Verfahrensgang

SG Berlin (Entscheidung vom 24.08.2021; Aktenzeichen S 120 AL 436/19)

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 26.07.2023; Aktenzeichen L 18 AL 89/21)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. Juli 2023 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

a) Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

In der Beschwerdebegründung ist aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt (stRspr; zuletzt etwa BSG vom 20.10.2021 - B 12 R 2/21 B - juris RdNr 16; BSG vom 4.1.2022 - B 11 AL 58/21 B - juris RdNr 3; BSG vom 5.7.2023 - B 4 AS 36/23 B - juris RdNr 3). Die Beschwerdebegründung muss daher eine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht formulieren (stRspr; zuletzt etwa BSG vom 12.8.2021 - B 12 R 11/21 B - juris RdNr 8; BSG vom 8.9.2021 - B 11 AL 42/21 B - juris RdNr 3 mwN; BSG vom 18.10.2021 - B 9 V 29/21 B - juris RdNr 7; BSG vom 20.10.2021 - B 5 R 230/21 B - juris RdNr 3; BSG vom 4.1.2022 - B 11 AL 58/21 B - juris RdNr 3; BSG vom 5.7.2023 - B 4 AS 36/23 B - juris RdNr 3).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Beschwerdebegründung formuliert bereits keine Rechtsfrage im vorstehend umschriebenen Sinne. Lediglich sinngemäß lässt sich der Beschwerdebegründung entnehmen, dass die Klägerin eine Revisionsentscheidung zu § 27 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III begehrt. Nach dieser Norm sind versicherungsfrei Personen, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule eine Beschäftigung ausüben. Dabei strebt die Klägerin ausdrücklich eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung, wonach die Voraussetzungen des § 27 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III in der Regel (erst dann) nicht erfüllt sind, wenn die Beschäftigung durchschnittlich 20 Stunden pro Woche überschreitet (vgl BSG vom 22.2.1980 - 12 RK 34/79 - BSGE 50, 25 = SozR 2200 § 172 Nr 14), an.

Der Beschwerdebegründung lässt sich aber bereits nicht entnehmen, dass die Auslegung des § 27 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III entscheidungserheblich ist. Die Klägerin trägt selbst vor, zwischen dem 15.1.2018 und dem 23.7.2018 - also für weniger als sieben Monate - beschäftigt gewesen zu sein. Dies reicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit nach § 142 Abs 1 Satz 1 SGB III, wonach die Anwartschaftszeit erfüllt hat, wer in der Rahmenfrist (§ 143 SGB III) mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat, nicht aus, selbst wenn man für diese Beschäftigung Versicherungspflicht annimmt. Die Beschwerdebegründung teilt weder mit, für welchen Zeitraum die Klägerin Arbeitslosengeld begehrt, noch Zeiten weiterer Versicherungspflichttatbestände; auch dass die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch erfüllt sind, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen. Dies wäre zur Darlegung der Klärungsfähigkeit aber erforderlich gewesen (BSG vom 7.7.2023 - B 11 AL 14/23 B - juris RdNr 4).

Im Übrigen ist auch die Klärungsbedürftigkeit nicht dargelegt. Besteht zu einer Rechtsfrage bereits höchstrichterliche Rechtsprechung bedarf es insofern besonderer Darlegungen (dazu - jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen - Karmanski in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, 3. Aufl 2023, § 160a RdNr 61, Stand 1.8.2023; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 160a RdNr 14g mwN; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 160a RdNr 104). Dem genügen die Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht.

b) Eine Abweichung (Divergenz) iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen kann die Zulassung wegen Abweichung begründen (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 160 RdNr 121 mwN).

Ein Berufungsgericht weicht nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der einer zum selben Gegenstand gemachten und fortbestehend aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht (BSG vom 18.1.2010 - B 13 R 483/09 B - juris RdNr 6).

Eine solche Divergenz hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Die Beschwerdebegründung führt lediglich aus, dass das LSG die einschlägige Rechtsprechung des BSG "verkannt" habe. Eine - gemessen an der Rechtsprechung des BSG - "unrichtige" berufungsgerichtliche Entscheidung als solche begründet aber gerade nicht den Revisionszulassungsgrund der Divergenz. Einen abstrakten Rechtssatz des LSG zitiert die Beschwerdebegründung hingegen nicht. Im Übrigen ist das Vorbringen, das LSG weiche vom Leitsatz des Urteils des BSG vom 31.10.1967 (3 RK 77/64 - BSGE 27, 192 = SozR Nr 3 zu § 1228 RVO) ab, schon deswegen zur Bezeichnung einer Divergenz untauglich, weil Leitsätze nicht Bestandteil einer Gerichtsentscheidung sind (vgl § 136 Abs 1 SGG). Für die Frage, ob ein Gericht einen Rechtssatz im Sinne der Revisionszulassungsgründe aufgestellt hat, kommt es nur auf die Entscheidungsgründe selbst an (BSG vom 22.12.2021 - B 5 R 163/21 B - juris RdNr 10 mwN; BSG vom 27.4.2022 - B 11 AL 6/22 B - juris RdNr 4; BSG vom 17.11.2022 - B 11 AL 24/22 B - juris RdNr 6).

Die übrigen Ausführungen in der Beschwerdebegründung beschränken sich darauf, die aus Sicht der Klägerin bestehenden Fehler der Berufungsentscheidung zu beschreiben, und betreffen die konkreten Umstände des Einzelfalls, aber keine abstrakten Rechtssätze.

Im Übrigen ist eine Divergenz schon deswegen nicht hinreichend bezeichnet, weil es - aus den oben bereits genannten Gründen - auch insofern an der Darstellung der Entscheidungserheblichkeit fehlt.

c) Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).

Auch ein Verfahrensmangel ist nicht hinreichend bezeichnet. Die Beschwerdebegründung rügt eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht, ohne darzulegen, dass die insofern in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG normierten engen Voraussetzungen für eine Rüge der Verletzung des § 103 SGG vorliegen. Soweit schließlich im letzten Satz der Beschwerdebegründung eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör behauptet wird, bleibt dies gänzlich unsubstantiiert.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.

Söhngen

B. Schmidt

Burkiczak

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16148640

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