Verfahrensgang

SG Braunschweig (Entscheidung vom 14.07.2020; Aktenzeichen S 15 SB 607/17)

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 23.11.2023; Aktenzeichen L 10 SB 86/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. November 2023 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der 1963 geborene Kläger begehrt in der Hauptsache die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 70 anstelle eines bisher ab Juni 2017 anerkannten GdB von 30.

Diesen Anspruch hat das LSG - wie zuvor bereits der Beklagte und das SG - verneint. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30. Zur Begründung hat sich das LSG auf das SG-Urteil vom 14.7.2020 bezogen und ergänzend ausgeführt, dass nach dem Gutachten des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen S vom 20.11.2019 beim Kläger eine Dysthymie im Sinne einer leichteren psychischen Störung mit einem Einzel-GdB von 20 und nach dem Gutachten des orthopädischen Sachverständigen H vom 24.11.2018 wegen der Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule ebenfalls ein Einzel-GdB von 20 vorliege. Das auf Antrag des Klägers eingeholte Gutachten des Herrn Z vom 27.2.2023 führe zu keinem anderen Ergebnis. Weitere funktionelle Einschränkungen mit einem GdB lägen nicht vor. Danach komme ein höherer Gesamt-GdB als 30 nicht in Betracht(Urteil vom 23.11.2023) .

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Er rügt Verfahrensmängel.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil er den allein geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht ordnungsgemäß bezeichnet hat(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) .

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie diejenige des Klägers - darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ) , müssen bei der Bezeichnung dieses Mangels(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden(vglBSG Beschluss vom 31.7.2023 - B 9 V 2/23 B - juris RdNr 4 mwN).

Dies hat der Kläger bereits versäumt. Es fehlt an einer ausreichenden Darstellung des insoweit entscheidungserheblichen Sachverhalts. Lediglich die bruchstückhaften Angaben des Klägers zu den gehörten Sachverständigen und den behandelnden Ärzten in der Beschwerdebegründung reichen nicht aus. Hierzu hätte es weiterer Ausführungen zum Ablauf des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens, den dort erhobenen Beweisen und insbesondere zu den tatsächlichen Feststellungen des LSG in Bezug auf die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs bedurft. Es ist nicht Aufgabe des BSG, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung des LSG selbst herauszusuchen(stRspr; zBBSG Beschluss vom 28.9.2021 - B 9 SB 12/21 B - juris RdNr 5 mwN) .

2. Zudem muss für den vom Kläger gerügten Verfahrensmangel einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht(§ 103 SGG ) die Beschwerdebegründung Darlegungen zu folgenden Punkten enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu einer weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können(stRspr; zBBSG Beschluss vom 10.3.2023 - B 9 SB 43/22 B - juris RdNr 6 ;BSG Beschluss vom 5.12.2022 - B 9 V 30/22 B - juris RdNr 9 ) . Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG ferner die Darlegung, dass ein - wie der Kläger - bereits in der Berufungsinstanz anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat(stRspr; zBBSG Beschluss vom 11.6.2022 - B 9 V 5/22 B - juris RdNr 4 ;BSG Beschluss vom 25.3.2021 - B 13 R 40/20 B - juris RdNr 5 ) . Denn ein solcher Antrag hat Warnfunktion. Er soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält. Diese Warnfunktion verfehlen bloße Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind, weil es sich insoweit nur um Hinweise oder bloße Anregungen handelt(BSG Beschluss vom 10.3.2023 - B 9 SB 43/22 B - juris RdNr 6 mwN) .

Diese Anforderungen an die Darlegung einer Sachaufklärungsrüge erfüllt der Vortrag des Klägers ebenfalls nicht. Er legt in seiner Beschwerdebegründung schon nicht dar, einen entsprechenden Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 23.11.2023 zumindest hilfsweise zu Protokoll aufrechterhalten zu haben.

3. Aber selbst wenn sich die Beschwerde auf einen solchen bis zuletzt aufrechterhaltenen und prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezöge, hat der Kläger nicht hinreichend aufgezeigt, dass sich das LSG hätte gedrängt fühlen müssen, einem Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nach § 103 SGG nachzugehen. Denn es besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Überprüfung eines oder mehrerer Sachverständigengutachten durch ein sogenanntes Obergutachten. Vielmehr ist es Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit den vorliegenden Gutachten auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, so darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört - wie die Würdigung anderer sich widersprechender Beweisergebnisse - zur Beweiswürdigung selbst(stRspr; zBBSG Beschluss vom 10.3.2023 - B 9 SB 43/22 B - juris RdNr 7 ;BSG Beschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - juris RdNr 12 ) . Lediglich dann, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten, oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben, ist das Tatsachengericht zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet(stRspr; zBBSG Beschluss vom 11.7.2023 - B 9 SB 4/23 B - juris RdNr 16 mwN) . Solche Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung des Klägers aber nicht. Der bloße Umstand, dass das LSG den Sachverständigen S aufgrund seiner langjährigen Begutachtungstätigkeit im Bereich des Schwerbehindertenrechts kennt, reicht nicht aus. Anhaltspunkte für eine Voreingenommenheit oder fehlende Objektivität des Sachverständigen gegenüber dem Kläger ergeben sich daraus nicht. Der Kläger trägt auch nicht vor, dass er einen Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit gestellt habe. Ebenso wenig legt der Kläger dar, wieso er, wenn er keinen Befangenheitsantrag gestellt hat, sein diesbezügliches Rügerecht nicht verloren haben könnte(vglBSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 17) . Tatsächlich kritisiert der Kläger mit seinem Vorbringen gegen die Auswertung und Würdigung der vorliegenden Sachverständigengutachten und Befundberichte durch das LSG im Kern dessen Beweiswürdigung(vgl§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) . Damit kann er nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG aber von vornherein keine Revisionszulassung erreichen.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab(vgl§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ) .

5. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen(§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2,§ 169 Satz 2 und 3 SGG ) .

6. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des§ 193 SGG .

Kaltenstein

Röhl

Othmer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16326931

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