Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtliches Gehör. Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses
Orientierungssatz
Gemäß der §§ 62, 112 Abs 2 S 1 SGG muß das Gericht den Beteiligten bei der Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses die wesentlichen Tatsachen und rechtlichen Fragen bezeichnen, damit sie prüfen können, ob Ausführungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zweckmäßig sind. Nach allgemeiner Auffassung kann aus den erwähnten Vorschriften jedoch nicht die Pflicht des Gerichts entnommen werden, alle möglichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten zu erörtern; ebensowenig ist das Gericht verpflichtet, die Beteiligten auf jedwede - ihnen bereits bekannte Tatsachen besonders hinzuweisen, die für die rechtliche Beurteilung bedeutsam sein können.
Normenkette
SGG §§ 62, 112 Abs 2 S 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 07.04.1989; Aktenzeichen L 3 An 77/88) |
Gründe
Die allein auf den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Formerfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG.
Der Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG setzt das Geltendmachen eines Verfahrensmangels voraus, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dieser Verfahrensmangel muß gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in der Beschwerdebegründung bezeichnet werden. Zur Bezeichnung in diesem Sinne ist die Darlegung der Tatsachen erforderlich, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 24 und 36). Mit der Beschwerdebegründung hätte demgemäß dargetan werden müssen, aufgrund welcher Tatsachen die angefochtene Entscheidung auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann. Dem genügen die Darlegungen der Klägerin nicht.
Die Klägerin rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, die sie darin sieht, daß das Landessozialgericht (LSG) bei der Beurteilung ihres Leistungsvermögens von ihrer Linkshändigkeit ausgegangen sei, ohne sie zur Richtigkeit dieser Feststellung vorher noch einmal anzuhören und ohne ihr rechtzeitig einen Hinweis zu erteilen, daß diesem Umstand besonderes Gewicht zukomme. In der mündlichen Verhandlung am 7. April 1989 sei das Gericht völlig überraschend und unrichtigerweise davon ausgegangen, daß sie Linkshänderin sei. Ohne daß diese Frage bis dahin erörtert worden sei, habe der Berichterstatter aus dem Gutachten des Dr N vom 20. Januar 1989 (richtig: 20. Januar 1986) zitiert: "Bei Linkshändigkeit der Klägerin besteht eine leichtgradige, linksbetonte Beschwielung beider Hohlhände." In Wirklichkeit sei sie aber nicht links-, sondern rechtshändig, was ihrem im Termin vom 7. April 1989 anwesenden Prozeßbevollmächtigten unbekannt gewesen sei. Zu diesem Termin sei sie persönlich weder geladen noch anwesend gewesen, so daß sie die fehlerhafte Tatsachenfeststellung nicht habe spontan richtigstellen können. Die Beschwielung ihrer linken Hand beruhe einzig und allein darauf, daß sie sich wegen der Erkrankung der rechten Hand inzwischen gezwungenermaßen angewöhnt habe, die linke Hand stärker zu belasten. Der irrig angenommenen Linkshändigkeit habe das LSG eine ganz wesentliche Bedeutung beigemessen, denn es habe im Urteil ausgeführt:
"Dies (die Nichtbehinderung beim Einsatz der linken Hand) ist von besonderer Bedeutung deshalb, weil die Klägerin Linkshänderin ist, wie der Sachverständige Dr N in seinem Gutachten vom 20. Januar 1986 unwidersprochen festgestellt hat. Diese Feststellung wird auch nicht dadurch entwertet, daß in dem Gutachten des Sachverständigen Prof Dr R jegliche Aussage zur Händigkeit der Klägerin fehlt."
"Nach diesem Leistungsvermögen kann die Klägerin noch ihren bisherigen Beruf als Verkäuferin oder andere gleichartige oder gleichgestellte Tätigkeiten ausüben. Die Klägerin kann, da sie Linkshänderin ist, Tätigkeiten, die vorübergehend eine größere Kraftentfaltung oder eine gewisse manuelle Geschicklichkeit verlangen, mit der linken Hand ausführen."
Danach bestehe durchaus die Möglichkeit, daß die falsche Überzeugung des Gerichts das Urteil zu ihrem Nachteil entscheidend beeinflußt habe. Da niemand zuvor der Links- oder Rechtshändigkeit eine Bedeutung beigemessen habe, habe das Prinzip des rechtlichen Gehörs einen rechtzeitigen richterlichen Hinweis bzw ihre Anhörung zu der angenommenen Linkshändigkeit geboten. Mit dem Vorbehalt, sie, die Klägerin habe das Gutachten lesen und den Fehler frühzeitig korrigieren können, wäre dem Verbot der Überraschungsentscheidung sicher nicht Genüge getan. Entsprechend § 278 Abs 3 Zivilprozeßordnung (ZPO) dürfe das Gericht seine Entscheidung auf einen tatsächlichen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten habe, nur stützen, wenn es Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben habe.
Der beschließende Senat läßt offen, ob diesem Vorbringen eine Verletzung des § 62 SGG oder des damit zusammenhängenden § 112 Abs 2 Satz 1 SGG zu entnehmen ist. Danach muß das Gericht den Beteiligten bei der Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses die wesentlichen Tatsachen und rechtlichen Fragen bezeichnen, damit sie prüfen können, ob Ausführungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zweckmäßig sind. Nach allgemeiner Auffassung kann aus den erwähnten Vorschriften jedoch nicht die Pflicht des Gerichts entnommen werden, alle möglichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten zu erörtern (BGH, Betrieb 1975, 2274); ebensowenig ist das Gericht verpflichtet, die Beteiligten auf jedwede - ihnen bereits bekannte - Tatsachen besonders hinzuweisen, die für die rechtliche Beurteilung bedeutsam sein können. Unbeschadet der Frage, ob die Gerichte insbesondere hinsichtlich eingeholter und den Beteiligten mitgeteilter Gutachten verpflichtet sind, ihnen stufenweise die mögliche Beurteilung der einzelnen entscheidungserheblichen Tatsachen mitzuteilen, und inwieweit eine Bindung an solche Mitteilungen angenommen werden könnte, kann hier die Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg führen, weil in ihrer Begründung nicht dargelegt worden ist, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf dem mangels eines solchen Hinweises unterbliebenen Vorbringen beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Bereits das Sozialgericht (SG) war aufgrund der von ihm eingeholten Gutachten des Dr N und Prof Dr R der Auffassung, die Klägerin könne - ungeachtet einer evtl Linkshändigkeit - noch körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig verrichten und könne zB noch als Verkäuferin in einer Abteilung für Herrenwäsche arbeiten, wie sie dies früher schon längere Zeit getan habe. Auch das LSG ist davon ausgegangen, daß die Klägerin nach diesen medizinischen Begutachtungen und der ergänzenden Stellungnahme des Prof Dr R in der Lage sei, auch ihre rechte Hand für berufstypische Tätigkeiten noch weitgehend einzusetzen, wenn sie einseitige Extrembelastungen vermeide. Die Klägerin hat nicht dargelegt, inwiefern diese Beurteilung bei Annahme einer Rechtshändigkeit sich als unzutreffend erweist, zumal sie selbst vorträgt, daß sie sich wegen der Erkrankung der rechten Hand inzwischen angewöhnt habe, die linke Hand stärker zu belasten. Wenn sie vorträgt, alle feineren Tätigkeiten (zB Schreiben) mit der linken Hand nach wie vor nicht verrichten zu können, kommt dem für die Entscheidung keine rechtserhebliche Bedeutung zu, weil ihr - insoweit unangefochten - nicht etwa Tätigkeiten als Büro- oder Schreibkraft, sondern im wesentlichen nur als Textilverkäuferin, zB in Abteilungen für Herren- und Damenoberbekleidung, für Blusen oder Wäsche oder als Kassiererin (nicht in einem Supermarkt) zugemutet worden sind. Andererseits hat die Klägerin auch nicht behauptet, daß sie Tätigkeiten, die vorübergehend eine gewisse Kraftentfaltung oder eine gewisse manuelle Geschicklichkeit verlangen, mit der linken Hand (als Nicht-Gebrauchshand) nicht verrichten könne. Mithin hat die Klägerin nicht schlüssig dargelegt, daß die angefochtene Entscheidung des LSG auf der irrigen Annahme der Linkshändigkeit beruhen kann.
Die Nichtzulassungsbeschwerde erweist sich demnach mangels formgerechter Darlegung eines Zulassungsgrundes als unzulässig und ist in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Formerfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG.
Der Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG setzt das Geltendmachen eines Verfahrensmangels voraus, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dieser Verfahrensmangel muß gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in der Beschwerdebegründung bezeichnet werden. Zur Bezeichnung in diesem Sinne ist die Darlegung der Tatsachen erforderlich, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 24 und 36). Mit der Beschwerdebegründung hätte demgemäß dargetan werden müssen, aufgrund welcher Tatsachen die angefochtene Entscheidung auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann. Dem genügen die Darlegungen der Klägerin nicht.
Die Klägerin rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, die sie darin sieht, daß das Landessozialgericht (LSG) bei der Beurteilung ihres Leistungsvermögens von ihrer Linkshändigkeit ausgegangen sei, ohne sie zur Richtigkeit dieser Feststellung vorher noch einmal anzuhören und ohne ihr rechtzeitig einen Hinweis zu erteilen, daß diesem Umstand besonderes Gewicht zukomme. In der mündlichen Verhandlung am 7. April 1989 sei das Gericht völlig überraschend und unrichtigerweise davon ausgegangen, daß sie Linkshänderin sei. Ohne daß diese Frage bis dahin erörtert worden sei, habe der Berichterstatter aus dem Gutachten des Dr N vom 20. Januar 1989 (richtig: 20. Januar 1986) zitiert: "Bei Linkshändigkeit der Klägerin besteht eine leichtgradige, linksbetonte Beschwielung beider Hohlhände." In Wirklichkeit sei sie aber nicht links-, sondern rechtshändig, was ihrem im Termin vom 7. April 1989 anwesenden Prozeßbevollmächtigten unbekannt gewesen sei. Zu diesem Termin sei sie persönlich weder geladen noch anwesend gewesen, so daß sie die fehlerhafte Tatsachenfeststellung nicht habe spontan richtigstellen können. Die Beschwielung ihrer linken Hand beruhe einzig und allein darauf, daß sie sich wegen der Erkrankung der rechten Hand inzwischen gezwungenermaßen angewöhnt habe, die linke Hand stärker zu belasten. Der irrig angenommenen Linkshändigkeit habe das LSG eine ganz wesentliche Bedeutung beigemessen, denn es habe im Urteil ausgeführt:
"Dies (die Nichtbehinderung beim Einsatz der linken Hand) ist von besonderer Bedeutung deshalb, weil die Klägerin Linkshänderin ist, wie der Sachverständige Dr N in seinem Gutachten vom 20. Januar 1986 unwidersprochen festgestellt hat. Diese Feststellung wird auch nicht dadurch entwertet, daß in dem Gutachten des Sachverständigen Prof Dr R jegliche Aussage zur Händigkeit der Klägerin fehlt."
"Nach diesem Leistungsvermögen kann die Klägerin noch ihren bisherigen Beruf als Verkäuferin oder andere gleichartige oder gleichgestellte Tätigkeiten ausüben. Die Klägerin kann, da sie Linkshänderin ist, Tätigkeiten, die vorübergehend eine größere Kraftentfaltung oder eine gewisse manuelle Geschicklichkeit verlangen, mit der linken Hand ausführen."
Danach bestehe durchaus die Möglichkeit, daß die falsche Überzeugung des Gerichts das Urteil zu ihrem Nachteil entscheidend beeinflußt habe. Da niemand zuvor der Links- oder Rechtshändigkeit eine Bedeutung beigemessen habe, habe das Prinzip des rechtlichen Gehörs einen rechtzeitigen richterlichen Hinweis bzw ihre Anhörung zu der angenommenen Linkshändigkeit geboten. Mit dem Vorbehalt, sie, die Klägerin habe das Gutachten lesen und den Fehler frühzeitig korrigieren können, wäre dem Verbot der Überraschungsentscheidung sicher nicht Genüge getan. Entsprechend § 278 Abs 3 Zivilprozeßordnung (ZPO) dürfe das Gericht seine Entscheidung auf einen tatsächlichen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten habe, nur stützen, wenn es Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben habe.
Der beschließende Senat läßt offen, ob diesem Vorbringen eine Verletzung des § 62 SGG oder des damit zusammenhängenden § 112 Abs 2 Satz 1 SGG zu entnehmen ist. Danach muß das Gericht den Beteiligten bei der Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses die wesentlichen Tatsachen und rechtlichen Fragen bezeichnen, damit sie prüfen können, ob Ausführungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zweckmäßig sind. Nach allgemeiner Auffassung kann aus den erwähnten Vorschriften jedoch nicht die Pflicht des Gerichts entnommen werden, alle möglichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten zu erörtern (BGH, Betrieb 1975, 2274); ebensowenig ist das Gericht verpflichtet, die Beteiligten auf jedwede - ihnen bereits bekannte - Tatsachen besonders hinzuweisen, die für die rechtliche Beurteilung bedeutsam sein können. Unbeschadet der Frage, ob die Gerichte insbesondere hinsichtlich eingeholter und den Beteiligten mitgeteilter Gutachten verpflichtet sind, ihnen stufenweise die mögliche Beurteilung der einzelnen entscheidungserheblichen Tatsachen mitzuteilen, und inwieweit eine Bindung an solche Mitteilungen angenommen werden könnte, kann hier die Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg führen, weil in ihrer Begründung nicht dargelegt worden ist, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf dem mangels eines solchen Hinweises unterbliebenen Vorbringen beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Bereits das Sozialgericht (SG) war aufgrund der von ihm eingeholten Gutachten des Dr N und Prof Dr R der Auffassung, die Klägerin könne - ungeachtet einer evtl Linkshändigkeit - noch körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig verrichten und könne zB noch als Verkäuferin in einer Abteilung für Herrenwäsche arbeiten, wie sie dies früher schon längere Zeit getan habe. Auch das LSG ist davon ausgegangen, daß die Klägerin nach diesen medizinischen Begutachtungen und der ergänzenden Stellungnahme des Prof Dr R in der Lage sei, auch ihre rechte Hand für berufstypische Tätigkeiten noch weitgehend einzusetzen, wenn sie einseitige Extrembelastungen vermeide. Die Klägerin hat nicht dargelegt, inwiefern diese Beurteilung bei Annahme einer Rechtshändigkeit sich als unzutreffend erweist, zumal sie selbst vorträgt, daß sie sich wegen der Erkrankung der rechten Hand inzwischen angewöhnt habe, die linke Hand stärker zu belasten. Wenn sie vorträgt, alle feineren Tätigkeiten (zB Schreiben) mit der linken Hand nach wie vor nicht verrichten zu können, kommt dem für die Entscheidung keine rechtserhebliche Bedeutung zu, weil ihr - insoweit unangefochten - nicht etwa Tätigkeiten als Büro- oder Schreibkraft, sondern im wesentlichen nur als Textilverkäuferin, zB in Abteilungen für Herren- und Damenoberbekleidung, für Blusen oder Wäsche oder als Kassiererin (nicht in einem Supermarkt) zugemutet worden sind. Andererseits hat die Klägerin auch nicht behauptet, daß sie Tätigkeiten, die vorübergehend eine gewisse Kraftentfaltung oder eine gewisse manuelle Geschicklichkeit verlangen, mit der linken Hand (als Nicht-Gebrauchshand) nicht verrichten könne. Mithin hat die Klägerin nicht schlüssig dargelegt, daß die angefochtene Entscheidung des LSG auf der irrigen Annahme der Linkshändigkeit beruhen kann.
Die Nichtzulassungsbeschwerde erweist sich demnach mangels formgerechter Darlegung eines Zulassungsgrundes als unzulässig und ist in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
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