Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Entscheidung vom 15.12.2016; Aktenzeichen L 15 SF 15/16 EK AS-)

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 07.11.2017; Aktenzeichen B 10 ÜG 22/17 C)

 

Tenor

Das Gesuch der Klägerin vom 13. April 2017, den Richter am Bundessozialgericht O. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird verworfen, soweit es sich auf das Beschwerdeverfahren bezieht, und zurückgewiesen, soweit es das Verfahren der Prozesskostenhilfe betrifft.

 

Gründe

I

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 13.4.2017 den Richter am BSG O. als befangen abgelehnt. Dieser habe ua als zuständiger Berichterstatter in den Beschwerdeverfahren B 10 ÜG 7/17 B, B 10 ÜG 9/17 B und B 10 ÜG 11/17 B der Klägerin einen Beschluss des Amtsgerichts Rotenburg an der Wümme vom 7.2.2017 zur Kenntnis genommen und diesen mit Verfügung vom 30.3.2017 an das LSG als Vorinstanz verschickt. Damit habe er massiv ihre Rechte verletzt. In dem genannten Beschluss hat das Amtsgericht die im Jahr 2014 eingerichtete Betreuung der Klägerin wegen Unbetreubarkeit aufgehoben.

Der abgelehnte Richter hat mit dienstlicher Äußerung vom 18.5.2017 erklärt, sich nicht für befangen zu halten.

II

Der Senat entscheidet in seiner geschäftsplanmäßigen Zusammensetzung mit Ausnahme des von der Klägerin abgelehnten Richters.

1. Auch wenn es nach der von der Klägerin angegriffenen Entscheidung des LSG in Betracht kommt, dass sie prozessunfähig ist, steht dies der Zulässigkeit des von ihr erhobenen Befangenheitsgesuchs nicht entgegen. Denn sie wendet sich damit ua gegen die Behandlung des amtsgerichtlichen Betreuungsbeschlusses durch das BSG und mittelbar gegen die Annahme ihrer fehlenden Prozessfähigkeit durch das LSG (vgl BVerfG Beschluss vom 4.8.1992 - 2 BvR 1129/92 - Juris).

2. Das Befangenheitsgesuch ist aber unzulässig, soweit es sich auf das Beschwerdeverfahren bezieht, da sämtliche Prozesshandlungen im Verfahren vor dem BSG dem Vertretungszwang (§ 73 Abs 4 SGG) unterliegen. Sie können daher im Grundsatz wirksam nur durch den Prozessbevollmächtigten - nicht jedoch durch den Beteiligten selbst - vorgenommen werden (vgl B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2014, § 73 RdNr 55).

3. Zulässig ist das Befangenheitsgesuch nur insoweit, als es sich auf das Verfahren der Prozesskostenhilfe bezieht. Dieses nimmt § 73 Abs 4 SGG vom gesetzlichen Vertretungszwang vor dem BSG aus. Das Ablehnungsgesuch ist aber unbegründet.

Nach § 60 Abs 1 SGG iVm § 42 Abs 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu begründen. Eine Besorgnis der Befangenheit ist nur dann anzunehmen, wenn ein objektiv vernünftiger Grund gegeben ist, der den am Verfahren Beteiligten auch von seinem Standpunkt aus befürchten lassen kann, der Richter werde nicht unparteilich entscheiden. Entscheidend ist, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger, objektiver Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflusst ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabes Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten (vgl BVerfG vom 26.1.1971 - 2 BvR 443/69 - BVerfGE 30, 149, 153; vom 12.7.1986 - 1 BvR 713/83 ua - BVerfGE 73, 330, 335; vom 5.4.1990 - 2 BvR 413/88 - BVerfGE 82, 30, 38; BSG vom 31.7.1985 - 9a RVs 5/84 - SozR 1500 § 60 Nr 3 und vom 1.3.1993 - 12 RK 45/92 - SozR 3-1500 § 60 Nr 1). Grundsätzlich ist eine Vorbefassung oder selbst eine fehlerhafte Entscheidung in demselben oder einem anderen Rechtsstreit kein geeigneter Grund für eine Ablehnung, es sei denn, die Entscheidung beruht auf Willkür oder auf Verfahrensfehlern, die auf Voreingenommenheit schließen lassen (vgl BSG vom 19.1.2010 - B 11 AL 13/09 C - SozR 4-1500 § 60 Nr 7 mwN; Keller, aaO, § 60 RdNr 8r mwN). Deshalb sind Verfahrensverstöße - selbst wenn sie auf mangelnder Sorgfalt beruhen - nur ausnahmsweise geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu begründen, nämlich nur dann, wenn sich in der Verfahrensweise des Richters eine unsachliche oder von Willkür geprägte Einstellung äußert (vgl BVerfG vom 24.2.2009 - 1 BvR 165/09 - NVwZ 2009, 581, 583 und vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11; BSG vom 29.3.2007 - B 9a SB 18/06 B - SozR 4-1500 § 60 Nr 4 und vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B - SozR 4-1100 Art 101 Nr 3).

Die von der Klägerin vorgebrachten Begründungen rechtfertigen nach diesen Maßstäben ihre Ablehnung des Richters am BSG nicht. Die Kritik der Klägerin, der Richter habe den Beschluss des Amtsgerichts, mit dem dieses ihre Betreuung aufgehoben hat, nicht zur Kenntnis nehmen und auch nicht an die Vorinstanz weiterleiten dürfen, geht fehl. Bestehen tatsächlich Anhaltspunkte, die Zweifel an der Prozessfähigkeit eines Beteiligten begründen können, muss das Revisionsgericht nach § 71 Abs 6 SGG iVm § 56 Abs 1 ZPO (vgl BSG Urteil vom 5.4.2000 - B 5 RJ 38/99 R -, BSGE 86, 107, SozR 3-1200 § 2 Nr 1, SozR 3-1200 § 17 Nr 2, SozR 3-1200 § 66 Nr 4) solchen Zweifeln von Amts wegen nachgehen. So lag der Fall hier, weil das LSG als Vorinstanz Rechtsmittel der Klägerin unter Berufung auf die für sie in der Vergangenheit eingerichtete Betreuung als unzulässig behandelt hatte. Der Hinweis an das LSG auf den erneuten Beschluss des Amtsgerichts über die Betreuung der Klägerin lag damit zugleich auch im wohlverstandenen Interesse der Klägerin. Soweit die Begleitverfügung davon spricht, der Beschluss habe die Betreuung angeordnet (anstatt richtig: aufgehoben), handelte es sich dafür um ein für alle Beteiligten offenkundiges und durch die Lektüre des Beschlusses sofort einsichtiges Versehen. Das LSG war insoweit auch nicht, wie von der Klägerin angenommen, (unbeteiligter) Dritter. Vielmehr traf auch das Berufungsgericht von Amts wegen die genannte Pflicht, etwaigen Zweifeln zur Prozessfähigkeit der Klägerin nachzugehen. Als Teil seiner Amtsermittlungspflicht hätte es sich den amtsgerichtlichen Beschluss daher jederzeit selber vom Amtsgericht beschaffen können und dürfen. Soweit die Klägerin dem Richter im Übrigen Willkür und vorsätzliche Manipulation vorwirft, entbehrt dies jeder tatsächlichen Grundlage.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI11261121

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