Verfahrensgang
SG Hannover (Entscheidung vom 29.03.2016; Aktenzeichen S 12 R 81/15) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 30.04.2019; Aktenzeichen L 1 R 203/16) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. April 2019 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil vom 30.4.2019 hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen Anspruch des Klägers auf Neuberechnung seiner Altersrente im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X auf Grundlage einer höheren Leistungsgruppe als der Leistungsgruppe 3 nach Anlage 1 zum FRG verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 12.8.2019 begründet hat.
II
I. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung vom 12.8.2019 genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist die Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Der Kläger hat den in erster Linie geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der gesetzlich vorgesehenen Weise bezeichnet. Ebenso wenig hat er die sinngemäß geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) in der gebotenen Weise dargelegt. Der vom Kläger ausdrücklich angeführte Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (vgl § 543 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Alt 2 ZPO) ist im sozialgerichtlichen Revisionsrecht nicht vorgesehen.
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.10.2010 - B 12 KR 2/10 B - juris RdNr 5; jüngst BSG Beschluss vom 9.12.2019 - B 13 R 259/19 B - juris RdNr 4). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.
a) Der Kläger rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG). Hierzu lässt er seinen Prozessbevollmächtigten unter ergänzender Vorlage einer von ihm, dem Kläger, gefertigten handschriftlichen "Sachverhaltsskizze" vortragen, er habe "unbestritten" bereits im Verfahren vor dem SG auf das Urteil des BSG vom 24.6.1980 (1 RA 31/79 - SozR 5050 § 22 Nr 11) hingewiesen, aus dem sich seiner Meinung nach eine für ihn günstigere Rentenberechnung ergebe; diesen für ihn zentralen Vortrag habe auch das LSG nicht berücksichtigt. Damit rügt der Kläger vor allem eine nicht ausreichende Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung. Der Grundsatz der Wahrung des rechtlichen Gehörs gebietet es den Gerichten indes nicht, einem Beteiligtenvortrag auch inhaltlich zu folgen. Art 103 Abs 1 GG schützt die Grundrechtsträger nicht vor einer aus ihrer Sicht "unrichtigen" Rechtsanwendung (BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
Soweit der Kläger eine Gehörsverletzung zudem darin erblickt, dass das LSG seinen Hinweis auf das Urteil des BSG vom 24.6.1980 nicht genügend zur Kenntnis genommen und erwogen habe, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass bei vom Gericht entgegengenommenen Vorbringen der Beteiligten grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Ausführungen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen worden sind (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 27.5.2016 - 1 BvR 1890/15 - juris RdNr 14 f). Im Übrigen sind die Gerichte nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden; sie müssen nur das wesentliche, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeiten (stRspr; zB BVerfG ≪Kammer≫ vom 20.2.2008 - 1 BvR 2722/06 - BVerfGK 13, 303, 304 = juris RdNr 9 ff mwN; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 31.3.2006 - 1 BvR 2444/04 - BVerfGK 7, 485, 488). Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (vgl BVerfG Beschluss vom 19.7.1967 - 2 BvR 639/66 - BVerfGE 22, 267, 274; BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216 f), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten annimmt, den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfG Beschluss vom 19.7.1967 aaO) oder wenn es auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, es sei denn, der Tatsachenvortrag ist nach der materiellen Rechtsauffassung des Gerichts unerheblich (BVerfG Beschluss vom 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133, 146). Insbesondere einen Pflichtverstoß des LSG im letztgenannten Sinne hat der Kläger aber schon deswegen nicht aufgezeigt, weil er in der Beschwerdebegründung nicht substantiiert vorbringt, inwieweit nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG bestimmte Rechtssätze aus dem Urteil des BSG vom 24.6.1980 für die hier zugrunde liegende Klage entscheidungserheblich gewesen seien. Der pauschale Vortrag des Klägers, das "Leiturteil" des BSG sei "in derselben Sache" erlassen worden, reicht insoweit nicht aus. Das gilt umso mehr, als das LSG, wie der Kläger selbst sinngemäß vorbringt, seine Entscheidung ausschließlich auf Erwägungen zum Prüfungsumfang im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X gestützt hat, das Urteil des BSG vom 24.6.1980 aber § 44 SGB X nicht berührt.
Da der Kläger demnach schon keinen rügefähigen Verfahrensmangel bezeichnet, lässt der Senat dahinstehen, ob er die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen ausreichend substantiiert dargetan hat (vgl dazu, dass es an einer ordnungsgemäßen Beschwerdebegründung fehlt, soweit der Prozessbevollmächtigte sich den Inhalt von Unterlagen zu eigen macht, die ein nicht postulationsfähiger Beteiligter gefertigt hat, zuletzt etwa BSG Beschluss vom 17.4.2019 - B 13 R 84/18 B - juris RdNr 6 mwN).
b) Der Kläger rügt ferner einen Verstoß gegen sein Verfahrensgrundrecht auf ein objektiv willkürfreies Verfahren aus Art 3 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG. Hierzu macht er geltend, da das LSG sein Vorbringen nach seinem Dafürhalten nicht ausreichend zur Kenntnis genommen und erwogen habe, beruhe die Entscheidung des LSG auf "Erwägungen aus eingeschränktem Vortrag". Ein Richterspruch ist jedoch nur dann willkürlich und verstößt damit gegen Art 3 Abs 1 GG, wenn er unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht; hiervon kann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl zuletzt etwa BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 23.1.2008 - 2 BvR 364/07 - juris RdNr 19 mwN). Dass das LSG diese verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht beachtet hätte, hat der Kläger schon deswegen nicht dargetan, weil er sich nicht in der gebotenen Weise mit den tragenden Erwägungen im angegriffenen Urteil auseinandersetzt. Er beschränkt sich letztlich auf die Mitteilung, das LSG habe angenommen, dass Rechtssicherheit durch die Bindungswirkung der Beklagtenentscheidung eingetreten sei.
Der Kläger hat mit seiner Rüge, das angegriffene Urteil beruhe auf "Erwägungen aus eingeschränkten Vortrag" auch nicht etwa aufgezeigt, dass das LSG ihn an angemessenem Vortrag gehindert habe, was als (weitere) Gehörsrüge zu begreifen wäre. Er hat im Gegenteil betont, auf das aus seiner Sicht einschlägige BSG-Urteil vom 24.6.1980 bereits im erstinstanzlichen Verfahren hingewiesen zu haben.
2. Ebenso wenig hat der Kläger den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt.
Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). In der Beschwerdebegründung ist deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und der Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; jüngst BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 289/18 B - juris RdNr 9; vgl auch BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 14 ff mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung vom 12.8.2019 schon deswegen nicht gerecht, weil der Kläger darin keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Eine solche abstrakte Rechtsfrage ergibt sich nicht einmal sinngemäß aus seinem Gesamtvorbringen. Die Bezeichnung einer aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181).
3. Auch den Zulassungsgrund der Divergenz hat der Kläger nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt.
Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die angegriffene Entscheidung auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6). Diesen Darlegungsanforderungen wird der Kläger mit dem pauschalen Vorbringen, das LSG setze sich "in Widerspruch zu obergerichtlicher Rechtsprechung" nicht gerecht. Er benennt schon keinen tragenden abstrakten Rechtssatz, den das LSG nach seinem Dafürhalten aufgestellt hat und mit dem es von einem abstrakten Rechtssatz im Urteil des BSG vom 24.6.1980 oder einer anderen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweiche.
Indem der Kläger vorbringt, die "offensichtlich implizierte" Annahme des LSG, das von ihm angeführte BSG-Urteil bleibe ohne Auswirkung auf die Beurteilung des hier zugrunde liegenden Falls, sei "auch nicht im Ansatz nachvollziehbar", wendet er sich gegen die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Hierauf kann die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision aber nicht gestützt werden (stRspr; zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; jüngst BSG Beschluss vom 2.9.2019 - B 13 R 354/18 B - juris RdNr 9).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14113868 |