Sozialgericht (SG) habe die Berufung nicht zugelassen. Wenn das Landessozialgericht (LSG) die Berufung wegen eines vom Kläger gerügten Verstoßes gegen § 103 SGG für zulässig gehalten habe, so gehe dies fehl. Das LSG habe die vom SG unterlassene Anfrage bei der AOK Berlin unzutreffend als rechtserhebliches Beweismittel angesehen. Auch die weitere Rüge im Berufungsverfahren, dem SG sei ein Verstoß gegen § 75 Abs 2 SGG unterlaufen, sei unbegründet. Daneben habe der Kläger keine rechtlich selbständigen Verfahrensverstöße des SG geltend gemacht. Demgemäß hätte das LSG bei richtiger Würdigung der Berufungsbegründung die Berufung als unzulässig verwerfen müssen. Unter diesen Umständen seien die vom Kläger zur Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde erhobenen Rügen nicht entscheidungserheblich. Sei dem Revisionsgericht aus prozessualen Gründen eine Sachentscheidung von vornherein verwehrt, fehle es an der erforderlichen Klärungsfähigkeit. In einem solchen Falle führe auch eine an sich begründete Rüge gemäß § 160 Abs 2 SGG grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision.
Gegen den ihm am 5. November 1991 zugegangenen Beschluß richtet sich die am 16. Dezember 1991 eingegangene Gegenvorstellung des Klägers mit dem Antrag,
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in Abänderung des Beschlusses vom 25. Oktober 1991 |
die Revision gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts |
vom 1. März 1991 (Az.: L 10 Ar 132/90) |
zuzulassen. |
Der Kläger trägt vor, es sei unzutreffend, daß er keine weiteren als die genannten Verfahrensverstöße des SG beim LSG geltend gemacht habe. So habe er mit der Berufungsbegründung nachdrücklich gerügt, daß das SG sich zu Unrecht für die Frage, ob eine 40 %ige Gewinnbeteiligung für Bauleiter absolut ungewöhnlich sei, für sachkundig erklärt habe. Eine entsprechende besondere Sachkunde habe das SG weder dargelegt noch erörtert und auch vorher nicht darauf hingewiesen, daß es hier aufgrund eigener Sachkunde entscheiden werde. Diese Frage sei auch in weiteren Schriftsätzen im Berufungsverfahren nochmals diskutiert worden. Außerdem sei die Zulässigkeit der Berufung bereits dadurch gegeben gewesen, daß während des Berufungsverfahrens seitens der Beklagten ein Überprüfungsbescheid auf einen Antrag nach § 44 des Sozialgesetzbuches - 10. Buch - (SGB X) ergangen sei, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sei.
Entscheidungsgründe
Die Gegenvorstellung ist nicht statthaft.
Rechtsprechung und Schrifttum haben von dem Grundsatz der Unabänderbarkeit unanfechtbarer Beschlüsse Ausnahmen zugelassen, um zu verhindern, daß die Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu einem anders nicht zu beseitigendem groben prozessualen Unrecht führt. Einer am Rechtsstaatsgedanken orientierten Auslegung des Verfahrensrechts entspricht es, für die Selbstkontrolle der Fachgerichtsbarkeiten ein entsprechendes Rechtsinstitut zuzulassen, was damit auch zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts beiträgt (vgl BVerfG vom 8. Juli 1986, BVerfGE 73, 322, 326 ff mwN). Auf dieser Grundlage ist die Gegenvorstellung jedoch nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer geltend macht, ihm sei ein grobes prozessuales Unrecht zugefügt worden, das im Wege der richterlichen Selbstkontrolle beseitigt werden müsse. Der Kläger aber macht keinen Verfahrensfehler und damit erst recht kein grobes prozessuales Unrecht geltend. Er trägt lediglich vor, der Beschluß des Senats sei unrichtig, weil er Vorbringen im Berufungsverfahren übersehe. Einen Grundrechtsverstoß ("Willkür") legt er lediglich dem Berufungsurteil zur Last.
Selbst bei einem dem Rechtsinstitut entsprechenden Vorbringen aber wäre die Gegenvorstellung des Klägers ebenso als unzulässig zu verwerfen gewesen. Denn er hat die hierfür geltende Monatsfrist versäumt. Die Gegenvorstellung ist vor allem auch deshalb entwickelt worden, um das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu entlasten und Verstöße gegen Verfahrensgrundrechte, insbesondere gegen Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes (GG), selbst beim Erlaß unanfechtbarer Entscheidungen bereits innerhalb der Fachgerichtsbarkeit erledigen zu können. Dann aber kann für ihre Einlegung keine längere Frist eingeräumt werden als zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde nach § 93 Abs 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG). Dies gilt - ebenso wie bei der Verfassungsbeschwerde - auch dann, wenn über diese Frist nicht belehrt wurde. Danach muß Rechtssicherheit einkehren (so auch Meyer-Ladewig, SGG, 4. Aufl 1991, vor § 143, RdNr 16; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 317; vgl BGH Kartell- Senat vom 23. Februar 1988, WuW-E BGH 2478).
Inwieweit das LSG im Berufungsurteil bereits über den Bescheid vom 23. August 1990 hätte entscheiden müssen, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Die Kostenentscheidung entspricht § 193 SGG.
Fundstellen