Leitsatz (amtlich)
Bei dem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (SGG § 160a) handelt es sich um eine nach SGG § 184 gebührenpflichtige Streitsache, sofern die Beschwerde verworfen, zurückgewiesen oder zurückgenommen wird.
Normenkette
SGG § 160a Fassung: 1974-07-30, § 184 Fassung: 1953-09-10, § 185 Fassung: 1958-06-25, § 186 Fassung: 1958-06-25; PauschGebV § 1 Fassung: 1968-05-13
Tenor
Die Erinnerungen der Antragstellerin gegen die Festsetzung der Gerichtsgebühren in den Gebührenverzeichnissen vom 2. Juni 1975 und 28. August 1975 werden zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die beklagte Knappschaft war im Jahre 1975 in mehreren inzwischen abgeschlossenen Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in Urteilen von Landessozialgerichten beteiligt. In dem Verfahren 5 BKn 3/75 (D) nahm sie am 2. April 1975 die Nichtzulassungsbeschwerde zurück; in den Verfahren 5 BKn 1/75 (A) und 5 BKn 2/75 (T) wurden die von den Rentenantragstellern gegen landessozialgerichtliche Urteile eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen.
Mit den im Beschlußausspruch bezeichneten Gebührenverzeichnissen setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Bundessozialgerichts (BSG) für jedes der vorstehend genannten Beschwerdeverfahren zu Lasten der Beklagten eine Gebühr von 100,-- DM fest.
Hiergegen hat die Beklagte Erinnerungen eingelegt. Sie trägt vor: Das BSG habe in den Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht über einen Streit zwischen Beteiligten zu entscheiden gehabt. Die Nichtzulassungsbeschwerden seien kostenrechtlich wie ein Armenrechtsgesuch zu beurteilen. In beiden Fällen gehe es um vorbereitende Entscheidungen für ein evtl. sich anschließendes Revisionsverfahren. Hier wie da mangele es an einer "rechtshängigen Streitsache" im Sinne des § 184 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), so daß eine Gebührenschuld nicht entstanden und daher auch nicht fällig geworden sei.
Die Antragstellerin beantragt,
den Gebührenansatz in den angegriffenen Positionen aufzuheben und die Gebührenschuld der Bundesknappschaft entsprechend geringer festzustellen.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des BSG hat den Erinnerungen nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Der Kostenprüfungsbeamte beim BSG hält den Gebührenansatz des Urkundsbeamten für zutreffend. Er ist der Ansicht, bei dem Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde handele es sich um eine Streitsache im gebührenrechtlichen Sinn. Auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit werde für die Verwerfung oder Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde eine Gebühr erhoben. Die Frage, ob die einschlägigen Bestimmungen des Gerichtskostengesetzes (GKG) entsprechend anzuwenden seien, brauche nicht beantwortet zu werden, weil die Anwendung der Bestimmungen der §§ 184, 185 SGG zu dem gleichen Ergebnis führten.
II.
Die nach § 189 Abs. 2 SGG statthaften, fristgerecht eingelegten Erinnerungen sind nicht begründet.
Die Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts haben nach § 184 Abs. 1 Satz 1 SGG für jede Streitsache, an der sie beteiligt sind, eine Gebühr zu entrichten. Die Gebühr entsteht, sobald die Streitsache rechtshängig geworden ist; sie ist für jeden Rechtszug zu zahlen (Satz 2 aaO). Was das Gesetz gebührenrechtlich unter "Streitsache" versteht, ist nicht eindeutig. Das BSG hat hierzu bereits am 20. November 1964 (SozR Nr. 1 zu § 186 SGG) in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung im Schrifttum (vgl. statt vieler Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., Anm. 2 zu § 184 SGG, S. III/103, sowie die dortigen Nachweise) entschieden, daß hierunter jedes bei einem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit anhängige Verfahren ohne Rücksicht auf die Zahl der Ansprüche und der am Verfahren Beteiligten zu verstehen ist. Um eine abschließende Definition handelt es sich hierbei freilich nicht; als solche wäre sie zu weit. Sie würde z. B. auch das Armenrechtsverfahren, das Verfahren über die Zulassung eines Prozeßbevollmächtigten, die den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugehenden Rechts- und Amtshilfeersuchen und ähnliches mehr erfassen, also gerichtliche Verfahren, für die nach unangefochtener Rechtspraxis Gebühren noch nie erhoben worden sind. Es ist hiernach notwendig, den Kreis der vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gebührenpflichtigen Verfahren sinnvoll einzugrenzen.
Die vom Schrifttum in dieser Richtung vorgenommenen Versuche überzeugen nicht. So trifft nicht zu, daß z. B. die "eigentlichen", d. h. offenbar keinen materiellen Klageanspruch betreffenden Beschluß- und Beschwerdesachen schon deshalb keine Streitsache sein könnten, weil in ihnen nicht über einen Streit zwischen den Beteiligten entschieden werde (vgl. Peters/Sautter/Wolff, aaO, S. III/104). Abgesehen davon, daß in Beschwerdesachen häufig Streitentscheidungen ergehen, kann es gebührenrechtlich nicht darauf ankommen, daß das Gericht einen Streit zwischen den Beteiligten entscheidet. Sinn und Zweck des § 184 SGG ist es, die dort genannten, an einem sozialgerichtlichen Verfahren beteiligten Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts zu den Kosten der Gerichtshaltung angemessen heranzuziehen (vgl. BSG in SozR Nr. 3 zu § 184 SGG; Plett in DOK 1956, 146). Zielt aber § 184 SGG darauf ab, das Tätigwerden der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit durch eine Gebühr abzugelten, so kann nicht ausschlaggebend sein, daß das vor dem Gericht anhängige Verfahren auf die Entscheidung eines unter den Beteiligten bestehenden Streits gerichtet ist. Auch andere gerichtliche Verfahren schlagen bei den Kosten der Gerichtshaltung zu Buch; es besteht daher kein vernünftiger Grund, sie von vornherein von der Gebührenpflichtigkeit auszunehmen. Einer Begründung entbehrt ferner die Annahme, unter Streitsache sei nur das durch die Erhebung einer Klage in Gang gesetzte sozialgerichtliche Verfahren (vgl. Brocke in Sozialgerichtsbarkeit 1955, 323) oder, anders ausgedrückt, der "Rechtsstreit als solcher" (Gunkel in WzS 1957, 133) zu verstehen. Es kann gebührenrechtlich nicht entscheidend sein, ob das Verfahren, ob die abzugeltende Tätigkeit des Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit durch eine Klage oder auf andere Weise, etwa durch einen Antrag auf richterliche Entscheidung oder durch eine Beschwerde, ausgelöst worden ist.
Andererseits ist zuzugeben, daß bestimmte Beschluß- oder Beschwerdeverfahren - so z. B. das oben erwähnte Armenrechtsverfahren - allein als unselbständige Teile einer bei einem Sozialgericht anhängigen Rechtssache angesehen werden können. Solche unselbständige verfahrensmäßige Schritte innerhalb und im Rahmen eines anhängigen Verfahrens vermögen keinen Anspruch auf eine Gebühr nach § 184 SGG auszulösen. Das folgt aus dem Charakter der Gerichtsgebühr als Pauschgebühr. Nach § 1 der auf Grund des § 164 Abs. 2 SGG ergangenen Verordnung über die Höhe der von den Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts zu entrichtenden Gebühr vom 31. Mai 1955 idF vom 13. Mai 1968 (BGBl I 412) besteht die Gebühr "für das Verfahren" in jedem sozialgerichtlichen Rechtszug in einem festen Betrag. Diese die Tätigkeit des Gerichts in der jeweiligen Instanz pauschal abgeltende Gebühr läßt weiteren Gebühren für unselbständige Verfahrensteile keinen Raum.
Die Frage, ob die durch das Änderungsgesetz zum SGG vom 30. Juli 1974 (BGBl I 1625) geschaffenen Nichtzulassungsbeschwerde - § 160 a SGG - eine Streitsache im Sinne des § 184 SGG ist, ist grundsätzlich zu bejahen. Bei dieser Beschwerde handelt es sich ungeachtet des Umstandes, daß es sich nur gegen einen Teil des zweitinstanzlichen Urteils, die Nichtzulassung der Revision, richtet, um ein die Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung insgesamt hemmendes Rechtsmittel (§ 160 a Abs. 3 aaO). Da mit der Ablehnung der Beschwerde durch das BSG das Urteil des Landessozialgericht (LSG) gemäß § 160 a Abs. 4 Satz 4 i. V. m. § 141 Abs. 1 SGG rechtskräftig wird, stellt die Nichtzulassungsbeschwerde potentiell ein den dritten Rechtszug erschöpfendes und den Rechtsstreit auch in der Sache endgültig abschließendes Verfahren dar. Allerdings kommt es auf den Einzelfall an, ob die Nichtzulassungsbeschwerde ein selbständiges Verfahren des dritten Rechtszuges oder nur unselbständiger Teil eines solchen Verfahrens ist. Schließt sich nämlich an die Nichtzulassungsbeschwerde kein Revisionsverfahren an, weil die Beschwerde verworfen, zurückgewiesen oder zurückgenommen wird, so handelt es sich um ein den Rechtszug beendigendes eigenständiges Verfahren; wird dagegen auf die Beschwerde die Revision zugelassen und auch eingelegt, so stellt sich das Beschwerdeverfahren allein als unselbständiger, zum Revisionsverfahren führender Schritt dar, der innerhalb des Verfahrens vor dem Revisionsgericht auch gebührenrechtlich keiner abgesonderten Behandlung mehr zugänglich ist. Als bloßer Verfahrensabschnitt vermag das Beschwerdeverfahren in diesem Fall keine Gebührenpflicht auszulösen.
Daß es hiernach für die Frage, ob eine Gebühr nach § 184 SGG zu erheben ist, auf den Ausgang des Beschwerdeverfahrens ankommt, ist keine gebührenrechtliche Besonderheit des sozialgerichtlichen Verfahrens. Nach Nummern 1271 und 1371 der Anlage 1 zum GKG idF vom 20. August 1975 (BGBl I 2189) werden auch in der allgemeinen Verwaltungs- und in der Finanzgerichtsbarkeit für die Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde Gerichtsgebühren nur erhoben, "soweit die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird" (vgl. dazu auch § 46 Abs. 2 GKG in der vor dem 15. September 1975 geltenden Fassung). Daß das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde dann, wenn sich hieran ein Revisionsverfahren anschließt, nicht kostenmäßig selbständig behandelt werden kann, belegt im übrigen auch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, wer in diesem Falle die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen hat; diese Kosten folgen nach dieser Rechtsprechung den Kosten der Hauptsache (BVerwG in DÖV 1959, 758 und in ständiger Rechtsprechung (vgl. die Fundstellen bei Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, S. 108, Fußnote 8); BSG, Beschluß vom 26. Juni 1975, 12 BJ 8/75).
In den den vorliegenden Erinnerungen zugrunde liegenden Nichtzulassungsbeschwerden haben sich diesen keine Revisionsverfahren angeschlossen, weil die Beschwerden zurückgenommen bzw. verworfen worden sind. Nach dem vorstehend Dargelegten handelt es sich mithin bei den Beschwerden um selbständige, das Verfahren vor dem Revisionsgericht erschöpfende Verfahren, die als Rechtsstreit im Sinne des § 184 SGG anzusehen sind. Auch die vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle festgelegte Höhe der nach Abschluß des Beschwerdeverfahrens fälligen Gebühren (§ 185 SGG) ist nicht zu beanstanden; da es sich um Erledigungen ohne Urteil handelt, hat der Urkundsbeamte zu Recht die halbe Gebühr angesetzt (§ 187 SGG).
Nach alledem waren die Erinnerungen der Beklagten zurückzuweisen.
Fundstellen