Leitsatz (amtlich)
1. Eine unzulässige Nichtzulassungsbeschwerde kann in entsprechender Anwendung des SGG § 169 S 3 ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß und ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig verworfen werden (Anschluß an BSG 1975-04-15 5 BKn 1/75).
2. Ist eine Entscheidung kumulativ mehrfach begründet, genügt es nicht, die Abweichung (Divergenz) für eine Begründung darzulegen. Es muß dargetan werden, daß sich die Abweichung auf alle Begründungen des Urteils auswirkt.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3 Fassung: 1974-07-30, Abs. 4 S. 2 Fassung: 1974-07-30, § 169 S. 3 Fassung: 1972-05-26
Tenor
1. Der Klägerin wird zur Rechtsverteidigung auf die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision das Armenrecht bewilligt. Als Armenanwälte werden ihr die Rechtsanwälte J. S., Dr. H. A. und E. M. in W. (I.) beigeordnet.
2. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 12. Februar 1975 wird als unzulässig verworfen.
3. Die Beigeladene hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beigeladenen ist unzulässig.
Nach § 160a Abs. 4 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) idF des Gesetzes zur Änderung des SGG vom 30. Juli 1974 (BGBl I 1625) entscheidet das Bundessozialgericht (BSG) über die Nichtzulassungsbeschwerde unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluß. Dies gilt indessen nur, wenn das BSG der Nichtzulassungsbeschwerde stattgibt oder sie als unbegründet zurückweist. Wird die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen, entscheiden die Berufsrichter des Senats ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter. Das ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 169 Satz 3 SGG. Danach ist vorgesehen, daß für den Fall der Verwerfung einer Revision ohne mündliche Verhandlung dies durch Beschluß ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgt. Wenn bereits die Besetzung des BSG mit drei Berufsrichtern ausreicht, um eine Revision durch Beschluß ohne mündliche Verhandlung als unzulässig zu verwerfen, muß dies erst recht gelten, wenn der gegenüber der Revision nicht so starke Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen ist (ebenso der 5. Senat des BSG in dem Beschluß vom 15. April 1975 - 5 BKn 1/75 -). Dem steht auch nicht entgegen, daß der Rechtsausschuß und der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung einhellig der Auffassung waren, daß bei der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde die ehrenamtlichen Richter mitwirken sollen und deshalb die zum Gesetz gewordene Fassung des § 160 a Abs. 4 Satz 2 SGG ausdrücklich beschlossen worden ist (vgl. BT-Drucks. 7/2024). Sinn und Zweck der Zuziehung der ehrenamtlichen Richter soll es nämlich sein, "auch in diesem Bereich die bei den ehrenamtlichen Richtern vorhandene unmittelbare Kenntnis der Praxis bei der Rechtsfindung nutzbar zu machen und das Vertrauen, das der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit insbesondere auch wegen der Teilnahme der ehrenamtlichen Richter entgegengebracht wird", zu stärken (BT-Drucks. 7/2024, Einzelbegründung zu § 160a). Die praktischen Kenntnisse der ehrenamtlichen Richter liegen aber in dem Bereich, der mit der Begründetheit einer Nichtzulassungsbeschwerde zusammenhängen, nicht aber in dem Bereich, der die formalen verfahrensmäßigen Voraussetzungen des Prozeßrechts (Frist, Form und Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde) betreffen. Es ist deshalb unter Berücksichtigung des Zusammenhangs der Vorschrift des § 160a Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 169 Satz 3 SGG davon auszugehen, daß auch über die Verwerfung einer Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig die drei Berufsrichter des Senats allein entscheiden.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist deshalb unzulässig, weil die Beigeladene die von ihr behauptete Abweichung nicht hinreichend bezeichnet hat (§ 160a Abs. 2 Satz 3 SGG). Die Beigeladene hat übersehen, daß das Landessozialgericht (LSG) seine Entscheidung doppelt begründet hat. Das Berufungsgericht hat zum einen sein Urteil auf die tatsächlich Unterhaltsleistung im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten gestützt (§ 1265 Abs. 1 Satz 1 letzte Alternative der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Die andere Begründung bezieht sich auf die erste Alternative des § 1265 Abs. 1 Satz 1 RVO ("wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes .... zu leisten hatte"). Während die Beigeladene des näheren zur ersten Begründung dargelegt hat, von welchen Entscheidungen des BSG nach ihrer Auffassung das LSG abgewichen ist, fehlt zu der zweiten Begründung im angefochtenen Urteil die entsprechende Darlegung. Bei einer formgerechten Nichtzulassungsbeschwerde hätte die Beigeladene aber auch zur zweiten Begründung die Abweichung genau und im einzelnen darlegen müssen, wie dies bei mehrfacher Begründung erforderlich ist (vgl. BGH LM Nr. 18 zu § 24 LwVG; BGH RzW 1964, 88; BAG AP Nr. 50 zu § 72 ArbGG; BAG AP Nr. 27 zu § 72 ArbGG Divergenzrevision; Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, 1971, Rdnr. 129 - S. 54). Der bloße Hinweis der Beigeladenen, die Voraussetzungen für eine Abänderungsklage nach § 323 der Zivilprozeßordnung hätten nicht vorgelegen, erfüllt weder diese noch die übrigen Formvoraussetzungen des § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG.
Nach allem ist somit die Nichtzulassungsbeschwerde der Beigeladenen entsprechend § 169 Satz 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Klägerin war das von ihr begehrte Armenrecht für die aus den genannten Gründen erfolgreiche Rechtsverteidigung gegen die Nichtzulassungsbeschwerde der Beigeladenen zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 195 SGG.
Fundstellen