Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederheirat bis Ende 1956

 

Leitsatz (amtlich)

Hat sich eine geschiedene Frau, der nach dem Tod ihres früheren Ehemannes eine Witwenrente bewilligt worden war (AVG § 28 Abs 3, RVO § 1256 Abs 4), vor dem 1957-01-01 wieder verheiratet, so darf ihr keine Witwenabfindung gewährt werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

Wiederheirat bis Ende 1956:

Das AVG in der bis zum 1956-12-31 gültigen Fassung sah eine Abfindung nur bei der Heirat von "Witwen" vor, nicht auch bei "Ehefrauen, deren Ehe geschieden oder für nichtig erklärt oder aufgehoben" war.

 

Normenkette

RVO § 1256 Abs. 4 Fassung: 1942-06-22, § 1287 Fassung: 1949-06-17; AnVNG Art. 2 § 26 Fassung: 1957-02-23; AVG § 81 Fassung: 1957-02-23, § 42 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 27 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

In Sachen

...

wird der Antrag der Klägerin auf Bewilligung des Armenrechts abgelehnt.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin, die als geschiedene Frau seit 1947 eine Witwenrente nach § 28 Abs. 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) a.F. in Verbindung mit § 1256 Abs. 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F. bezogen hatte, die anläßlich ihrer Heirat im Jahre 1952 beantragte Witwenabfindung nach § 41 AVG a.F. in Verbindung mit § 1287 RVO a.F. zusteht. Das frühere Oberversicherungsamt (OVA.) Hamburg hat der Klägerin die Abfindung mit Urteil vom 27. April 1953 zugesprochen. Gegen das (als endgültig nach § 1696 RVO bezeichnete) Urteil hat die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Hansestadt Hamburg, an deren Stelle später die Beklagte getreten ist, weitere Berufung beim Oberverwaltungsgericht Hamburg eingelegt. Mit Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist das Rechtsmittel als Berufung auf das Landessozialgericht (LSG.) Hamburg übergegangen, das mit Urteil vom 27. November 1956 das Urteil des OVA. aufgehoben und den ablehnenden Bescheid der LVA. wieder hergestellt, die Revision jedoch zugelassen hat. Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig und formrichtig eingelegte Revision der Klägerin, mit der sie die Zuerkennung der Witwenabfindung begehrt. Ihrem gleichzeitig gestellten Antrag auf Bewilligung des Armenrechts kann jedoch nicht entsprochen werden.

Einem Beteiligten darf das Armenrecht nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 167 SGG, 114 Zivilprozeßordnung -ZPO-). Dies ist hier nicht der Fall. Die Revision der Klägerin ist zwar zulässig, aber nicht begründet.

Die Klägerin rügt zunächst, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des früheren OVA. Hamburg sei unzulässig gewesen, weil dieses Gericht endgültig entschieden habe (§ 1696 RVO). Bei den von einem allgemeinen Verwaltungsgericht nach § 215 Abs. 7 und 8 SGG auf das LSG. übergegangenen Sachen ist aber nur nach den Vorschriften des SGG zu beurteilen, ob die Berufung statthaft ist. Sie ist auch dann statthaft, wenn die angefochtene Entscheidung des OVA, nach den früheren Vorschriften der RVO endgültig war (BSGE. Bd. 1 S. 82/85 und S. 283/285). Hiernach hatte das LSG. lediglich zu prüfen, ob die nach § 144 Abs. 1 Ziff. 1 SGG an sich ausgeschlossene Berufung gemäß § 150 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zuzulassen gewesen wäre, wenn das Urteil von einem Sozialgericht (SG.) erlassen worden wäre (BSGE. Bd. 1, Seite 62/67 und S. 239/241). Weil das LSG. diese Frage mit zutreffender Begründung bejahte, konnte es das Urteil des OVA sachlich nachprüfen.

Die sachliche Nachprüfung durch das LSG. läßt auch keinen Rechtsirrtum erkennen. Da die Klägerin die neue Ehe bereits vor dem 1. Januar 1957 geschlossen hat, können die Vorschriften des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes zu ihren Gunsten nicht angewandt werden (§§ 81, 42 AVG Art. 2 § 26 AnVG). Das AVG in der bis zum 31. Dezember 1956 gültigen Fassung sah eine Abfindung nur bei der Heirat von "Witwen" vor (§ 41 Abs. 2 AVG, § 1287 Satz 2 RVO), nicht auch bei "Ehefrauen, deren Ehe geschieden oder für nichtig erklärt oder aufgehoben" war. Diese "Ehefrauen" - die auch im Sinne der RVO keine Witwen waren, sonst hätte es dieser besonderen Umschreibung nicht bedurft - hatten im Gegensatz zu den Witwen keinen Rechtsanspruch auf eine Rente. Ihnen konnte unter bestimmten Voraussetzungen eine vom Gesetz sog. "Witwenrente" gewährt werden, wobei die Bewilligung in der Regel formlos und unter ausdrücklicher Kennzeichnung der Rente als freiwillige und widerrufliche Kannleistung erfolgte. Grundlage für die Gewährung dieser Rente bildete die aus der früheren Ehe nachwirkende Unterhaltsberechtigung der geschiedenen Frau (vgl. Schmehl in "Die Sozialversicherung" 1951 S. 261). Dem entspricht die Regelung, daß der Witwe zur Abfindung ihres Rechtsanspruchs bei Wegfall der Witwenrente wegen Wiederverheiratung eine bestimmte Summe (das Dreifache der Jahresrente) gezahlt wurde, nicht aber auch den Frauen, deren Ehe geschieden war. Die "Abfindung" einer Leistung, auf die kein Rechtsanspruch bestand, war nicht möglich (vgl. Bayerisches LVAmt im Bescheid vom 8. April 1952; Breithaupt 1952 S. 1072, OVA. Düsseldorf in Breithaupt 1950 S. 963, Hastler in "Versicherungswissenschaft, Versicherungspraxis und Versicherungsmedizin" 1950 S. 350, Schmehl in "Die Sozialversicherung" 1951 S. 261, Dersch, Grundriß der gesetzlichen Rentenversicherung S. 212, Koch-Hartmann- von Altrock-Fürst Anm. 2 zu § 28 AVG, Kommentar des Verbandes deutscher Rentenversicherungsträger Anm. 5 zu § 1287 RVO). Hieran haben auch die Richtlinien der Arbeitsminister für die Behandlung der Anträge geschiedener Ehefrauen auf Witwenrente in den gesetzlichen Rentenversicherungen (Bundesarbeitsblatt 1956 S. 295) nichts geändert. Wenn der Gesetzgeber im neuen Recht auch den geschiedenen Frauen im Falle ihrer Heirat eine Abfindung zugesprochen hat, so hängt das damit zusammen, daß er diesen Frauen nunmehr einen Rechtsanspruch auf Rente eingeräumt und sie insoweit den Witwen gleichgestellt hat. Der Klägerin, deren Ehe schon vor dem 1. Januar 1957 geschlossen worden ist, kommt diese Gleichstellung nach der ausdrücklichen Vorschrift des Gesetzes nicht zu gute.

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des LSR. Hamburg bietet sonach keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ihr Gesuch um Bewilligung des Armenrechts muß daher abgelehnt werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1982642

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