Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Divergenz. Darlegung eines widersprechenden Rechtssatzes. Aufstellung anderer rechtlicher Maßstäbe. unzutreffende Interpretation einer Rechtsaussage. sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensfehler. Amtsermittlungspflicht. unzureichend begründete Ablehnung eines Beweisantrags. objektive Erforderlichkeit weiterer Tatsachenermittlungen. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Für die Geltendmachung einer Divergenz iS der §§ 160a, 160 Abs 2 Nr 2 SGG genügt es nicht darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entspricht, die etwa das BSG aufgestellt hat, sondern es ist darzutun, dass das LSG diesen Kriterien ausdrücklich widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG vom 28.9.1998 - B 4 RA 200/97 B = HVBG-INFO 1999, 3008).
2. Eine durch den Beschwerdeführer dem angefochtenen Urteil unzutreffend entnommene Rechtsaussage (hier zur Gelegenheitsursache im Rahmen der Kausalitätsprüfung) kann ebenso wie eine den bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG widerstreitende Tatsachenschilderung nicht Grundlage für die Zulassung der Revision sein.
3. Für die Verletzung der Amtsermittlungspflicht kommt es nicht darauf an, ob die im angefochtenen Urteil für die Nichtbefolgung des Beweisantrages angeführten Gründe unzureichend sind, sondern darauf, ob das LSG objektiv gehalten gewesen wäre, den Sachverhalt weiter aufzuklären und den beantragten Beweis zu erheben. Die Amtsermittlungspflicht ist verletzt, wenn Tatsachen, die aus der rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts entscheidungserheblich waren, nicht oder nicht prozessordnungsgerecht ermittelt und festgestellt worden sind.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nrn. 2, 3 Hs. 2, § 103; SGB VII § 8 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
SG Magdeburg (Urteil vom 26.08.2003; Aktenzeichen S 13 U 170/00) |
LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 24.01.2008; Aktenzeichen L 6 U 106/03) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 24. Januar 2008 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil des Landessozialgerichts (LSG) gerichtete, auf die Zulassungsgründe der Divergenz und des Verfahrensmangels gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, dass der Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34, 47 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, IX, RdNr 177 und 179 mwN). Daran mangelt es hier.
Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist für die Zulassung der Revision nur dann ausreichend dargelegt, wenn schlüssig erklärt wird, mit welchem genau bestimmten entscheidungserheblichem Rechtssatz das angegriffene Urteil des LSG von welcher genau bestimmten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 21, 29 und 54). Dazu genügt es nicht darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entspricht, die etwa das BSG aufgestellt hat, sondern es ist darzutun, dass das LSG diesen Kriterien ausdrücklich widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen Abweichung (vgl Krasney/Udsching, aaO, RdNr 196 mwN; BSG Beschluss vom 28. September 1998 - B 4 RA 200/97 B - HVBG-Info 1999, 3008; BSG SozR 1500 § 160a Nr 29; BSG Beschlüsse vom 18. Juli 2000 - B 2 U 160/00 B - und 18. September 2000 - B 2 U 244/00 B -). Zudem ist darzulegen, dass die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht.
Die Klägerin macht geltend, das LSG habe den Rechtssatz aufgestellt, "welche Ursache im sozialrechtlichen Sinne als wesentliche Ursache für den geklagten Gesundheitsschaden anzusehen ist, muss wertend (durch das Gericht) aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs (Gesundheitsschaden) abgeleitet werden (oder anders ausgedrückt, was Gelegenheitsursache ist, bestimmt wertend das Gericht.). Spricht mehr gegen als für die Kausalität kommt eine 'Gelegenheitsursache' als 'wesentliche Ursache' im sozialrechtlichen Sinne nicht in Betracht". Demgegenüber würden die Urteile des BSG (SozR 2200 § 548 Nr 51 sowie vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -) von dem Rechtssatz getragen, "Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die 'Auslösung' akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkung bedurften, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte." Die Rechtsansicht des LSG verkürze die Frage nach der wesentlichen Ursache letztlich darauf, dass eine Gelegenheitsursache dann als wesentliche Ursache ausscheide, wenn nach der Wertung des Gerichts mehr gegen als für die Unfallursächlichkeit spreche.
Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin den Zulassungsgrund der Divergenz nicht schlüssig dargestellt. Sie hat bereits widerstreitende Rechtssätze im eingangs beschriebenen Sinne nicht dargelegt. Der den Urteilen des BSG (SozR 2200 § 548 Nr 1 und vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/95 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17) zutreffend entnommene Rechtssatz widerspricht dem dem LSG erstens zugeschriebenen Rechtssatz nicht, denn letzterer beschreibt - zutreffend - die in der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Kausallehre von der wesentlichen Bedingung (s insoweit BSGE 96 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 jeweils RdNr 15 mwN). Soweit die Klägerin dem angefochtenen Urteil zweitens die Aussage entnimmt, "spricht mehr gegen als für die Kausalität kommt eine 'Gelegenheitsursache' als 'wesentliche Ursache' im sozialrechtlichen Sinn nicht in Betracht", beruht dies uU auf einer unzutreffenden Interpretation des Urteils oder auf einem Missverständnis der Klägerin vom Begriff der sogenannten Gelegenheitsursache. Eine Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen der überragenden Bedeutung einer anderen Ursache zB der vorhandenen Krankheitsanlage (nur) als Gelegenheitsursache anzusehen ist, kann keine wesentliche Mitursache sein. Nach mehrfacher Durchsicht des angefochtenen Urteils ist nicht ersichtlich, dass das LSG die ihm von der Klägerin zugeschriebene Rechtsaussage, wonach eine Gelegenheitsursache auch anzunehmen sei, wenn die Konkurrenzursache nicht von überragender sondern von nur überwiegender Bedeutung sei, getroffen hat. Eine durch den Beschwerdeführer dem angefochtenen Urteil unzutreffend entnommene Rechtsaussage kann indes ebenso wie eine den bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG widerstreitende Tatsachenschilderung nicht Grundlage für die Zulassung der Revision sein. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist insofern unzulässig.
Auch einen Verfahrensmangel hat die Klägerin nicht iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG bezeichnet. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Soweit die Klägerin die Verletzung des § 103 SGG durch das LSG geltend macht, hat sie schon nicht dargelegt, dass es sich bei den mit ihrem Schriftsatz vom 5. April 2006 gestellten und in der mündlichen Verhandlung des LSG in Bezug genommenen Anträgen entgegen der Wertung des LSG als bloße Beweisanregung um berücksichtigungsfähige Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG handelt, die den Anforderungen an einen Beweisantrag iS der Zivilprozessordnung entsprechen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 45; SozR 3-1500 § 160 Nr 9). Sieht man hierüber hinweg und geht entsprechend den verstreuten Ausführungen der Beschwerdebegründung davon aus, dass die Klägerin im Schriftsatz vom 5. April 2006 und in der mündlichen Verhandlung beantragt hat, den gerichtlichen Sachverständigen Dr. B dazu zu befragen, ob die von Dr. Bö festgestellte Distorsion des rechten oberen Sprunggelenks geeignet ist, das Tarsaltunnelsyndrom zu verursachen, und dass zwischen dem Unfallgeschehen und den von der Klägerin am 9. November 1999 geklagten Gefühlsstörungen ein "kausaler zeitlicher" Zusammenhang bestehe, hat die Klägerin eine Verletzung des § 103 SGG nicht schlüssig dargelegt.
Ohne hinreichende Begründung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG bedeutet, dass die Revision zuzulassen ist, wenn das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 49). Zur Begründung eines solchen Verfahrensfehlers ist die schlüssige Darlegung des Beschwerdeführers erforderlich, inwiefern nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln, insbesondere den im Verwaltungsverfahren und gerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten, Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offen geblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat (stRspr des Senats, s ua Beschluss vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 311/99 B - mwN) und die so zu ermittelnden - medizinischen - Tatsachen nach der Rechtsauffassung des LSG entscheidungserheblich sind. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob - wie die Beschwerde meint - die im angefochtenen Urteil für die Nichtbefolgung des Beweisantrages angeführten Gründe unzureichend sind, sondern darauf, ob das LSG objektiv gehalten gewesen wäre, den Sachverhalt weiter aufzuklären und den beantragten Beweis zu erheben. Die Amtsermittlungspflicht ist verletzt, wenn Tatsachen, die aus der rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts entscheidungserheblich waren, nicht oder nicht prozessordnungsgerecht ermittelt und festgestellt worden sind. Entsprechende Darlegungen hat die Klägerin nicht gemacht. Vielmehr legt sie allein eine abweichende (eigene) Beweiswürdigung dar.
Schließlich hat die Klägerin auch die im Zusammenhang mit der Ablehnung des og Antrages behauptete Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör mangels jeglicher spezifischer Ausführungen nicht schlüssig bezeichnet.
Die Beschwerde ist daher als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14934898 |