Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtsfrage. Grundsätzliche Bedeutung. Versicherungspflicht. Pflichtbeitragszeiten. Beitragszeiten. Tatsächliche Beitragsentrichtung. Vormerkung. Vermutete oder fingierten Beitragszahlung. Einzugsstelle
Leitsatz (redaktionell)
1. Pflichtbeitragszeiten sind nur solche Beitragszeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge gezahlt worden sind (§ 55 Abs. 1 S. 1 SGB VI) oder für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI).
2. Ohne eine tatsächliche Beitragsentrichtung kommt eine Vormerkung von Beitragszeiten – abgesehen von Fällen einer vermuteten oder fingierten Beitragszahlung (vgl. z.B. § 203 Abs. 2 SGB VI) – nicht in Betracht.
3. Beitragszeiten hängen von der tatsächlichen Beitragsentrichtung ab.
4. Besteht kein Zweifel an der Versicherungspflicht, kommt der Arbeitgeber seiner Zahlungspflicht jedoch aus anderen Gründen nicht nach (hier: wegen Verjährung), hat allein die Einzugsstelle darüber zu entscheiden, ob die Beiträge noch zu zahlen sind.
Normenkette
SGG § 73 Abs. 2 S. 2 Nr. 7, Abs. 4, § 73a Abs. 1 S. 1, §§ 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2; ZPO §§ 114, 121; SGB VI § 55 Abs. 1 Sätze 1-2, § 203 Abs. 2
Verfahrensgang
SG Dortmund (Entscheidung vom 11.09.2018; Aktenzeichen S 34 R 917/17) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 18.01.2022; Aktenzeichen L 18 R 735/18) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Januar 2022 - L 18 R 735/18 - vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt H, C, beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Streitig ist die Vormerkung einer Pflichtbeitragszeit vom 1.1.1995 bis zum 31.12.1997.
Der 1962 geborene Kläger war im streitbefangenen Zeitraum als Student immatrikuliert und zugleich als teilzeitbeschäftigter Lagerarbeiter bei der M GmbH & Co KG (Vorgängerin der Beigeladenen zu 2; im Folgenden einheitlich Beigeladene zu 2) tätig. Mit rechtskräftigem Urteil vom 7.2.2012 verpflichtete das SG Duisburg (S 7 KR 32/10) die zu 1 beigeladene Krankenkasse festzustellen, dass der Kläger in dieser Zeit als Arbeitnehmer der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterlag. Es ging davon aus, dass der Kläger kein versicherungsfreier Werkstudent, sondern in seiner Tätigkeit als Lagerarbeiter versicherungspflichtiger Beschäftigter gewesen sei. Im Anschluss lehnte die Beklagte die Vormerkung der streitigen Zeit als Beitragszeit ab, weil Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht gezahlt worden seien. Die Beitragsforderung lasse sich wegen Verjährung nach § 25 Abs 1 Satz 1 SGB IV auch nicht mehr realisieren (Bescheid vom 10.1.2017; Widerspruchsbescheid vom 21.4.2017).
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 11.9.2018 abgewiesen. Das LSG hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 18.1.2022 zurückgewiesen. Die Beklagte habe die Vormerkung der streitigen Zeit als Pflichtbeitragszeit zu Recht abgelehnt. Es sei zwar rechtskräftig festgestellt, dass der Kläger in diesem Zeitraum auch rentenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Pflichtbeiträge seien dafür aber nicht gezahlt worden. Ein Tatbestand, nach dem Beiträge als gezahlt gelten, liege ebenfalls nicht vor. Die Verpflichtung der Beigeladenen zu 2 zur Zahlung der Pflichtbeiträge sei aufgrund Verjährung nicht mehr durchsetzbar. Der Kläger könne einen Anspruch auf Vormerkung auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen.
Der Kläger hat mit einem am 19.4.2022 beim BSG eingegangenen Schreiben die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG beantragt.
II
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). Nach Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Gerichtsakten ist nicht zu erkennen, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
1. Grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und in dem Verfahren geklärt werden kann (Klärungsfähigkeit) (vgl Beschluss vom 13.4.2022 - B 5 R 291/21 B - juris RdNr 7 mwN). Derartige Rechtsfragen sind nicht erkennbar. Es ergibt sich aus dem Gesetz, dass Pflichtbeitragszeiten nur solche Beitragszeiten sind, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge gezahlt worden sind (§ 55 Abs 1 Satz 1 SGB VI) oder für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs 1 Satz 2 SGB VI). In der Rechtsprechung des BSG ist geklärt, dass ohne eine tatsächliche Beitragsentrichtung eine Vormerkung von Beitragszeiten - abgesehen von den hier nicht einschlägigen Fällen einer vermuteten oder fingierten Beitragszahlung (vgl zB § 203 Abs 2 SGB VI) - nicht in Betracht kommt. Beitragszeiten hängen von der tatsächlichen Beitragsentrichtung ab (BSG Urteil vom 21.10.2021 - B 5 R 23/21 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen - juris RdNr 17; BSG Urteil vom 13.8.1996 - 12 RK 76/94 - SozR 3-2400 § 25 Nr 6 S 28 = juris RdNr 28; vgl auch BSG Urteil vom 18.8.1992 - 12 RK 7/92 - SozR 3-5800 § 1 Nr 1 S 4 = juris RdNr 20 und BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 5.1.2017 - 1 BvR 967/14 - juris RdNr 15). Dieses Erfordernis wird auch vom Kläger grundsätzlich nicht in Abrede gestellt. Die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind gleichermaßen geklärt (siehe etwa BSG Urteil vom 21.10.2021 - B 5 R 28/21 R - SozR 4-2600 § 56 Nr 11 RdNr 43 f).
Soweit es dem Kläger um die Verpflichtung der Beigeladenen zu 2 zur Zahlung von Pflichtbeiträgen für seine im streitbefangenen Zeitraum ausgeübte Beschäftigung und insbesondere um die Frage der Verjährung der Beitragsforderung geht, kommt eine Revisionszulassung bereits deshalb unter keinem Gesichtspunkt in Betracht, weil dies nicht Gegenstand des Vormerkungsverfahrens und mithin nicht Streitgegenstand des hier zu entscheidenden Rechtsstreits ist. Auch das LSG ist davon zu Recht ausgegangen und hat seine diesbezüglichen Ausführungen "nur ergänzend" gemacht. Besteht wie hier kein Zweifel an der Versicherungspflicht, kommt der Arbeitgeber seiner Zahlungspflicht jedoch aus anderen Gründen nicht nach (hier: wegen Verjährung), hat allein die Einzugsstelle darüber zu entscheiden, ob die Beiträge noch zu zahlen sind. Der versicherte Arbeitnehmer kann das Beitragseinzugsverfahren durch einen Antrag bei der Einzugsstelle einleiten und, wenn es erfolglos bleibt, in einem Rechtsstreit gegen die Einzugsstelle die Verpflichtung zum Beitragseinzug klären lassen. Für eine Klage gegen die Beklagte ist deshalb insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben (vgl BSG Urteil vom 26.9.1996 - 12 RK 37/95 - SozR 3-2400 § 28h Nr 7 S 23 f).
2. Ebenso wenig ist nach der Aktenlage zu erkennen, dass das LSG einen abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem solchen des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (Zulassungsgrund der Divergenz, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
3. Schließlich weist nichts auf das Vorliegen eines entscheidungserheblichen Verfahrensmangels hin, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Nach Halbsatz 2 dieser Bestimmung kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Soweit der Kläger einwendet, das LSG hätte in Bezug auf die Einzelheiten seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2 Herrn G vernehmen müssen, macht er einen Mangel bei der Sachverhaltsermittlung (§ 103 SGG) geltend. Es ist jedoch weder aus den Ausführungen des Klägers noch aus den Akten ersichtlich, dass ein solcher Mangel vorliegen könnte. Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat der vor dem LSG anwaltlich vertretene Kläger bereits keinen diesbezüglichen Beweisantrag gestellt (zum Erfordernis s § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Im Übrigen ist nicht erkennbar, inwiefern die Umstände der Beschäftigung für das Verfahren der Vormerkung rentenrechtlicher Zeiten von Bedeutung sein könnten.
Auch der Einwand des Klägers, die Beigeladene zu 2 sei nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen, lässt einen Verfahrensmangel nicht erkennen. Die Befugnis von Vereinigungen von Arbeitgebern zur Vertretung ihrer Mitglieder in Verfahren vor dem LSG ergibt sich aus § 73 Abs 2 Satz 2 Nr 7 SGG.
Soweit der Kläger mit seinen Ausführungen sinngemäß eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt, ist für das Vorliegen eines solchen Verfahrensmangels nichts ersichtlich. Dass dem anwaltlich vertretenen Kläger vom LSG keine Möglichkeit gegeben worden wäre, seinen Rechtsstandpunkt (auch) in der mündlichen Verhandlung geltend zu machen, ist nicht erkennbar.
Auf die Behauptung, das Urteil des LSG sei falsch, kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 25.3.2021 - B 5 R 288/20 B - juris RdNr 14 mwN).
4. Da dem Kläger mithin PKH nicht zusteht, entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Gasser Hannes Hahn
Fundstellen
Dokument-Index HI15365054 |