Leitsatz (amtlich)
Daß der Vorsitzende, der nach SGG § 72 Abs 1 einen besonderen Vertreter bestellt hat, nicht auch dem Vormundschaftsgericht Mitteilung macht (FGG § 50) ist kein Verfahrensmangel iS SGG § 160 Abs 2 Nr 3).
Orientierungssatz
Die Bestellung des besonderen Vertreters ist nur für die Zeit bis zum Eintritt eines Vormundes oder Pflegers möglich. Andererseits wird die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts durch die Vorschrift des SGG § 72 Abs 1 nicht angetastet. Die beiden Möglichkeiten, entweder einen Vormund oder Pfleger durch das Vormundschaftsgericht oder einen besonderen Vertreter durch den Vorsitzenden zu bestellen, stehen solange zur Wahl, als das Vormundschaftsgericht einen Vormund oder Pfleger noch nicht eingesetzt hat.
Normenkette
FGG § 50; SGG § 72 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Fassung: 1974-07-30, § 71 Fassung: 1975-12-11
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 10.10.1978; Aktenzeichen L 4 V 1095/75) |
SG Wiesbaden (Entscheidung vom 25.09.1975; Aktenzeichen S 6 V 76/74) |
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. Oktober 1978 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Revision ist nicht durch das Bundessozialgericht (BSG) zuzulassen (§ 160 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); denn der Kläger macht keinen der Zulassungsgründe iS des § 160 Abs 2 SGG erfolgreich geltend.
Der Kläger betrachtet es als eine grundsätzliche Frage, ob der Vorsitzende, der für einen nicht prozeßfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter einen besonderen Vertreter bestellt (§ 72 Abs 1 SGG), auch von sich aus auf die Bestellung eines Pflegers oder Vormundes hinwirken muß. Mit dem Hinweis auf diese Rechtsfrage ist jedoch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).
Soweit der Kläger einen Verfahrensmangel darin sieht, daß das Landessozialgericht (LSG) nicht sofort nach Bestellung des besonderen Vertreters darauf hingewirkt hat, daß ein Pfleger oder Vormund eintrete, ist die Beschwerde nicht begründet.
Ein Verfahrensmangel ist in diesem Unterlassen nicht zu erkennen. § 72 Abs 1 SGG gibt dem Vorsitzenden die Möglichkeit, für einen nicht prozeßfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter zu bestellen. Die Bestellung des besonderen Vertreters ist also nur für die Zeit möglich, in der ein Vormund oder Pfleger noch nicht eingetreten ist. Andererseits wird die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts durch die Vorschrift des § 72 Abs 1 SGG nicht angetastet. Die beiden Möglichkeiten, entweder einen Vormund oder Pfleger durch das Vormundschaftsgericht oder einen besonderen Vertreter durch den Vorsitzenden zu bestellen, stehen solange zur Wahl, als das Vormundschaftsgericht einen Vormund oder Pfleger noch nicht eingesetzt hat. Ob der Vorsitzende berechtigt ist, die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters zu veranlassen (so BSGE 5, 176, 178; anderer Ansicht Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, S 234 k II; vgl auch Pickel NJW 1965, 338 und SGb 1974, 481), kann dahinstehen. Jedenfalls ist dem Vorsitzenden durch § 72 Abs 1 SGG eine entsprechende Pflicht nicht auferlegt worden (BSG am angeführten Orte), anders als es in § 15 der Verordnung (VO) über Geschäftsgang und Verfahren der Oberversicherungsämter vom 24. Dezember 1911 (Reichsgesetzblatt S 1095) vorgeschrieben war. Diese Verpflichtung ergibt sich weder aus dem Sinn der Vorschrift über den besonderen Vertreter noch aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen (BSG 21.10.1969 - 11 PA 40/69 - in SozEntsch BSG 1/4 § 72 Nr 2). Der besondere Vertreter ist für das Verfahren nicht mit weniger Rechten ausgestattet als ein Vormund oder Pfleger, denn ihm stehen alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zu. Gegen seine Rechtsstellung kann deswegen nicht geltend gemacht werden, daß § 72 Abs 1 SGG eine Notmaßnahme auf einem den Sozialgerichten nur vorübergehend und ausnahmsweise zugewiesenen Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit normiere. Die Bestellung des besonderen Vertreters betrifft das Verfahren, dh das gesamte Sozialgerichtsverfahren in allen Rechtszügen, solange ihre Voraussetzungen bestehen bleiben. Sie ist aber nur für den einzelnen Prozeß zulässig. Damit ist für eine spezielle Aufgabe dem Richter des Sozialgerichts als einem besonderen Verwaltungsgericht (§ 1 SGG) eine besondere Zuständigkeit kraft Gesetzes übertragen. Er ist deshalb der gesetzliche Richter iS des Art 101 Abs 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG). Daran ist die Erwartung zu knüpfen, daß der Vorsitzende des SG für diese spezielle Aufgabe der Auswahl eines Vertreters für das Verfahren nicht weniger geeignet ist als der Richter des Vormundschaftsgerichts. Das Verfahren des Sozialgerichtsgesetzes ist auch nicht weniger mit verfassungsmäßigen und rechtsstaatlichen Garantien ausgestattet als das des Vormundschaftsgerichts (vgl BSG Urteil vom 21. Oktober 1969 aaO).
Soweit § 50 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) vorschreibt, daß das Gericht dem Vormundschaftsgericht Mitteilung zu machen hat, wenn infolge eines gerichtlichen Verfahrens eine Tätigkeit des Vormundschaftsgerichts erforderlich wird, ist es fraglich, ob lediglich dann eine Benachrichtigungspflicht anzunehmen ist, wenn die Anordnung einer Vormundschaft oder Pflegschaft gerade als Folge des gerichtlichen Verfahrens des anzeigenden Gerichts notwendig wird (vgl Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 11. Aufl 1978, § 50, Anm 1 und 2). Jedenfalls würde diese Mitteilungspflicht des Gerichts nicht mehr dem Verfahren des SG zuzuordnen sein, das zur Urteilsfindung führt. Eine Unterlassung der Mitteilung begründet keinen Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen